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Müller, Adam Heinrich: Die Elemente der Staatskunst. Bd. 1. Berlin, 1809.

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Wer sich das Recht denkt, denkt sich unmittelbar
eine bestimmte Localität, einen bestimmten Fall,
wofür es Recht ist; das ist der natürliche, schöne
Drang des lebendigen Menschen nach lebendiger
Erkenntniß. Wer ein Gesetz, wie es da in Buch-
staben hingeschrieben steht, erkennt, der hat den
Begriff des Gesetzes, d. h. nichts als ein tod-
tes Wort; wer es in der Anwendung, oder,
was dasselbe sagen will, in der Bewegung
sieht, der hat ein Drittes, weder bloß die For-
mel, noch bloß etwas Positives oder einen be-
stimmten Fall. Und jenes Dritte, das ist nun
die Idee des Gesetzes, des Rechtes, die nie ab-
geschlossen oder fertig, sondern in unendlicher,
lebendiger Erweiterung begriffen ist. --

Der Staat aber ist eine große, bestimmte
Localität, und seine Gesetzgebung ist die Masse
der dazu gehörigen Formeln. Wer Beides, die
Localität und die Formeln, in einander, und so
in Bewegung betrachtet, der hat die Idee des
Staates; und da die Idee, so wie ich sie hier
construirt habe, selbst innerlich praktisch ist, so
kann er auch zur Stelle auf den Thron des-
selben Staates gesetzt werden, und wird ihn
regieren, weil er wachsen wird, wie der Staat
wächst. Die Idee kann das Leben allenthalben
hin begleiten und auf dasselbe wirken, weil sie

Wer ſich das Recht denkt, denkt ſich unmittelbar
eine beſtimmte Localitaͤt, einen beſtimmten Fall,
wofuͤr es Recht iſt; das iſt der natuͤrliche, ſchoͤne
Drang des lebendigen Menſchen nach lebendiger
Erkenntniß. Wer ein Geſetz, wie es da in Buch-
ſtaben hingeſchrieben ſteht, erkennt, der hat den
Begriff des Geſetzes, d. h. nichts als ein tod-
tes Wort; wer es in der Anwendung, oder,
was daſſelbe ſagen will, in der Bewegung
ſieht, der hat ein Drittes, weder bloß die For-
mel, noch bloß etwas Poſitives oder einen be-
ſtimmten Fall. Und jenes Dritte, das iſt nun
die Idee des Geſetzes, des Rechtes, die nie ab-
geſchloſſen oder fertig, ſondern in unendlicher,
lebendiger Erweiterung begriffen iſt. —

Der Staat aber iſt eine große, beſtimmte
Localitaͤt, und ſeine Geſetzgebung iſt die Maſſe
der dazu gehoͤrigen Formeln. Wer Beides, die
Localitaͤt und die Formeln, in einander, und ſo
in Bewegung betrachtet, der hat die Idee des
Staates; und da die Idee, ſo wie ich ſie hier
conſtruirt habe, ſelbſt innerlich praktiſch iſt, ſo
kann er auch zur Stelle auf den Thron deſ-
ſelben Staates geſetzt werden, und wird ihn
regieren, weil er wachſen wird, wie der Staat
waͤchſt. Die Idee kann das Leben allenthalben
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[58/0092] Wer ſich das Recht denkt, denkt ſich unmittelbar eine beſtimmte Localitaͤt, einen beſtimmten Fall, wofuͤr es Recht iſt; das iſt der natuͤrliche, ſchoͤne Drang des lebendigen Menſchen nach lebendiger Erkenntniß. Wer ein Geſetz, wie es da in Buch- ſtaben hingeſchrieben ſteht, erkennt, der hat den Begriff des Geſetzes, d. h. nichts als ein tod- tes Wort; wer es in der Anwendung, oder, was daſſelbe ſagen will, in der Bewegung ſieht, der hat ein Drittes, weder bloß die For- mel, noch bloß etwas Poſitives oder einen be- ſtimmten Fall. Und jenes Dritte, das iſt nun die Idee des Geſetzes, des Rechtes, die nie ab- geſchloſſen oder fertig, ſondern in unendlicher, lebendiger Erweiterung begriffen iſt. — Der Staat aber iſt eine große, beſtimmte Localitaͤt, und ſeine Geſetzgebung iſt die Maſſe der dazu gehoͤrigen Formeln. Wer Beides, die Localitaͤt und die Formeln, in einander, und ſo in Bewegung betrachtet, der hat die Idee des Staates; und da die Idee, ſo wie ich ſie hier conſtruirt habe, ſelbſt innerlich praktiſch iſt, ſo kann er auch zur Stelle auf den Thron deſ- ſelben Staates geſetzt werden, und wird ihn regieren, weil er wachſen wird, wie der Staat waͤchſt. Die Idee kann das Leben allenthalben hin begleiten und auf daſſelbe wirken, weil ſie

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Zitationshilfe: Müller, Adam Heinrich: Die Elemente der Staatskunst. Bd. 1. Berlin, 1809, S. 58. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/mueller_staatskunst01_1809/92>, abgerufen am 22.11.2024.