Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Müller, Adam Heinrich: Die Elemente der Staatskunst. Bd. 1. Berlin, 1809.

Bild:
<< vorherige Seite

schaftlichen; also auch kein Gesetz, kein Tractat,
kein Friede -- welche Worte ja nichts andres
bedeuten, als die feierliche Anerkennung dieses
Gemeinschaftlichen, und des besonderen In-
teresse jeder einzelnen Europäischen Nation, in so
fern es sich mit jenem Gemeinschaftlichen ver-
trägt. --

Je mehr das Recht den Charakter der Idee
verliert und zum Begriffe wird, um so mehr
trennt sich der Geist des Rechtes von dem Buch-
staben desselben, die Wissenschaft zerfällt in ein
so genanntes natürliches und in ein so ge-
nanntes positives Recht, oder -- unnatürli-
ches
Recht, um es gerade heraus zu sagen;
denn die heutige Theorie weiß eigentlich nicht
zu zeigen, wie das positive Recht dem natürli-
chen entgegengesetzt werde, und dennoch auch
wieder in gewissem Sinne natürlich bleibt. --

Das Gemeinschaftliche unter den menschlichen
Individuen läßt sich von Menschen, in so fern
sie Menschen bleiben, nicht ganz abläugnen;
aber da die Kunst, das Gemeinschaftliche allent-
halben in dem besonderen Rechte zu schauen und
mit demselben zu verschmelzen; da die Kunst,
in jedem einzelnen Falle nicht bloß zu entscheiden,
sondern auch zu vermitteln, oder das Naturrecht,
in allen positiven Formen als die Seele dersel-

ben

ſchaftlichen; alſo auch kein Geſetz, kein Tractat,
kein Friede — welche Worte ja nichts andres
bedeuten, als die feierliche Anerkennung dieſes
Gemeinſchaftlichen, und des beſonderen In-
tereſſe jeder einzelnen Europaͤiſchen Nation, in ſo
fern es ſich mit jenem Gemeinſchaftlichen ver-
traͤgt. —

Je mehr das Recht den Charakter der Idee
verliert und zum Begriffe wird, um ſo mehr
trennt ſich der Geiſt des Rechtes von dem Buch-
ſtaben deſſelben, die Wiſſenſchaft zerfaͤllt in ein
ſo genanntes natuͤrliches und in ein ſo ge-
nanntes poſitives Recht, oder — unnatuͤrli-
ches
Recht, um es gerade heraus zu ſagen;
denn die heutige Theorie weiß eigentlich nicht
zu zeigen, wie das poſitive Recht dem natuͤrli-
chen entgegengeſetzt werde, und dennoch auch
wieder in gewiſſem Sinne natuͤrlich bleibt. —

Das Gemeinſchaftliche unter den menſchlichen
Individuen laͤßt ſich von Menſchen, in ſo fern
ſie Menſchen bleiben, nicht ganz ablaͤugnen;
aber da die Kunſt, das Gemeinſchaftliche allent-
halben in dem beſonderen Rechte zu ſchauen und
mit demſelben zu verſchmelzen; da die Kunſt,
in jedem einzelnen Falle nicht bloß zu entſcheiden,
ſondern auch zu vermitteln, oder das Naturrecht,
in allen poſitiven Formen als die Seele derſel-

