Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Müller, Adam Heinrich: Die Elemente der Staatskunst. Bd. 1. Berlin, 1809.

Bild:
<< vorherige Seite

Bei diesem ganzen unglücklichen Bemühen liegt
die Vorstellung zum Grunde, als ob die Kunst eine
Verderberin der Natur wäre, als ob Kunst und
Natur jede für sich auf abgesondertem Boden stän-
den und einen Vernichtungskrieg mit einander
führten, während die erste Bedingung alles poli-
tischen Studiums seyn sollte, zu begreifen, daß
alle Gesetze, die begreiflichsten wie die anschei-
nend widernatürlichsten, aus dem Schoße der-
selben Natur hervorgegangen sind, die uns Alle
umfängt, d. h. daß alle Gesetze bloß dadurch in
Widerspruch mit der Natur treten, daß man sie
aus dem allgemeinen Gebiete des bürgerlichen
Lebens herausreißen, ihnen für die Ewigkeit einen
bestimmten Sprengel abstecken, und diesen mit dem
Buchstaben vermauern will, daß man sie fixirt,
während sich die Natur bewegt. Wenn man
ein todtes Umhertreiben der Begriffe "Kunst"
nennen will, so muß solche Kunst nothwendig
in ewigem Streite mit der Natur befangen seyn,
und so muß man, da der Mensch von Zeit zu
Zeit denn doch wieder der Natur nicht entbeh-
ren kann, dieser ein besonderes Gebiet abstecken,
wo der Mensch sie finden könne, ob er gleich
auch dort wieder nur eine todte Natur antref-
fen wird, weil ihr Wesen ja eben darin besteht,
daß sie sich nicht auf ein abgesondertes Gebiet

Bei dieſem ganzen ungluͤcklichen Bemuͤhen liegt
die Vorſtellung zum Grunde, als ob die Kunſt eine
Verderberin der Natur waͤre, als ob Kunſt und
Natur jede fuͤr ſich auf abgeſondertem Boden ſtaͤn-
den und einen Vernichtungskrieg mit einander
fuͤhrten, waͤhrend die erſte Bedingung alles poli-
tiſchen Studiums ſeyn ſollte, zu begreifen, daß
alle Geſetze, die begreiflichſten wie die anſchei-
nend widernatuͤrlichſten, aus dem Schoße der-
ſelben Natur hervorgegangen ſind, die uns Alle
umfaͤngt, d. h. daß alle Geſetze bloß dadurch in
Widerſpruch mit der Natur treten, daß man ſie
aus dem allgemeinen Gebiete des buͤrgerlichen
Lebens herausreißen, ihnen fuͤr die Ewigkeit einen
beſtimmten Sprengel abſtecken, und dieſen mit dem
Buchſtaben vermauern will, daß man ſie fixirt,
waͤhrend ſich die Natur bewegt. Wenn man
ein todtes Umhertreiben der Begriffe „Kunſt
nennen will, ſo muß ſolche Kunſt nothwendig
in ewigem Streite mit der Natur befangen ſeyn,
und ſo muß man, da der Menſch von Zeit zu
Zeit denn doch wieder der Natur nicht entbeh-
ren kann, dieſer ein beſonderes Gebiet abſtecken,
wo der Menſch ſie finden koͤnne, ob er gleich
auch dort wieder nur eine todte Natur antref-
fen wird, weil ihr Weſen ja eben darin beſteht,
daß ſie ſich nicht auf ein abgeſondertes Gebiet

