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Müller, Adam Heinrich: Die Elemente der Staatskunst. Bd. 1. Berlin, 1809.

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strativen Behörden -- sollen sie, die einseitigen
Berichte der einzelnen Partheien und ihrer Wort-
führer vernehmend, halb auf Gründe, halb auf
Willkühr gestützt, das neue Gesetz, oder das
neuregulirte alte Gesetz anticipiren, indeß dieses
Gesetz sich im vielseitigen, geschlossenen Streite
der Partheien allmählich, aber lebendig, vor der
Seele des Richters hätte bilden sollen? --

"Vor der Seele des Richters! -- Wer ist
denn dieser Richter?" wendet man mir sehr mit
Recht ein. Alle jene verschiedenen Entscheidun-
gen also, die in den zerstreueten Gerichtshöfen
eines Landes abgefaßt werden; alle jene divergen-
ten Ansichten und Interesses der Richter, von
denen die meisten auf ihren Standpunkten das
Interesse des Ganzen zu erwägen, oder die öko-
nomischen, administrativen Gesichtspunkte für die
vorliegende Rechtssache aufzufassen völlig unfä-
hig sind -- diese sollen gemeinschaftlich das Ge-
setz bilden? -- Eine halbrichtige Entscheidung
des Administrators, an die sich alle Richter bin-
den müssen, ist besser und gerechter, als die Er-
nennung eines ganzen Heeres von Richtern zu
Gesetzgebern, unter deren linkischer Vermittelung
am Ende alle großen, durch Jahrtausende be-
währten Grundsätze des Rechtes abhänden kom-
men. Man lese nur Burke's berühmte Be-

ſtrativen Behoͤrden — ſollen ſie, die einſeitigen
Berichte der einzelnen Partheien und ihrer Wort-
fuͤhrer vernehmend, halb auf Gruͤnde, halb auf
Willkuͤhr geſtuͤtzt, das neue Geſetz, oder das
neuregulirte alte Geſetz anticipiren, indeß dieſes
Geſetz ſich im vielſeitigen, geſchloſſenen Streite
der Partheien allmaͤhlich, aber lebendig, vor der
Seele des Richters haͤtte bilden ſollen? —

„Vor der Seele des Richters! — Wer iſt
denn dieſer Richter?” wendet man mir ſehr mit
Recht ein. Alle jene verſchiedenen Entſcheidun-
gen alſo, die in den zerſtreueten Gerichtshoͤfen
eines Landes abgefaßt werden; alle jene divergen-
ten Anſichten und Intereſſes der Richter, von
denen die meiſten auf ihren Standpunkten das
Intereſſe des Ganzen zu erwaͤgen, oder die oͤko-
nomiſchen, adminiſtrativen Geſichtspunkte fuͤr die
vorliegende Rechtsſache aufzufaſſen voͤllig unfaͤ-
hig ſind — dieſe ſollen gemeinſchaftlich das Ge-
ſetz bilden? — Eine halbrichtige Entſcheidung
des Adminiſtrators, an die ſich alle Richter bin-
den muͤſſen, iſt beſſer und gerechter, als die Er-
nennung eines ganzen Heeres von Richtern zu
Geſetzgebern, unter deren linkiſcher Vermittelung
am Ende alle großen, durch Jahrtauſende be-
waͤhrten Grundſaͤtze des Rechtes abhaͤnden kom-
men. Man leſe nur Burke’s beruͤhmte Be-

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[194/0228] ſtrativen Behoͤrden — ſollen ſie, die einſeitigen Berichte der einzelnen Partheien und ihrer Wort- fuͤhrer vernehmend, halb auf Gruͤnde, halb auf Willkuͤhr geſtuͤtzt, das neue Geſetz, oder das neuregulirte alte Geſetz anticipiren, indeß dieſes Geſetz ſich im vielſeitigen, geſchloſſenen Streite der Partheien allmaͤhlich, aber lebendig, vor der Seele des Richters haͤtte bilden ſollen? — „Vor der Seele des Richters! — Wer iſt denn dieſer Richter?” wendet man mir ſehr mit Recht ein. Alle jene verſchiedenen Entſcheidun- gen alſo, die in den zerſtreueten Gerichtshoͤfen eines Landes abgefaßt werden; alle jene divergen- ten Anſichten und Intereſſes der Richter, von denen die meiſten auf ihren Standpunkten das Intereſſe des Ganzen zu erwaͤgen, oder die oͤko- nomiſchen, adminiſtrativen Geſichtspunkte fuͤr die vorliegende Rechtsſache aufzufaſſen voͤllig unfaͤ- hig ſind — dieſe ſollen gemeinſchaftlich das Ge- ſetz bilden? — Eine halbrichtige Entſcheidung des Adminiſtrators, an die ſich alle Richter bin- den muͤſſen, iſt beſſer und gerechter, als die Er- nennung eines ganzen Heeres von Richtern zu Geſetzgebern, unter deren linkiſcher Vermittelung am Ende alle großen, durch Jahrtauſende be- waͤhrten Grundſaͤtze des Rechtes abhaͤnden kom- men. Man leſe nur Burke’s beruͤhmte Be-

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Zitationshilfe: Müller, Adam Heinrich: Die Elemente der Staatskunst. Bd. 1. Berlin, 1809, S. 194. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/mueller_staatskunst01_1809/228>, abgerufen am 26.05.2024.