ben
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <div n="3">
            <p><pb facs="#f0210" n="176"/>
&#x017F;chaftlichen; al&#x017F;o auch kein Ge&#x017F;etz, kein Tractat,<lb/>
kein Friede &#x2014; welche Worte ja nichts andres<lb/>
bedeuten, als die feierliche Anerkennung die&#x017F;es<lb/>
Gemein&#x017F;chaftlichen, und des be&#x017F;onderen In-<lb/>
tere&#x017F;&#x017F;e jeder einzelnen Europa&#x0364;i&#x017F;chen Nation, in &#x017F;o<lb/>
fern es &#x017F;ich mit jenem Gemein&#x017F;chaftlichen ver-<lb/>
tra&#x0364;gt. &#x2014;</p><lb/>
            <p>Je mehr das Recht den Charakter der Idee<lb/>
verliert und zum Begriffe wird, um &#x017F;o mehr<lb/>
trennt &#x017F;ich der Gei&#x017F;t des Rechtes von dem Buch-<lb/>
&#x017F;taben de&#x017F;&#x017F;elben, die Wi&#x017F;&#x017F;en&#x017F;chaft zerfa&#x0364;llt in ein<lb/>
&#x017F;o genanntes <hi rendition="#g">natu&#x0364;rliches</hi> und in ein &#x017F;o ge-<lb/>
nanntes <hi rendition="#g">po&#x017F;itives</hi> Recht, oder &#x2014; <hi rendition="#g">unnatu&#x0364;rli-<lb/>
ches</hi> Recht, um es gerade heraus zu &#x017F;agen;<lb/>
denn die heutige Theorie weiß eigentlich nicht<lb/>
zu zeigen, wie das po&#x017F;itive Recht dem natu&#x0364;rli-<lb/>
chen entgegenge&#x017F;etzt werde, und dennoch auch<lb/>
wieder in gewi&#x017F;&#x017F;em Sinne natu&#x0364;rlich bleibt. &#x2014;</p><lb/>
            <p>Das Gemein&#x017F;chaftliche unter den men&#x017F;chlichen<lb/>
Individuen la&#x0364;ßt &#x017F;ich von Men&#x017F;chen, in &#x017F;o fern<lb/>
&#x017F;ie Men&#x017F;chen bleiben, nicht ganz abla&#x0364;ugnen;<lb/>
aber da die Kun&#x017F;t, das Gemein&#x017F;chaftliche allent-<lb/>
halben in dem be&#x017F;onderen Rechte zu &#x017F;chauen und<lb/>
mit dem&#x017F;elben zu ver&#x017F;chmelzen; da die Kun&#x017F;t,<lb/>
in jedem einzelnen Falle nicht bloß zu ent&#x017F;cheiden,<lb/>
&#x017F;ondern auch zu vermitteln, oder das Naturrecht,<lb/>
in allen po&#x017F;itiven Formen als die Seele der&#x017F;el-<lb/>
<fw place="bottom" type="catch">ben</fw><lb/></p>
          </div>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[176/0210] ſchaftlichen; alſo auch kein Geſetz, kein Tractat, kein Friede — welche Worte ja nichts andres bedeuten, als die feierliche Anerkennung dieſes Gemeinſchaftlichen, und des beſonderen In- tereſſe jeder einzelnen Europaͤiſchen Nation, in ſo fern es ſich mit jenem Gemeinſchaftlichen ver- traͤgt. — Je mehr das Recht den Charakter der Idee verliert und zum Begriffe wird, um ſo mehr trennt ſich der Geiſt des Rechtes von dem Buch- ſtaben deſſelben, die Wiſſenſchaft zerfaͤllt in ein ſo genanntes natuͤrliches und in ein ſo ge- nanntes poſitives Recht, oder — unnatuͤrli- ches Recht, um es gerade heraus zu ſagen; denn die heutige Theorie weiß eigentlich nicht zu zeigen, wie das poſitive Recht dem natuͤrli- chen entgegengeſetzt werde, und dennoch auch wieder in gewiſſem Sinne natuͤrlich bleibt. — Das Gemeinſchaftliche unter den menſchlichen Individuen laͤßt ſich von Menſchen, in ſo fern ſie Menſchen bleiben, nicht ganz ablaͤugnen; aber da die Kunſt, das Gemeinſchaftliche allent- halben in dem beſonderen Rechte zu ſchauen und mit demſelben zu verſchmelzen; da die Kunſt, in jedem einzelnen Falle nicht bloß zu entſcheiden, ſondern auch zu vermitteln, oder das Naturrecht, in allen poſitiven Formen als die Seele derſel- ben

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
TCF (tokenisiert, serialisiert, lemmatisiert, normalisiert)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/mueller_staatskunst01_1809
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/mueller_staatskunst01_1809/210
Zitationshilfe: Müller, Adam Heinrich: Die Elemente der Staatskunst. Bd. 1. Berlin, 1809, S. 176. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/mueller_staatskunst01_1809/210>, abgerufen am 19.05.2024.