<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <div n="3">
            <pb facs="#f0212" n="178"/>
            <p>Bei die&#x017F;em ganzen unglu&#x0364;cklichen Bemu&#x0364;hen liegt<lb/>
die Vor&#x017F;tellung zum Grunde, als ob die Kun&#x017F;t eine<lb/>
Verderberin der Natur wa&#x0364;re, als ob Kun&#x017F;t und<lb/>
Natur jede fu&#x0364;r &#x017F;ich auf abge&#x017F;ondertem Boden &#x017F;ta&#x0364;n-<lb/>
den und einen Vernichtungskrieg mit einander<lb/>
fu&#x0364;hrten, wa&#x0364;hrend die er&#x017F;te Bedingung alles poli-<lb/>
ti&#x017F;chen Studiums &#x017F;eyn &#x017F;ollte, zu begreifen, daß<lb/>
alle Ge&#x017F;etze, die begreiflich&#x017F;ten wie die an&#x017F;chei-<lb/>
nend widernatu&#x0364;rlich&#x017F;ten, aus dem Schoße der-<lb/>
&#x017F;elben Natur hervorgegangen &#x017F;ind, die uns Alle<lb/>
umfa&#x0364;ngt, d. h. daß alle Ge&#x017F;etze bloß dadurch in<lb/>
Wider&#x017F;pruch mit der Natur treten, daß man &#x017F;ie<lb/>
aus dem allgemeinen Gebiete des bu&#x0364;rgerlichen<lb/>
Lebens herausreißen, ihnen fu&#x0364;r die Ewigkeit einen<lb/>
be&#x017F;timmten Sprengel ab&#x017F;tecken, und die&#x017F;en mit dem<lb/>
Buch&#x017F;taben vermauern will, daß man &#x017F;ie fixirt,<lb/>
wa&#x0364;hrend &#x017F;ich die Natur bewegt. Wenn man<lb/>
ein todtes Umhertreiben der Begriffe &#x201E;<hi rendition="#g">Kun&#x017F;t</hi>&#x201D;<lb/>
nennen will, &#x017F;o muß &#x017F;olche Kun&#x017F;t nothwendig<lb/>
in ewigem Streite mit der Natur befangen &#x017F;eyn,<lb/>
und &#x017F;o muß man, da der Men&#x017F;ch von Zeit zu<lb/>
Zeit denn doch wieder der Natur nicht entbeh-<lb/>
ren kann, die&#x017F;er ein be&#x017F;onderes Gebiet ab&#x017F;tecken,<lb/>
wo der Men&#x017F;ch &#x017F;ie finden ko&#x0364;nne, ob er gleich<lb/>
auch dort wieder nur eine todte Natur antref-<lb/>
fen wird, weil ihr We&#x017F;en ja eben darin be&#x017F;teht,<lb/>
daß &#x017F;ie &#x017F;ich nicht auf ein abge&#x017F;ondertes Gebiet<lb/></p>
          </div>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[178/0212] Bei dieſem ganzen ungluͤcklichen Bemuͤhen liegt die Vorſtellung zum Grunde, als ob die Kunſt eine Verderberin der Natur waͤre, als ob Kunſt und Natur jede fuͤr ſich auf abgeſondertem Boden ſtaͤn- den und einen Vernichtungskrieg mit einander fuͤhrten, waͤhrend die erſte Bedingung alles poli- tiſchen Studiums ſeyn ſollte, zu begreifen, daß alle Geſetze, die begreiflichſten wie die anſchei- nend widernatuͤrlichſten, aus dem Schoße der- ſelben Natur hervorgegangen ſind, die uns Alle umfaͤngt, d. h. daß alle Geſetze bloß dadurch in Widerſpruch mit der Natur treten, daß man ſie aus dem allgemeinen Gebiete des buͤrgerlichen Lebens herausreißen, ihnen fuͤr die Ewigkeit einen beſtimmten Sprengel abſtecken, und dieſen mit dem Buchſtaben vermauern will, daß man ſie fixirt, waͤhrend ſich die Natur bewegt. Wenn man ein todtes Umhertreiben der Begriffe „Kunſt” nennen will, ſo muß ſolche Kunſt nothwendig in ewigem Streite mit der Natur befangen ſeyn, und ſo muß man, da der Menſch von Zeit zu Zeit denn doch wieder der Natur nicht entbeh- ren kann, dieſer ein beſonderes Gebiet abſtecken, wo der Menſch ſie finden koͤnne, ob er gleich auch dort wieder nur eine todte Natur antref- fen wird, weil ihr Weſen ja eben darin beſteht, daß ſie ſich nicht auf ein abgeſondertes Gebiet

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/mueller_staatskunst01_1809
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/mueller_staatskunst01_1809/212
Zitationshilfe: Müller, Adam Heinrich: Die Elemente der Staatskunst. Bd. 1. Berlin, 1809, S. 178. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/mueller_staatskunst01_1809/212>, abgerufen am 22.11.2024.