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Müller, Adam Heinrich: Die Elemente der Staatskunst. Bd. 2. Berlin, 1809.

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sogenannten Privatlebens, mit sich in ihrem gro-
ßen Laufe dahin nimmt. Nun ergreift die klei-
nen Halbmenschen eine theatralische Melancholie;
sie kommen sich in ihren Leiden gewiß vornehm
vor; sie buhlen mit Rach- und Mordgedanken;
sie verschwören sich, sie wähnen, den Feind und
Zerstörer des Staates zu hassen, und sie brü-
sten sich mit diesem Wahn. --

Wenn ihr gründlich hassen wollt, so zeigt
mir zuvörderst gründliche Liebe, nicht zu dem al-
ten Friedenselende, nicht zu weltlichem Habe
und Gut, nicht zu einzelnen Privatlieblingen,
(denn dazu reicht der Instinct hin) -- sondern
zu einem lebendigen, gesellschaftlichen Ganzen!
Zeigt mir eine Liebe, die nicht zu sagen weiß,
ob sie das Irdische oder das Unsichtbare am
Staate mehr liebt; die nicht zu sagen weiß, ob
sie den Staat mehr um der Erinnerungen, oder
mehr um der gegenwärtigen Freiheit, oder mehr
um der Hoffnungen auf die Zukunft willen liebt.
Das ist eine siegreiche Liebe! Neben ihr steht ein
Haß, dessen Pfeil sicher trifft. --

Den Staat nun als Gegenstand einer unend-
lichen Liebe darzustellen, hatte ich mir vorgesetzt;
ich wollte zeigen, daß alle die hoffnungslos und
ohnmächtig zerstreueten Gedanken des Lebens, al-
les Interesse und alles Gewissen zurückgeleitet

ſogenannten Privatlebens, mit ſich in ihrem gro-
ßen Laufe dahin nimmt. Nun ergreift die klei-
nen Halbmenſchen eine theatraliſche Melancholie;
ſie kommen ſich in ihren Leiden gewiß vornehm
vor; ſie buhlen mit Rach- und Mordgedanken;
ſie verſchwoͤren ſich, ſie waͤhnen, den Feind und
Zerſtoͤrer des Staates zu haſſen, und ſie bruͤ-
ſten ſich mit dieſem Wahn. —

Wenn ihr gruͤndlich haſſen wollt, ſo zeigt
mir zuvoͤrderſt gruͤndliche Liebe, nicht zu dem al-
ten Friedenselende, nicht zu weltlichem Habe
und Gut, nicht zu einzelnen Privatlieblingen,
(denn dazu reicht der Inſtinct hin) — ſondern
zu einem lebendigen, geſellſchaftlichen Ganzen!
Zeigt mir eine Liebe, die nicht zu ſagen weiß,
ob ſie das Irdiſche oder das Unſichtbare am
Staate mehr liebt; die nicht zu ſagen weiß, ob
ſie den Staat mehr um der Erinnerungen, oder
mehr um der gegenwaͤrtigen Freiheit, oder mehr
um der Hoffnungen auf die Zukunft willen liebt.
Das iſt eine ſiegreiche Liebe! Neben ihr ſteht ein
Haß, deſſen Pfeil ſicher trifft. —

Den Staat nun als Gegenſtand einer unend-
lichen Liebe darzuſtellen, hatte ich mir vorgeſetzt;
ich wollte zeigen, daß alle die hoffnungslos und
ohnmaͤchtig zerſtreueten Gedanken des Lebens, al-
les Intereſſe und alles Gewiſſen zuruͤckgeleitet

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[6/0014] ſogenannten Privatlebens, mit ſich in ihrem gro- ßen Laufe dahin nimmt. Nun ergreift die klei- nen Halbmenſchen eine theatraliſche Melancholie; ſie kommen ſich in ihren Leiden gewiß vornehm vor; ſie buhlen mit Rach- und Mordgedanken; ſie verſchwoͤren ſich, ſie waͤhnen, den Feind und Zerſtoͤrer des Staates zu haſſen, und ſie bruͤ- ſten ſich mit dieſem Wahn. — Wenn ihr gruͤndlich haſſen wollt, ſo zeigt mir zuvoͤrderſt gruͤndliche Liebe, nicht zu dem al- ten Friedenselende, nicht zu weltlichem Habe und Gut, nicht zu einzelnen Privatlieblingen, (denn dazu reicht der Inſtinct hin) — ſondern zu einem lebendigen, geſellſchaftlichen Ganzen! Zeigt mir eine Liebe, die nicht zu ſagen weiß, ob ſie das Irdiſche oder das Unſichtbare am Staate mehr liebt; die nicht zu ſagen weiß, ob ſie den Staat mehr um der Erinnerungen, oder mehr um der gegenwaͤrtigen Freiheit, oder mehr um der Hoffnungen auf die Zukunft willen liebt. Das iſt eine ſiegreiche Liebe! Neben ihr ſteht ein Haß, deſſen Pfeil ſicher trifft. — Den Staat nun als Gegenſtand einer unend- lichen Liebe darzuſtellen, hatte ich mir vorgeſetzt; ich wollte zeigen, daß alle die hoffnungslos und ohnmaͤchtig zerſtreueten Gedanken des Lebens, al- les Intereſſe und alles Gewiſſen zuruͤckgeleitet

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Zitationshilfe: Müller, Adam Heinrich: Die Elemente der Staatskunst. Bd. 2. Berlin, 1809, S. 6. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/mueller_staatskunst02_1809/14>, abgerufen am 23.11.2024.