fühl des Mittelalters, welches die Institute jener- Zeit unterstützte und ihnen den herrlichsten Sinn gab, konnte aussterben, oder ausarten, verdrängt werden durch andre minder menschliche Gefühle für Gold, für Römische und Griechische Poli- tur, für Aufklärung des Verstandes -- der Ver- stand und das Bewußtseyn mußte erst den Ge- fühlen Kraft und Haltung geben, und so die organische Verbindung möglich machen. Das ist nun der wahre Sinn der drei letzten Jahrhun- derte: nicht das Wiederaufleben der Wissenschaf- ten, nicht die Erweiterung des menschlichen Ge- sichtskreises an sich, sind, wie man gewöhnlich glaubt, der Gewinn dieser Zeiten. An sich tau- gen weder Wissenschaft, noch Universalität, noch aller Flitterstaat unseres modernen Lebens etwas. Aber daß durch alle diese Verirrungen endlich in dem von eigener Aufklärung gepeinigten, von eignem Protestamtismus zernagten Innersten die- ses Geschlechtes, ein Verstand gebildet werden mag, der sich mit den tüchtigen Gefühlen des Mittelalters verbinden kann, ohne sie auszu- schließen; der von dem Geiste der Institute im Mittelalter erfüllt werden kann, ohne sie hand- werksmäßig nachzuahmen; der die unzähligen verlassenen, aber unzerstörbaren, Monumente des Mittelalters in Gesetz, Sitte und Kunst wieder
fuͤhl des Mittelalters, welches die Inſtitute jener- Zeit unterſtuͤtzte und ihnen den herrlichſten Sinn gab, konnte ausſterben, oder ausarten, verdraͤngt werden durch andre minder menſchliche Gefuͤhle fuͤr Gold, fuͤr Roͤmiſche und Griechiſche Poli- tur, fuͤr Aufklaͤrung des Verſtandes — der Ver- ſtand und das Bewußtſeyn mußte erſt den Ge- fuͤhlen Kraft und Haltung geben, und ſo die organiſche Verbindung moͤglich machen. Das iſt nun der wahre Sinn der drei letzten Jahrhun- derte: nicht das Wiederaufleben der Wiſſenſchaf- ten, nicht die Erweiterung des menſchlichen Ge- ſichtskreiſes an ſich, ſind, wie man gewoͤhnlich glaubt, der Gewinn dieſer Zeiten. An ſich tau- gen weder Wiſſenſchaft, noch Univerſalitaͤt, noch aller Flitterſtaat unſeres modernen Lebens etwas. Aber daß durch alle dieſe Verirrungen endlich in dem von eigener Aufklaͤrung gepeinigten, von eignem Proteſtamtismus zernagten Innerſten die- ſes Geſchlechtes, ein Verſtand gebildet werden mag, der ſich mit den tuͤchtigen Gefuͤhlen des Mittelalters verbinden kann, ohne ſie auszu- ſchließen; der von dem Geiſte der Inſtitute im Mittelalter erfuͤllt werden kann, ohne ſie hand- werksmaͤßig nachzuahmen; der die unzaͤhligen verlaſſenen, aber unzerſtoͤrbaren, Monumente des Mittelalters in Geſetz, Sitte und Kunſt wieder
<TEI><text><body><divn="1"><divn="2"><divn="3"><p><pbfacs="#f0143"n="135"/>
fuͤhl des Mittelalters, welches die Inſtitute jener-<lb/>
Zeit unterſtuͤtzte und ihnen den herrlichſten Sinn<lb/>
gab, konnte ausſterben, oder ausarten, verdraͤngt<lb/>
werden durch andre minder menſchliche Gefuͤhle<lb/>
fuͤr Gold, fuͤr Roͤmiſche und Griechiſche Poli-<lb/>
tur, fuͤr Aufklaͤrung des Verſtandes — der Ver-<lb/>ſtand und das Bewußtſeyn mußte erſt den Ge-<lb/>
fuͤhlen Kraft und Haltung geben, und ſo die<lb/>
organiſche Verbindung moͤglich machen. Das iſt<lb/>
nun der wahre Sinn der drei letzten Jahrhun-<lb/>
derte: nicht das Wiederaufleben der Wiſſenſchaf-<lb/>
ten, nicht die Erweiterung des menſchlichen Ge-<lb/>ſichtskreiſes an ſich, ſind, wie man gewoͤhnlich<lb/>
glaubt, der Gewinn dieſer Zeiten. An ſich tau-<lb/>
gen weder Wiſſenſchaft, noch Univerſalitaͤt, noch<lb/>
aller Flitterſtaat unſeres modernen Lebens etwas.<lb/>
Aber daß durch alle dieſe Verirrungen endlich in<lb/>
