der Weise, wie gegen ein nothwendiges Uebel, das der Gerechtigkeit halber wie ein andres weltli- ches, sächliches Erbtheil aufrecht erhalten wer- den muß, zu Werke geht: giebt sie das Signal zu einer absoluten Trennung der Stände. Das persönliche, zum Heile des ganzen Staates, mit der Muttermilch eingesogene Gefühl des Adels kann sie nicht auslöschen: je mehr sie selbst die Auszeichnung öffentlich anerkennte, um so be- scheidener würde der Besitzer werden, und nun das angeerbte Gefühl durch selbsterworbene Ver- dienste zu schmücken streben; denn ein Vor- zug, den niemand läugnet, drückt auch nie- mand: durch die allgemeine Anerkennung unter- wirft man sich ihm mit Freiheit. Aber ein realer, von früheren Jahrhunderten anerkannter Vor- zug, den die jetzige Generation in Zweifel zie- hen will, den also jeder einzelne Eigenthümer desselben auf seine eigne Hand vertheidigen muß, drückt allerdings, eben weil sich die Idee des Vorzuges in einen Begriff verwandelt und nun, wie weltliches Eigenthum, wie eine Sache, ver- theidigt wird. Die Adeligen selbst verlieren durch die falsche Humanität einer solchen Regierung bald das persönliche Gefühl, d. h. die Idee des Adels: bald sehen sie selbst nichts mehr darin, als todten Besitz und Privilegium; und so ge-
der Weiſe, wie gegen ein nothwendiges Uebel, das der Gerechtigkeit halber wie ein andres weltli- ches, ſaͤchliches Erbtheil aufrecht erhalten wer- den muß, zu Werke geht: giebt ſie das Signal zu einer abſoluten Trennung der Staͤnde. Das perſoͤnliche, zum Heile des ganzen Staates, mit der Muttermilch eingeſogene Gefuͤhl des Adels kann ſie nicht ausloͤſchen: je mehr ſie ſelbſt die Auszeichnung oͤffentlich anerkennte, um ſo be- ſcheidener wuͤrde der Beſitzer werden, und nun das angeerbte Gefuͤhl durch ſelbſterworbene Ver- dienſte zu ſchmuͤcken ſtreben; denn ein Vor- zug, den niemand laͤugnet, druͤckt auch nie- mand: durch die allgemeine Anerkennung unter- wirft man ſich ihm mit Freiheit. Aber ein realer, von fruͤheren Jahrhunderten anerkannter Vor- zug, den die jetzige Generation in Zweifel zie- hen will, den alſo jeder einzelne Eigenthuͤmer deſſelben auf ſeine eigne Hand vertheidigen muß, druͤckt allerdings, eben weil ſich die Idee des Vorzuges in einen Begriff verwandelt und nun, wie weltliches Eigenthum, wie eine Sache, ver- theidigt wird. Die Adeligen ſelbſt verlieren durch die falſche Humanitaͤt einer ſolchen Regierung bald das perſoͤnliche Gefuͤhl, d. h. die Idee des Adels: bald ſehen ſie ſelbſt nichts mehr darin, als todten Beſitz und Privilegium; und ſo ge-
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der Weiſe, wie gegen ein nothwendiges Uebel, das
der Gerechtigkeit halber wie ein andres weltli-
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den muß, zu Werke geht: giebt ſie das Signal
zu einer abſoluten Trennung der Staͤnde. Das
perſoͤnliche, zum Heile des ganzen Staates, mit
der Muttermilch eingeſogene Gefuͤhl des Adels
kann ſie nicht ausloͤſchen: je mehr ſie ſelbſt die
Auszeichnung oͤffentlich anerkennte, um ſo be-
ſcheidener wuͤrde der Beſitzer werden, und nun
das angeerbte Gefuͤhl durch ſelbſterworbene Ver-
dienſte zu ſchmuͤcken ſtreben; denn ein Vor-
zug, den niemand laͤugnet, druͤckt auch nie-
mand: durch die allgemeine Anerkennung unter-
wirft man ſich ihm mit Freiheit. Aber ein realer,
von fruͤheren Jahrhunderten anerkannter Vor-
zug, den die jetzige Generation in Zweifel zie-
hen will, den alſo jeder einzelne Eigenthuͤmer
deſſelben auf ſeine eigne Hand vertheidigen muß,
druͤckt allerdings, eben weil ſich die Idee des
Vorzuges in einen Begriff verwandelt und nun,
wie weltliches Eigenthum, wie eine Sache, ver-
theidigt wird. Die Adeligen ſelbſt verlieren durch
die falſche Humanitaͤt einer ſolchen Regierung
bald das perſoͤnliche Gefuͤhl, d. h. die Idee des
Adels: bald ſehen ſie ſelbſt nichts mehr darin,
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Müller, Adam Heinrich: Die Elemente der Staatskunst. Bd. 1. Berlin, 1809, S. 261. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/mueller_staatskunst01_1809/295>, abgerufen am 22.11.2024.
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