geben. Die gleichzeitigen, die im Raume getrennten und in demselben Moment über die ganze Erde verstreueten werden von der Natur gewaltig verknüpft durch das Geschlechtsverhält- niß, durch die Geschlechtsliebe; die in der Zeit getrennten, auf derselben Stelle der Welt einander ablösenden -- gleichräumigen habe ich sie genannt -- werden verbunden durch eine andre, ganz entgegengesetzte Art der Liebe, durch die Liebe, welche das Kleinere und Größere, das Schwächere und Stärkere an einander knüpft, und welche in der Familie ihr ewiges Muster an der kindlichen Liebe zu dem hülflosen Alter und zu der hülflosen Kindheit hat. Wiewohl sich nun sagen läßt, daß es, außer der Ge- schlechtsliebe, unter den gleichzeitigen Menschen noch andre eben so natürliche Bande der Nei- gung, der Freundschaft, des gegenseitigen Be- dürfnisses gebe, eben so, außer der kindlichen Liebe, unter den auf einander Folgenden noch die Bande der Unterthanen und Dienenden mit den Herren und Patriarchen, u. s. w.: so sind doch alle diese Verbindungen spätere, abgeleitete, dem Wechsel der Formen und der Willkühr der Menschen mehr unterworfene, hingegen die Ban- de der Geschlechtsliebe und der kindlichen Liebe allenthalben und zu allen Zeiten von gleicher un-
um-
geben. Die gleichzeitigen, die im Raume getrennten und in demſelben Moment uͤber die ganze Erde verſtreueten werden von der Natur gewaltig verknuͤpft durch das Geſchlechtsverhaͤlt- niß, durch die Geſchlechtsliebe; die in der Zeit getrennten, auf derſelben Stelle der Welt einander abloͤſenden — gleichraͤumigen habe ich ſie genannt — werden verbunden durch eine andre, ganz entgegengeſetzte Art der Liebe, durch die Liebe, welche das Kleinere und Groͤßere, das Schwaͤchere und Staͤrkere an einander knuͤpft, und welche in der Familie ihr ewiges Muſter an der kindlichen Liebe zu dem huͤlfloſen Alter und zu der huͤlfloſen Kindheit hat. Wiewohl ſich nun ſagen laͤßt, daß es, außer der Ge- ſchlechtsliebe, unter den gleichzeitigen Menſchen noch andre eben ſo natuͤrliche Bande der Nei- gung, der Freundſchaft, des gegenſeitigen Be- duͤrfniſſes gebe, eben ſo, außer der kindlichen Liebe, unter den auf einander Folgenden noch die Bande der Unterthanen und Dienenden mit den Herren und Patriarchen, u. ſ. w.: ſo ſind doch alle dieſe Verbindungen ſpaͤtere, abgeleitete, dem Wechſel der Formen und der Willkuͤhr der Menſchen mehr unterworfene, hingegen die Ban- de der Geſchlechtsliebe und der kindlichen Liebe allenthalben und zu allen Zeiten von gleicher un-
um-
<TEI><text><body><divn="1"><divn="2"><divn="3"><p><pbfacs="#f0072"n="64"/>
geben. Die <hirendition="#g">gleichzeitigen</hi>, die im Raume<lb/>
getrennten und in demſelben Moment uͤber die<lb/>
ganze Erde verſtreueten werden von der Natur<lb/>
gewaltig verknuͤpft durch das Geſchlechtsverhaͤlt-<lb/>
niß, durch die <hirendition="#g">Geſchlechtsliebe</hi>; die in der<lb/>
Zeit getrennten, auf derſelben Stelle der Welt<lb/>
einander abloͤſenden —<hirendition="#g">gleichraͤumigen</hi> habe<lb/>
ich ſie genannt — werden verbunden durch eine<lb/>
andre, ganz entgegengeſetzte Art der Liebe, durch<lb/>
die Liebe, welche das Kleinere und Groͤßere, das<lb/>
Schwaͤchere und Staͤrkere an einander knuͤpft,<lb/>
und welche in der Familie ihr ewiges Muſter an<lb/>
der <hirendition="#g">kindlichen Liebe</hi> zu dem huͤlfloſen Alter<lb/>
und zu der huͤlfloſen Kindheit hat. Wiewohl<lb/>ſich nun ſagen laͤßt, daß es, außer der Ge-<lb/>ſchlechtsliebe, unter den gleichzeitigen Menſchen<lb/>
noch andre eben ſo natuͤrliche Bande der Nei-<lb/>