dem von eigener Aufklaͤrung gepeinigten, von<lb/>
eignem Proteſtamtismus zernagten Innerſten die-<lb/>ſes Geſchlechtes, ein Verſtand gebildet werden<lb/>
mag, der ſich mit den tuͤchtigen Gefuͤhlen des<lb/>
Mittelalters verbinden kann, ohne ſie auszu-<lb/>ſchließen; der von dem Geiſte der Inſtitute im<lb/>
Mittelalter erfuͤllt werden kann, ohne ſie hand-<lb/>
werksmaͤßig nachzuahmen; der die unzaͤhligen<lb/>
verlaſſenen, aber unzerſtoͤrbaren, Monumente des<lb/>
Mittelalters in Geſetz, Sitte und Kunſt wieder<lb/></p></div></div></div></body></text></TEI>
[135/0143]
fuͤhl des Mittelalters, welches die Inſtitute jener-
Zeit unterſtuͤtzte und ihnen den herrlichſten Sinn
gab, konnte ausſterben, oder ausarten, verdraͤngt
werden durch andre minder menſchliche Gefuͤhle
fuͤr Gold, fuͤr Roͤmiſche und Griechiſche Poli-
tur, fuͤr Aufklaͤrung des Verſtandes — der Ver-
ſtand und das Bewußtſeyn mußte erſt den Ge-
fuͤhlen Kraft und Haltung geben, und ſo die
organiſche Verbindung moͤglich machen. Das iſt
nun der wahre Sinn der drei letzten Jahrhun-
derte: nicht das Wiederaufleben der Wiſſenſchaf-
ten, nicht die Erweiterung des menſchlichen Ge-
ſichtskreiſes an ſich, ſind, wie man gewoͤhnlich
glaubt, der Gewinn dieſer Zeiten. An ſich tau-
gen weder Wiſſenſchaft, noch Univerſalitaͤt, noch
aller Flitterſtaat unſeres modernen Lebens etwas.
Aber daß durch alle dieſe Verirrungen endlich in
dem von eigener Aufklaͤrung gepeinigten, von
eignem Proteſtamtismus zernagten Innerſten die-
ſes Geſchlechtes, ein Verſtand gebildet werden
mag, der ſich mit den tuͤchtigen Gefuͤhlen des
Mittelalters verbinden kann, ohne ſie auszu-
ſchließen; der von dem Geiſte der Inſtitute im
Mittelalter erfuͤllt werden kann, ohne ſie hand-
werksmaͤßig nachzuahmen; der die unzaͤhligen
verlaſſenen, aber unzerſtoͤrbaren, Monumente des
Mittelalters in Geſetz, Sitte und Kunſt wieder
Informationen zur CAB-Ansicht
Diese Ansicht bietet Ihnen die Darstellung des Textes in normalisierter Orthographie.
Diese Textvariante wird vollautomatisch erstellt und kann aufgrund dessen auch Fehler enthalten.
Alle veränderten Wortformen sind grau hinterlegt. Als fremdsprachliches Material erkannte
Textteile sind ausgegraut dargestellt.
Müller, Adam Heinrich: Die Elemente der Staatskunst. Bd. 2. Berlin, 1809, S. 135. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/mueller_staatskunst02_1809/143>, abgerufen am 21.11.2024.
Alle Inhalte dieser Seite unterstehen, soweit nicht anders gekennzeichnet, einer
Creative-Commons-Lizenz.
Die Rechte an den angezeigten Bilddigitalisaten, soweit nicht anders gekennzeichnet, liegen bei den besitzenden Bibliotheken.
Weitere Informationen finden Sie in den DTA-Nutzungsbedingungen.
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf
diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken
dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder
nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der
Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden.
Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des
§ 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen
Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung
der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu
vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
Zitierempfehlung: Deutsches Textarchiv. Grundlage für ein Referenzkorpus der neuhochdeutschen Sprache. Herausgegeben von der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften, Berlin 2024. URL: https://www.deutschestextarchiv.de/.