Wissenschaft und ihr Wesen zu ergründen, wenn eine absolute Grenze zwischen den idealen und den realen Besitzthümern des Lebens gezogen, und uns bloß die Eine Hälfte, die ideale, zuge- wiesen wird; wenn man uns die große, Eine, einfache Welt in zwei ewig geschiedene -- in die wirkliche des Staates, und in die eingebildete der Wissenschaften -- zerschneidet, und wir doch Menschen bleiben, die, selbst ganz und aus Einem Stücke, auch eine ganze und wie aus Einem Stücke gehauene Welt begehren, und nun von gerechter Sehnsucht wechselsweise aus der Einen in die andre, aus der Welt der Be- griffe in die Welt des realen Lebens, getrieben werden und doch nirgends zu Hause sind.
Es ist hinreichend klar: die Wissenschaft allein, und für sich, kann nichts erzeugen als Begriffe, so wenig wie das äußere, physische, praktische Leben lebendig verharren kann, wenn sich der Geist nicht damit zu ewiger Erzeugung der Ideen oder des wahren Lebens vereinigt. Wissenschaft und Staat sind, was sie seyn sollen, wenn sie beide Eins sind -- wie die Seele und der Kör- per Eins sind in demselben Leben, und nur der Begriff sie hoffnungslos zerschneidet und jedem Theil eine abgesonderte Heimath, einen verschie- denen Wirkungskreis zutheilt.
Das
Wiſſenſchaft und ihr Weſen zu ergruͤnden, wenn eine abſolute Grenze zwiſchen den idealen und den realen Beſitzthuͤmern des Lebens gezogen, und uns bloß die Eine Haͤlfte, die ideale, zuge- wieſen wird; wenn man uns die große, Eine, einfache Welt in zwei ewig geſchiedene — in die wirkliche des Staates, und in die eingebildete der Wiſſenſchaften — zerſchneidet, und wir doch Menſchen bleiben, die, ſelbſt ganz und aus Einem Stuͤcke, auch eine ganze und wie aus Einem Stuͤcke gehauene Welt begehren, und nun von gerechter Sehnſucht wechſelsweiſe aus der Einen in die andre, aus der Welt der Be- griffe in die Welt des realen Lebens, getrieben werden und doch nirgends zu Hauſe ſind.
Es iſt hinreichend klar: die Wiſſenſchaft allein, und fuͤr ſich, kann nichts erzeugen als Begriffe, ſo wenig wie das aͤußere, phyſiſche, praktiſche Leben lebendig verharren kann, wenn ſich der Geiſt nicht damit zu ewiger Erzeugung der Ideen oder des wahren Lebens vereinigt. Wiſſenſchaft und Staat ſind, was ſie ſeyn ſollen, wenn ſie beide Eins ſind — wie die Seele und der Koͤr- per Eins ſind in demſelben Leben, und nur der Begriff ſie hoffnungslos zerſchneidet und jedem Theil eine abgeſonderte Heimath, einen verſchie- denen Wirkungskreis zutheilt.
Das
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Wiſſenſchaft und ihr Weſen zu ergruͤnden, wenn
eine abſolute Grenze zwiſchen den idealen und
den realen Beſitzthuͤmern des Lebens gezogen,
und uns bloß die Eine Haͤlfte, die ideale, zuge-
wieſen wird; wenn man uns die große, Eine,
einfache Welt in zwei ewig geſchiedene — in die
wirkliche des Staates, und in die eingebildete
der Wiſſenſchaften — zerſchneidet, und wir
doch Menſchen bleiben, die, ſelbſt ganz und
aus Einem Stuͤcke, auch eine ganze und wie
aus Einem Stuͤcke gehauene Welt begehren, und
nun von gerechter Sehnſucht wechſelsweiſe aus
der Einen in die andre, aus der Welt der Be-
griffe in die Welt des realen Lebens, getrieben
werden und doch nirgends zu Hauſe ſind.
Es iſt hinreichend klar: die Wiſſenſchaft allein,
und fuͤr ſich, kann nichts erzeugen als Begriffe,
ſo wenig wie das aͤußere, phyſiſche, praktiſche
Leben lebendig verharren kann, wenn ſich der
Geiſt nicht damit zu ewiger Erzeugung der Ideen
oder des wahren Lebens vereinigt. Wiſſenſchaft
und Staat ſind, was ſie ſeyn ſollen, wenn ſie
beide Eins ſind — wie die Seele und der Koͤr-
per Eins ſind in demſelben Leben, und nur der
Begriff ſie hoffnungslos zerſchneidet und jedem
Theil eine abgeſonderte Heimath, einen verſchie-
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Müller, Adam Heinrich: Die Elemente der Staatskunst. Bd. 1. Berlin, 1809, S. 64. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/mueller_staatskunst01_1809/98>, abgerufen am 22.11.2024.
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