gung, der Freundſchaft, des gegenſeitigen Be-<lb/>
duͤrfniſſes gebe, eben ſo, außer der kindlichen<lb/>
Liebe, unter den auf einander Folgenden noch<lb/>
die Bande der Unterthanen und Dienenden mit<lb/>
den Herren und Patriarchen, u. ſ. w.: ſo ſind<lb/>
doch alle dieſe Verbindungen ſpaͤtere, abgeleitete,<lb/>
dem Wechſel der Formen und der Willkuͤhr der<lb/>
Menſchen mehr unterworfene, hingegen die Ban-<lb/>
de der Geſchlechtsliebe und der kindlichen Liebe<lb/>
allenthalben und zu allen Zeiten von gleicher un-<lb/><fwplace="bottom"type="catch">um-</fw><lb/></p></div></div></div></body></text></TEI>
[64/0072]
geben. Die gleichzeitigen, die im Raume
getrennten und in demſelben Moment uͤber die
ganze Erde verſtreueten werden von der Natur
gewaltig verknuͤpft durch das Geſchlechtsverhaͤlt-
niß, durch die Geſchlechtsliebe; die in der
Zeit getrennten, auf derſelben Stelle der Welt
einander abloͤſenden — gleichraͤumigen habe
ich ſie genannt — werden verbunden durch eine
andre, ganz entgegengeſetzte Art der Liebe, durch
die Liebe, welche das Kleinere und Groͤßere, das
Schwaͤchere und Staͤrkere an einander knuͤpft,
und welche in der Familie ihr ewiges Muſter an
der kindlichen Liebe zu dem huͤlfloſen Alter
und zu der huͤlfloſen Kindheit hat. Wiewohl
ſich nun ſagen laͤßt, daß es, außer der Ge-
ſchlechtsliebe, unter den gleichzeitigen Menſchen
noch andre eben ſo natuͤrliche Bande der Nei-
gung, der Freundſchaft, des gegenſeitigen Be-
duͤrfniſſes gebe, eben ſo, außer der kindlichen
Liebe, unter den auf einander Folgenden noch
die Bande der Unterthanen und Dienenden mit
den Herren und Patriarchen, u. ſ. w.: ſo ſind
doch alle dieſe Verbindungen ſpaͤtere, abgeleitete,
dem Wechſel der Formen und der Willkuͤhr der
Menſchen mehr unterworfene, hingegen die Ban-
de der Geſchlechtsliebe und der kindlichen Liebe
allenthalben und zu allen Zeiten von gleicher un-
um-
Informationen zur CAB-Ansicht
Diese Ansicht bietet Ihnen die Darstellung des Textes in normalisierter Orthographie.
Diese Textvariante wird vollautomatisch erstellt und kann aufgrund dessen auch Fehler enthalten.
Alle veränderten Wortformen sind grau hinterlegt. Als fremdsprachliches Material erkannte
Textteile sind ausgegraut dargestellt.
Müller, Adam Heinrich: Die Elemente der Staatskunst. Bd. 2. Berlin, 1809, S. 64. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/mueller_staatskunst02_1809/72>, abgerufen am 23.11.2024.
Alle Inhalte dieser Seite unterstehen, soweit nicht anders gekennzeichnet, einer
Creative-Commons-Lizenz.
Die Rechte an den angezeigten Bilddigitalisaten, soweit nicht anders gekennzeichnet, liegen bei den besitzenden Bibliotheken.
Weitere Informationen finden Sie in den DTA-Nutzungsbedingungen.
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf
diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken
dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder
nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der
Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden.
Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des
§ 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen
Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung
der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu
vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
Zitierempfehlung: Deutsches Textarchiv. Grundlage für ein Referenzkorpus der neuhochdeutschen Sprache. Herausgegeben von der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften, Berlin 2024. URL: https://www.deutschestextarchiv.de/.