Münter, Balthasar: Bekehrungsgeschichte des vormaligen Grafen [...] Johann Friederich Struensee. Kopenhagen, 1772.verbunden alle Zeit, die Sie noch übrig haben, dar- auf zu wenden. Jch bat ihn nun mir von seinem Religionssystem theilig
verbunden alle Zeit, die Sie noch uͤbrig haben, dar- auf zu wenden. Jch bat ihn nun mir von ſeinem Religionsſyſtem theilig
<TEI> <text> <body> <div n="1"> <p><pb facs="#f0022" n="10"/><milestone rendition="#hr" unit="section"/><lb/> verbunden alle Zeit, die Sie noch uͤbrig haben, dar-<lb/> auf zu wenden.</p><lb/> <p>Jch bat ihn nun mir von ſeinem Religionsſyſtem<lb/> Nachricht zu geben, um darnach beurtheilen zu koͤnnen,<lb/> wie weit wir etwa in unſern Meynungen von einander<lb/> abſtuͤnden. Jch vermuhte ſehr, ſagte ich, daß Sie kein<lb/> Chriſt ſind. Sie koͤnnen leicht einſehen, wie ſehr ich<lb/> wuͤnſchen muͤſſe, daß Sie es werden moͤgen. Dennoch<lb/> iſt es gar nicht meine Abſicht Jhnen das Chriſtenthum<lb/> aufzudringen: ich hoffe vielmehr es Jhnen ſo wichtig<lb/> und liebenswuͤrdig machen zu koͤnnen, daß Sie es ſelbſt<lb/> fuͤr ein unentbehrliches Beduͤrfniß fuͤr ſich halten werden.<lb/> Er antwortete mir: Er ſey freylich weit davon entfernt<lb/> ein Chriſt zu ſeyn, indeſſen erkenne und verehre er ein<lb/> hoͤchſtes Weſen, und glaube, daß die Welt und das<lb/> menſchliche Geſchlecht von Gott ihren Urſprung haben.<lb/> — Daß der Menſch aus zwo Subſtanzen beſtehe, davon<lb/> habe er ſich nie uͤberzeugen koͤnnen. Er hielte ſich und<lb/> alle Menſchen fuͤr bloße Maſchinen. Er habe dieſe Hy-<lb/> potheſe nicht aus dem la Mettrie genommen, welchen er<lb/> nie geleſen habe, ſondern ſich dieſelbe ſelbſt durch eignes<lb/> Nachdenken gebildet. Gott ſey es, der die menſchliche<lb/> Maſchine zuerſt in Bewegung ſetze, wenn ſie aber ſtocke,<lb/> das iſt, wenn der Menſch ſterbe, ſo ſey fuͤr ihn<lb/> nichts weiter zu hoffen noch zu fuͤrchten. — Die<lb/> Freyheit wollte er dem Menſchen nicht abſprechen, doch<lb/> wuͤrden ſeine freyen Handlungen durch die Empfindun-<lb/> gen beſtimmt. Es ſey alſo allerdings Moralitaͤt in den<lb/> Handlungen, aber nur in ſo fern ſie fuͤr die Geſellſchaft<lb/> Folgen haͤtten. An ſich ſelbſt ſey alles, was der Menſch<lb/> thun koͤnne, gleichguͤltig, Gott bekuͤmmere ſich um un-<lb/> ſre Unternehmungen nicht, und wenn der Menſch die<lb/> Folgen ſeiner Handlungen in ſeiner Gewalt haͤtte, und<lb/> verhindern koͤnnte, daß ſie der Geſellſchaft nicht nach-<lb/> <fw place="bottom" type="catch">theilig</fw><lb/></p> </div> </body> </text> </TEI> [10/0022]
verbunden alle Zeit, die Sie noch uͤbrig haben, dar-
auf zu wenden.
Jch bat ihn nun mir von ſeinem Religionsſyſtem
Nachricht zu geben, um darnach beurtheilen zu koͤnnen,
wie weit wir etwa in unſern Meynungen von einander
abſtuͤnden. Jch vermuhte ſehr, ſagte ich, daß Sie kein
Chriſt ſind. Sie koͤnnen leicht einſehen, wie ſehr ich
wuͤnſchen muͤſſe, daß Sie es werden moͤgen. Dennoch
iſt es gar nicht meine Abſicht Jhnen das Chriſtenthum
aufzudringen: ich hoffe vielmehr es Jhnen ſo wichtig
und liebenswuͤrdig machen zu koͤnnen, daß Sie es ſelbſt
fuͤr ein unentbehrliches Beduͤrfniß fuͤr ſich halten werden.
Er antwortete mir: Er ſey freylich weit davon entfernt
ein Chriſt zu ſeyn, indeſſen erkenne und verehre er ein
hoͤchſtes Weſen, und glaube, daß die Welt und das
menſchliche Geſchlecht von Gott ihren Urſprung haben.
— Daß der Menſch aus zwo Subſtanzen beſtehe, davon
habe er ſich nie uͤberzeugen koͤnnen. Er hielte ſich und
alle Menſchen fuͤr bloße Maſchinen. Er habe dieſe Hy-
potheſe nicht aus dem la Mettrie genommen, welchen er
nie geleſen habe, ſondern ſich dieſelbe ſelbſt durch eignes
Nachdenken gebildet. Gott ſey es, der die menſchliche
Maſchine zuerſt in Bewegung ſetze, wenn ſie aber ſtocke,
das iſt, wenn der Menſch ſterbe, ſo ſey fuͤr ihn
nichts weiter zu hoffen noch zu fuͤrchten. — Die
Freyheit wollte er dem Menſchen nicht abſprechen, doch
wuͤrden ſeine freyen Handlungen durch die Empfindun-
gen beſtimmt. Es ſey alſo allerdings Moralitaͤt in den
Handlungen, aber nur in ſo fern ſie fuͤr die Geſellſchaft
Folgen haͤtten. An ſich ſelbſt ſey alles, was der Menſch
thun koͤnne, gleichguͤltig, Gott bekuͤmmere ſich um un-
ſre Unternehmungen nicht, und wenn der Menſch die
Folgen ſeiner Handlungen in ſeiner Gewalt haͤtte, und
verhindern koͤnnte, daß ſie der Geſellſchaft nicht nach-
theilig
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