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Müller, Adam Heinrich: Die Elemente der Staatskunst. Bd. 1. Berlin, 1809.

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alle jene wilde Völker, die den Stand der Natur
noch nicht verlassen haben? Wo steht denn Der,
welcher freiwillig oder gezwungen in ein Exil
geht? Stehen nicht eben so viele Menschen und
menschliche Angelegenheiten außerhalb, als in-
nerhalb des Staates?" --

Alle diese Einwürfe sind sehr gegründet, und
aus täglichen Erfahrungen, aus einer fast allge-
mein verbreiteten Denkungsart her genommen;
aber welche tiefe Corruption aller Ansichten vom
Staate leuchtet daraus hervor! -- Der Staat
ist demnach weiter nichts als ein einzelnes De-
partement der menschlichen Angelegenheiten; der
Mensch braucht Haus, Hof, Knecht, Magd,
Vieh und mancherlei Geräth, und unter diesem
Geräthe nun auch Staaten, d. h. große organi-
sirte Polizei-Anstalten, erweiterte Marechaus-
seen, damit er alles des groben Gepäckes, wel-
ches er auf die Lebensreise mitnehmen muß,
sicher sey. Oder: die Wissenschaften, die schö-
nen Künste, Freundschaft, Liebe, häusliches Glück
-- die sind das Wesentliche im Leben des gebil-
deten Mannes; um derentwillen ist er da. Der
Staat? -- je nun, der ist ein nothwendiges
Uebel; ein trauriger Nothbehelf in einer Welt,
worin es wenige Gebildete und sehr vielen nichts-
nutzigen und begierigen Pöbel giebt, der abge-

alle jene wilde Voͤlker, die den Stand der Natur
noch nicht verlaſſen haben? Wo ſteht denn Der,
welcher freiwillig oder gezwungen in ein Exil
geht? Stehen nicht eben ſo viele Menſchen und
menſchliche Angelegenheiten außerhalb, als in-
nerhalb des Staates?” —

Alle dieſe Einwuͤrfe ſind ſehr gegruͤndet, und
aus taͤglichen Erfahrungen, aus einer faſt allge-
mein verbreiteten Denkungsart her genommen;
aber welche tiefe Corruption aller Anſichten vom
Staate leuchtet daraus hervor! — Der Staat
iſt demnach weiter nichts als ein einzelnes De-
partement der menſchlichen Angelegenheiten; der
Menſch braucht Haus, Hof, Knecht, Magd,
Vieh und mancherlei Geraͤth, und unter dieſem
Geraͤthe nun auch Staaten, d. h. große organi-
ſirte Polizei-Anſtalten, erweiterte Marechauſ-
ſeen, damit er alles des groben Gepaͤckes, wel-
ches er auf die Lebensreiſe mitnehmen muß,
ſicher ſey. Oder: die Wiſſenſchaften, die ſchoͤ-
nen Kuͤnſte, Freundſchaft, Liebe, haͤusliches Gluͤck
— die ſind das Weſentliche im Leben des gebil-
deten Mannes; um derentwillen iſt er da. Der
Staat? — je nun, der iſt ein nothwendiges
Uebel; ein trauriger Nothbehelf in einer Welt,
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[41/0075] alle jene wilde Voͤlker, die den Stand der Natur noch nicht verlaſſen haben? Wo ſteht denn Der, welcher freiwillig oder gezwungen in ein Exil geht? Stehen nicht eben ſo viele Menſchen und menſchliche Angelegenheiten außerhalb, als in- nerhalb des Staates?” — Alle dieſe Einwuͤrfe ſind ſehr gegruͤndet, und aus taͤglichen Erfahrungen, aus einer faſt allge- mein verbreiteten Denkungsart her genommen; aber welche tiefe Corruption aller Anſichten vom Staate leuchtet daraus hervor! — Der Staat iſt demnach weiter nichts als ein einzelnes De- partement der menſchlichen Angelegenheiten; der Menſch braucht Haus, Hof, Knecht, Magd, Vieh und mancherlei Geraͤth, und unter dieſem Geraͤthe nun auch Staaten, d. h. große organi- ſirte Polizei-Anſtalten, erweiterte Marechauſ- ſeen, damit er alles des groben Gepaͤckes, wel- ches er auf die Lebensreiſe mitnehmen muß, ſicher ſey. Oder: die Wiſſenſchaften, die ſchoͤ- nen Kuͤnſte, Freundſchaft, Liebe, haͤusliches Gluͤck — die ſind das Weſentliche im Leben des gebil- deten Mannes; um derentwillen iſt er da. Der Staat? — je nun, der iſt ein nothwendiges Uebel; ein trauriger Nothbehelf in einer Welt, worin es wenige Gebildete und ſehr vielen nichts- nutzigen und begierigen Poͤbel giebt, der abge-

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Zitationshilfe: Müller, Adam Heinrich: Die Elemente der Staatskunst. Bd. 1. Berlin, 1809, S. 41. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/mueller_staatskunst01_1809/75>, abgerufen am 22.11.2024.