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Müller, Adam Heinrich: Die Elemente der Staatskunst. Bd. 1. Berlin, 1809.

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seiner Privat-Rechtsschule wohl gelernt; aber
die Kunst des Vermittelns zwischen den bei-
den gleich- ewigen, gleich- nothwendigen Par-
theien fehlte ihm. -- Er hatte nicht eigentlich
die beiden Partheien lebendig und persönlich vor
sich, sondern die Sachen und ihre Anwendung
auf eine präsumirte Sache, ein präsumirtes
Grundgesetz, welches erst construirt werden muß-
te, damit der Privat-Richter sich in die neuen
kolossalen Rechtsverhältnisse überhaupt nur fin-
den konnte.

So trat nun in Frankreich an die Stelle
unzähliger Begriffe ein allgemeiner Grundbegriff,
die Freiheit, der alle die kleinen zerschmetterte,
aber nicht lange den Schein von Leben, mit wel-
chem er zuerst auftrat, bewahren konnte, son-
dern im Laufe der Zeiten vor einer Macht mit
Einsicht gepaart, um so gewisser verschwinden
mußte. --

Die Freiheit kann in keiner andern Gestalt
würdiger und passender dargestellt werden, als
in der ich sie gezeigt habe: sie ist die Erzeuge-
rin, die Mutter des Gesetzes. In dem tau-
sendfältigen Streite der Freiheit des Einen Bür-
gers mit der Gegenfreiheit aller übrigen entwik-
kelt sich das Gesetz; in dem Streite des beste-
henden Gesetzes, worin sich die Freiheit der ver-

gan-

ſeiner Privat-Rechtsſchule wohl gelernt; aber
die Kunſt des Vermittelns zwiſchen den bei-
den gleich- ewigen, gleich- nothwendigen Par-
theien fehlte ihm. — Er hatte nicht eigentlich
die beiden Partheien lebendig und perſoͤnlich vor
ſich, ſondern die Sachen und ihre Anwendung
auf eine praͤſumirte Sache, ein praͤſumirtes
Grundgeſetz, welches erſt conſtruirt werden muß-
te, damit der Privat-Richter ſich in die neuen
koloſſalen Rechtsverhaͤltniſſe uͤberhaupt nur fin-
den konnte.

So trat nun in Frankreich an die Stelle
unzaͤhliger Begriffe ein allgemeiner Grundbegriff,
die Freiheit, der alle die kleinen zerſchmetterte,
aber nicht lange den Schein von Leben, mit wel-
chem er zuerſt auftrat, bewahren konnte, ſon-
dern im Laufe der Zeiten vor einer Macht mit
Einſicht gepaart, um ſo gewiſſer verſchwinden
mußte. —

Die Freiheit kann in keiner andern Geſtalt
wuͤrdiger und paſſender dargeſtellt werden, als
in der ich ſie gezeigt habe: ſie iſt die Erzeuge-
rin, die Mutter des Geſetzes. In dem tau-
ſendfaͤltigen Streite der Freiheit des Einen Buͤr-
gers mit der Gegenfreiheit aller uͤbrigen entwik-
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[208/0242] ſeiner Privat-Rechtsſchule wohl gelernt; aber die Kunſt des Vermittelns zwiſchen den bei- den gleich- ewigen, gleich- nothwendigen Par- theien fehlte ihm. — Er hatte nicht eigentlich die beiden Partheien lebendig und perſoͤnlich vor ſich, ſondern die Sachen und ihre Anwendung auf eine praͤſumirte Sache, ein praͤſumirtes Grundgeſetz, welches erſt conſtruirt werden muß- te, damit der Privat-Richter ſich in die neuen koloſſalen Rechtsverhaͤltniſſe uͤberhaupt nur fin- den konnte. So trat nun in Frankreich an die Stelle unzaͤhliger Begriffe ein allgemeiner Grundbegriff, die Freiheit, der alle die kleinen zerſchmetterte, aber nicht lange den Schein von Leben, mit wel- chem er zuerſt auftrat, bewahren konnte, ſon- dern im Laufe der Zeiten vor einer Macht mit Einſicht gepaart, um ſo gewiſſer verſchwinden mußte. — Die Freiheit kann in keiner andern Geſtalt wuͤrdiger und paſſender dargeſtellt werden, als in der ich ſie gezeigt habe: ſie iſt die Erzeuge- rin, die Mutter des Geſetzes. In dem tau- ſendfaͤltigen Streite der Freiheit des Einen Buͤr- gers mit der Gegenfreiheit aller uͤbrigen entwik- kelt ſich das Geſetz; in dem Streite des beſte- henden Geſetzes, worin ſich die Freiheit der ver- gan-

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Zitationshilfe: Müller, Adam Heinrich: Die Elemente der Staatskunst. Bd. 1. Berlin, 1809, S. 208. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/mueller_staatskunst01_1809/242>, abgerufen am 22.11.2024.