Herz, seine Liebe kann der Bürger dem Staate verweigern, schenken und zurücknehmen, wie er will. -- Sehen Sie da die Gebrechlichkeit aller unsrer Theorieen, die, um nur einen recht rund abgeschlossenen Begriff vom Staate geben zu kön- nen, lieber auf den schöneren Theil des menschlichen Wesens, auf die Gefühle und die Gedanken der Menschen, Verzicht leisten, und sich mit rohem Gehorsam, mit der Furcht der Beherrschten, anstatt aller Liebe, mit grober Tributzahlung begnügen, wo sie die innigste Hingebung, die uneingeschränkteste Aufopferung, begehren soll- ten. -- Sehen Sie, wie der ganze, dergestalt begriffsweise abgeschlossene Staat bloß für den vermeintlichen Friedenszustand berechnet ist, d. h. für einen Zustand, worin sich diese Zerstücke- lung des bürgerlichen Wesens in äußere und in- nere Handlungen, in Zwangs- und Gewissens- verhältnisse, praktisch ausführen läßt. Im soge- nannten Frieden läßt es sich denken, daß Recht und Moral, oder äußeres und inneres Leben, jedes seinen abgesonderten Weg geht; daß Stock und Halseisen auf der Einen Seite, und das moralische Urtheil auf der andern, ein besondres Regiment führen. Nun aber lassen Sie einen Krieg ausbrechen, worin der ganze Staat für Einen Mann stehen soll: -- ist da nicht das
Herz, ſeine Liebe kann der Buͤrger dem Staate verweigern, ſchenken und zuruͤcknehmen, wie er will. — Sehen Sie da die Gebrechlichkeit aller unſrer Theorieen, die, um nur einen recht rund abgeſchloſſenen Begriff vom Staate geben zu koͤn- nen, lieber auf den ſchoͤneren Theil des menſchlichen Weſens, auf die Gefuͤhle und die Gedanken der Menſchen, Verzicht leiſten, und ſich mit rohem Gehorſam, mit der Furcht der Beherrſchten, anſtatt aller Liebe, mit grober Tributzahlung begnuͤgen, wo ſie die innigſte Hingebung, die uneingeſchraͤnkteſte Aufopferung, begehren ſoll- ten. — Sehen Sie, wie der ganze, dergeſtalt begriffsweiſe abgeſchloſſene Staat bloß fuͤr den vermeintlichen Friedenszuſtand berechnet iſt, d. h. fuͤr einen Zuſtand, worin ſich dieſe Zerſtuͤcke- lung des buͤrgerlichen Weſens in aͤußere und in- nere Handlungen, in Zwangs- und Gewiſſens- verhaͤltniſſe, praktiſch ausfuͤhren laͤßt. Im ſoge- nannten Frieden laͤßt es ſich denken, daß Recht und Moral, oder aͤußeres und inneres Leben, jedes ſeinen abgeſonderten Weg geht; daß Stock und Halseiſen auf der Einen Seite, und das moraliſche Urtheil auf der andern, ein beſondres Regiment fuͤhren. Nun aber laſſen Sie einen Krieg ausbrechen, worin der ganze Staat fuͤr Einen Mann ſtehen ſoll: — iſt da nicht das
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Herz, ſeine Liebe kann der Buͤrger dem Staate
verweigern, ſchenken und zuruͤcknehmen, wie er
will. — Sehen Sie da die Gebrechlichkeit aller
unſrer Theorieen, die, um nur einen recht rund
abgeſchloſſenen Begriff vom Staate geben zu koͤn-
nen, lieber auf den ſchoͤneren Theil des menſchlichen
Weſens, auf die Gefuͤhle und die Gedanken der
Menſchen, Verzicht leiſten, und ſich mit rohem
Gehorſam, mit der Furcht der Beherrſchten,
anſtatt aller Liebe, mit grober Tributzahlung
begnuͤgen, wo ſie die innigſte Hingebung, die
uneingeſchraͤnkteſte Aufopferung, begehren ſoll-
ten. — Sehen Sie, wie der ganze, dergeſtalt
begriffsweiſe abgeſchloſſene Staat bloß fuͤr den
vermeintlichen Friedenszuſtand berechnet iſt, d.
h. fuͤr einen Zuſtand, worin ſich dieſe Zerſtuͤcke-
lung des buͤrgerlichen Weſens in aͤußere und in-
nere Handlungen, in Zwangs- und Gewiſſens-
verhaͤltniſſe, praktiſch ausfuͤhren laͤßt. Im ſoge-
nannten Frieden laͤßt es ſich denken, daß Recht
und Moral, oder aͤußeres und inneres Leben,
jedes ſeinen abgeſonderten Weg geht; daß Stock
und Halseiſen auf der Einen Seite, und das
moraliſche Urtheil auf der andern, ein beſondres
Regiment fuͤhren. Nun aber laſſen Sie einen
Krieg ausbrechen, worin der ganze Staat fuͤr
Einen Mann ſtehen ſoll: — iſt da nicht das
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Müller, Adam Heinrich: Die Elemente der Staatskunst. Bd. 1. Berlin, 1809, S. 44. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/mueller_staatskunst01_1809/78>, abgerufen am 22.11.2024.
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