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Müller-Freienfels, Richard: Poetik. Leipzig u. a., 1914.

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Mummenschanz und Maskenspiel, und ohne die eine höhere Ausbildung pmu_049.002
der Ethik überhaupt nicht möglich wäre.

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5. Es sei an dieser Stelle noch auf eine Entwicklung aufmerksam gemacht, pmu_049.004
die sich in der Poesie nachweisen läßt und die ich als die zunehmende pmu_049.005
Verinnerlichung oder Psychologisierung der Dichtung bezeichnen pmu_049.006
möchte. Das soll heißen, daß im allgemeinen die Geschehnisse pmu_049.007
auf früheren Stufen der poetischen Entwicklung mehr äußerlicher Art pmu_049.008
sind, während sie später sich immer mehr verinnerlichen. Schließlich richtet pmu_049.009
sich das Jnteresse des Lesers überhaupt nicht mehr auf die Handlung als pmu_049.010
solche, sondern nur ihre psychologische Vorbereitung, auf das Spiel der pmu_049.011
Motive, die die Handlung bedingen. So sind wir im 19. Jahrhundert zuletzt pmu_049.012
zu einer "psychologischen" Dichtung gelangt, einem merkwürdigen pmu_049.013
Zwitterding, das eine Wissenschaft und eine Kunst miteinander verknüpfen pmu_049.014
will. Besonders charakteristisch ist diese Art in den Romanen Bourgets pmu_049.015
ausgeprägt. Jndessen von solchen Sonderbarkeiten abgesehen bleibt die pmu_049.016
Tatsache bestehen, daß der Schwerpunkt des Jnteresses von außen nach pmu_049.017
innen gerückt ist. Damit braucht durchaus noch nicht ein künstlerisches pmu_049.018
Werturteil gefällt zu sein. Denn von ästhetischem Standpunkt aus bleibt pmu_049.019
es sehr die Frage, was wuchtigere Wirkungen erzielt, die breite detaillierte pmu_049.020
Ausmalung aller psychischen Regungen, oder jene karge Andeutung, das pmu_049.021
Erratenlassen des Jnneren durch Äußeres, wie es sich in der älteren Poesie pmu_049.022
findet. Wahrscheinlich wirkt es poetisch viel stärker, wenn der Dichter pmu_049.023
des Nibelungenliedes von Hagen, der die ungeheure Gefahr voraussieht, pmu_049.024
nur bemerkt: "den helm er vaster gebant", als wenn eine ausführliche pmu_049.025
Analyse seiner seelischen Zustände hier stünde. So sind denn oft die pmu_049.026
"psychologischen" Dichter in den Fehler verfallen, ihr Publikum zu langweilen, pmu_049.027
indem sie von dem Mittel, das Voltaire als das Geheimnis zu pmu_049.028
langweilen empfiehlt, allzu reichlich Gebrauch gemacht haben: dem, alles pmu_049.029
zu sagen. Wiederholt, besonders fürs Drama, ist darum jüngst die Forderung pmu_049.030
nach Handlung, statt psychologischer Analyse erhoben worden, und pmu_049.031
vielleicht läßt sich die Behauptung aufstellen, daß die tiefsten poetischen pmu_049.032
Wirkungen überall dort erzeugt worden sind, wo Jnneres durch Äußeres pmu_049.033
ausgedrückt wurde, wobei einmal das allzu grob Äußerliche des Geschehens pmu_049.034
vermieden wird und doch auch der Fehler der allzu detaillierten pmu_049.035
und langweiligen Analyse, des direkten Psychologisierens.

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6. Es war einer der Jrrtümer des Naturalismus wie des Ästhetizismus, pmu_049.037
daß der "Stoff" der Dichtung gleichgültig sei. Die Geschichte der Dichtung pmu_049.038
beweist das Gegenteil; sie zeigt, daß gewisse Stoffe vor andern sich

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Mummenschanz und Maskenspiel, und ohne die eine höhere Ausbildung pmu_049.002
der Ethik überhaupt nicht möglich wäre.

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5. Es sei an dieser Stelle noch auf eine Entwicklung aufmerksam gemacht, pmu_049.004
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Verinnerlichung oder Psychologisierung der Dichtung bezeichnen pmu_049.006
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solche, sondern nur ihre psychologische Vorbereitung, auf das Spiel der pmu_049.011
Motive, die die Handlung bedingen. So sind wir im 19. Jahrhundert zuletzt pmu_049.012
zu einer „psychologischen“ Dichtung gelangt, einem merkwürdigen pmu_049.013
Zwitterding, das eine Wissenschaft und eine Kunst miteinander verknüpfen pmu_049.014
will. Besonders charakteristisch ist diese Art in den Romanen Bourgets pmu_049.015
ausgeprägt. Jndessen von solchen Sonderbarkeiten abgesehen bleibt die pmu_049.016
Tatsache bestehen, daß der Schwerpunkt des Jnteresses von außen nach pmu_049.017
innen gerückt ist. Damit braucht durchaus noch nicht ein künstlerisches pmu_049.018
Werturteil gefällt zu sein. Denn von ästhetischem Standpunkt aus bleibt pmu_049.019
es sehr die Frage, was wuchtigere Wirkungen erzielt, die breite detaillierte pmu_049.020
Ausmalung aller psychischen Regungen, oder jene karge Andeutung, das pmu_049.021
Erratenlassen des Jnneren durch Äußeres, wie es sich in der älteren Poesie pmu_049.022
findet. Wahrscheinlich wirkt es poetisch viel stärker, wenn der Dichter pmu_049.023
des Nibelungenliedes von Hagen, der die ungeheure Gefahr voraussieht, pmu_049.024
nur bemerkt: „den helm er vaster gebant“, als wenn eine ausführliche pmu_049.025
Analyse seiner seelischen Zustände hier stünde. So sind denn oft die pmu_049.026
„psychologischen“ Dichter in den Fehler verfallen, ihr Publikum zu langweilen, pmu_049.027
indem sie von dem Mittel, das Voltaire als das Geheimnis zu pmu_049.028
langweilen empfiehlt, allzu reichlich Gebrauch gemacht haben: dem, alles pmu_049.029
zu sagen. Wiederholt, besonders fürs Drama, ist darum jüngst die Forderung pmu_049.030
nach Handlung, statt psychologischer Analyse erhoben worden, und pmu_049.031
vielleicht läßt sich die Behauptung aufstellen, daß die tiefsten poetischen pmu_049.032
Wirkungen überall dort erzeugt worden sind, wo Jnneres durch Äußeres pmu_049.033
ausgedrückt wurde, wobei einmal das allzu grob Äußerliche des Geschehens pmu_049.034
vermieden wird und doch auch der Fehler der allzu detaillierten pmu_049.035
und langweiligen Analyse, des direkten Psychologisierens.

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Zitationshilfe: Müller-Freienfels, Richard: Poetik. Leipzig u. a., 1914, S. 49. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/mueller_poetik_1914/59>, abgerufen am 21.11.2024.