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Münter, Balthasar: Bekehrungsgeschichte des vormaligen Grafen [...] Johann Friederich Struensee. Kopenhagen, 1772.

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öffentlichen Schulen erhält: doch war es meine Schuld,
daß ich mir die besondern Unterweisungen und das Beyspiel
meiner Eltern nicht besser zu Nutze machte. Seit meinem
vierzehenden Jahre beschäfftigte ich mich bloß mit der Erler-
nung der Arzneywissenschaft. Wenn ich nachher viele Zeit
auf die Lectür anderer Art gewendet habe: so geschah es
allein zu meinem Vergnügen, und um die Kenntnisse, mein
Glück zu machen, zu erweitern. Die Heftigkeit der Begier-
den, mit welcher ich mich allen sinnlichen Vergnügen und
Ausschweifungen in meiner Jugend überließ, erlaubte mir
kaum an die Sittlichkeit, noch viel weniger an die Reli-
gion, zu denken.

Als die Erfahrung mich nachher lehrte, wie wenige
Zufriedenheit in dem unordentlichen Genuß dergleichen
Vergnügungen zu finden sey, und ich durch Nachdenken
überzeugt ward, daß meine Glückseeligkeit eine gewisse in-
nere Befriedigung erfordere, die weder durch die Erfül-
lung einzelner Pflichten, noch durch die Unterlassung grö-
berer Laster erhalten werden könne: so suchte ich mir gewisse
Grundsätze einzuprägen, die ich diesem Endzweck gemäß
hielt. Allein mit was für einer Verfassung unternahm ich
dieß? Mein Gedächtniß, angefüllt mit moralischen
Grundsätzen, aber auch zugleich mit den Entschuldigungen
einer gefälligen Vernunft gegen die Schwachheiten und
Fehler des menschlichen Herzens; mein Verstand einge-
nommen mit Zweifeln und Schwierigkeiten gegen die Unsi-
cherheit der Hülfsmittel zur Wahrheit und Gewißheit zu
kommen; und mein Wille, wo nicht fest entschlossen, doch
heimlich sehr geneigt, meine Pflichten so zu bestimmen, daß
ich nicht genöthigt seyn möchte meine Lieblingsneigungen
dabey aufzuopfern: das waren die Führer bey den Untersu-
chungen, so ich anstellte.

Jch setzte zum Voraus, daß in einer Sache, so die
einzelne Glückseeligkeit eines Menschen betraf, weder Tief-
sinnigkeit, noch Scharfsinnigkeit oder Gelehrsamkeit, son-

dern



oͤffentlichen Schulen erhaͤlt: doch war es meine Schuld,
daß ich mir die beſondern Unterweiſungen und das Beyſpiel
meiner Eltern nicht beſſer zu Nutze machte. Seit meinem
vierzehenden Jahre beſchaͤfftigte ich mich bloß mit der Erler-
nung der Arzneywiſſenſchaft. Wenn ich nachher viele Zeit
auf die Lectuͤr anderer Art gewendet habe: ſo geſchah es
allein zu meinem Vergnuͤgen, und um die Kenntniſſe, mein
Gluͤck zu machen, zu erweitern. Die Heftigkeit der Begier-
den, mit welcher ich mich allen ſinnlichen Vergnuͤgen und
Ausſchweifungen in meiner Jugend uͤberließ, erlaubte mir
kaum an die Sittlichkeit, noch viel weniger an die Reli-
gion, zu denken.

Als die Erfahrung mich nachher lehrte, wie wenige
Zufriedenheit in dem unordentlichen Genuß dergleichen
Vergnuͤgungen zu finden ſey, und ich durch Nachdenken
uͤberzeugt ward, daß meine Gluͤckſeeligkeit eine gewiſſe in-
nere Befriedigung erfordere, die weder durch die Erfuͤl-
lung einzelner Pflichten, noch durch die Unterlaſſung groͤ-
berer Laſter erhalten werden koͤnne: ſo ſuchte ich mir gewiſſe
Grundſaͤtze einzupraͤgen, die ich dieſem Endzweck gemaͤß
hielt. Allein mit was fuͤr einer Verfaſſung unternahm ich
dieß? Mein Gedaͤchtniß, angefuͤllt mit moraliſchen
Grundſaͤtzen, aber auch zugleich mit den Entſchuldigungen
einer gefaͤlligen Vernunft gegen die Schwachheiten und
Fehler des menſchlichen Herzens; mein Verſtand einge-
nommen mit Zweifeln und Schwierigkeiten gegen die Unſi-
cherheit der Huͤlfsmittel zur Wahrheit und Gewißheit zu
kommen; und mein Wille, wo nicht feſt entſchloſſen, doch
heimlich ſehr geneigt, meine Pflichten ſo zu beſtimmen, daß
ich nicht genoͤthigt ſeyn moͤchte meine Lieblingsneigungen
dabey aufzuopfern: das waren die Fuͤhrer bey den Unterſu-
chungen, ſo ich anſtellte.

Jch ſetzte zum Voraus, daß in einer Sache, ſo die
einzelne Gluͤckſeeligkeit eines Menſchen betraf, weder Tief-
ſinnigkeit, noch Scharfſinnigkeit oder Gelehrſamkeit, ſon-

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[282/0294] oͤffentlichen Schulen erhaͤlt: doch war es meine Schuld, daß ich mir die beſondern Unterweiſungen und das Beyſpiel meiner Eltern nicht beſſer zu Nutze machte. Seit meinem vierzehenden Jahre beſchaͤfftigte ich mich bloß mit der Erler- nung der Arzneywiſſenſchaft. Wenn ich nachher viele Zeit auf die Lectuͤr anderer Art gewendet habe: ſo geſchah es allein zu meinem Vergnuͤgen, und um die Kenntniſſe, mein Gluͤck zu machen, zu erweitern. Die Heftigkeit der Begier- den, mit welcher ich mich allen ſinnlichen Vergnuͤgen und Ausſchweifungen in meiner Jugend uͤberließ, erlaubte mir kaum an die Sittlichkeit, noch viel weniger an die Reli- gion, zu denken. Als die Erfahrung mich nachher lehrte, wie wenige Zufriedenheit in dem unordentlichen Genuß dergleichen Vergnuͤgungen zu finden ſey, und ich durch Nachdenken uͤberzeugt ward, daß meine Gluͤckſeeligkeit eine gewiſſe in- nere Befriedigung erfordere, die weder durch die Erfuͤl- lung einzelner Pflichten, noch durch die Unterlaſſung groͤ- berer Laſter erhalten werden koͤnne: ſo ſuchte ich mir gewiſſe Grundſaͤtze einzupraͤgen, die ich dieſem Endzweck gemaͤß hielt. Allein mit was fuͤr einer Verfaſſung unternahm ich dieß? Mein Gedaͤchtniß, angefuