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Müller, Adam Heinrich: Die Elemente der Staatskunst. Bd. 1. Berlin, 1809.

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und dadurch selbst wieder das Werk unsrer Be-
freiung zunicht machen? -- Herzählen können
wir sie nicht, und die Zeitgenossen werden sich
wahrscheinlich schon von selbst melden.

Aber an die Abwesenden, an die Raumge-
nossen, an die vergangenen und kommenden Ge-
nerationen, die der Leichtsinn der Gegenwart
am allerersten übersehen könnte, an sie, deren
Interesse in der Fessel des Begriffes liegt, deren
Worte man wie kalte Verstandesformeln, deren
hinterlassene Werke man als todtes Eigenthum
betrachtet, muß erinnert werden. Gesteht Ihr
ihnen nicht die Freiheit und das Leben zu, wel-
ches ihnen, der Natur der Sache nach, zu-
kommt; privilegirt Ihr die gegenwärtige Gene-
ration mit Freiheit vor allen vergangenen und
kommenden Geschlechtern: so habt Ihr einen
neuen Begriff für den alten, eine neue Tyran-
nei für die alte errichtet, und das kommende
Geschlecht wird Eure Freiheit eben so wenig re-
spectiren, wenn Ihr dereinst abwesend seid, als
Ihr die Freiheit Eurer abwesenden Väter geach-
tet habt. --

So liegt in dem stolzen Gefühl eigener Frei-
heit, wofern es nur consequent ist und sich wahr-
haft zu behaupten strebt, zugleich eine tiefe De-
muth, eine liebevolle Hingebung an das Ganze,

und dadurch ſelbſt wieder das Werk unſrer Be-
freiung zunicht machen? — Herzaͤhlen koͤnnen
wir ſie nicht, und die Zeitgenoſſen werden ſich
wahrſcheinlich ſchon von ſelbſt melden.

Aber an die Abweſenden, an die Raumge-
noſſen, an die vergangenen und kommenden Ge-
nerationen, die der Leichtſinn der Gegenwart
am allererſten uͤberſehen koͤnnte, an ſie, deren
Intereſſe in der Feſſel des Begriffes liegt, deren
Worte man wie kalte Verſtandesformeln, deren
hinterlaſſene Werke man als todtes Eigenthum
betrachtet, muß erinnert werden. Geſteht Ihr
ihnen nicht die Freiheit und das Leben zu, wel-
ches ihnen, der Natur der Sache nach, zu-
kommt; privilegirt Ihr die gegenwaͤrtige Gene-
ration mit Freiheit vor allen vergangenen und
kommenden Geſchlechtern: ſo habt Ihr einen
neuen Begriff fuͤr den alten, eine neue Tyran-
nei fuͤr die alte errichtet, und das kommende
Geſchlecht wird Eure Freiheit eben ſo wenig re-
ſpectiren, wenn Ihr dereinſt abweſend ſeid, als
Ihr die Freiheit Eurer abweſenden Vaͤter geach-
tet habt. —

So liegt in dem ſtolzen Gefuͤhl eigener Frei-
heit, wofern es nur conſequent iſt und ſich wahr-
haft zu behaupten ſtrebt, zugleich eine tiefe De-
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[214/0248] und dadurch ſelbſt wieder das Werk unſrer Be- freiung zunicht machen? — Herzaͤhlen koͤnnen wir ſie nicht, und die Zeitgenoſſen werden ſich wahrſcheinlich ſchon von ſelbſt melden. Aber an die Abweſenden, an die Raumge- noſſen, an die vergangenen und kommenden Ge- nerationen, die der Leichtſinn der Gegenwart am allererſten uͤberſehen koͤnnte, an ſie, deren Intereſſe in der Feſſel des Begriffes liegt, deren Worte man wie kalte Verſtandesformeln, deren hinterlaſſene Werke man als todtes Eigenthum betrachtet, muß erinnert werden. Geſteht Ihr ihnen nicht die Freiheit und das Leben zu, wel- ches ihnen, der Natur der Sache nach, zu- kommt; privilegirt Ihr die gegenwaͤrtige Gene- ration mit Freiheit vor allen vergangenen und kommenden Geſchlechtern: ſo habt Ihr einen neuen Begriff fuͤr den alten, eine neue Tyran- nei fuͤr die alte errichtet, und das kommende Geſchlecht wird Eure Freiheit eben ſo wenig re- ſpectiren, wenn Ihr dereinſt abweſend ſeid, als Ihr die Freiheit Eurer abweſenden Vaͤter geach- tet habt. — So liegt in dem ſtolzen Gefuͤhl eigener Frei- heit, wofern es nur conſequent iſt und ſich wahr- haft zu behaupten ſtrebt, zugleich eine tiefe De- muth, eine liebevolle Hingebung an das Ganze,

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Zitationshilfe: Müller, Adam Heinrich: Die Elemente der Staatskunst. Bd. 1. Berlin, 1809, S. 214. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/mueller_staatskunst01_1809/248>, abgerufen am 19.05.2024.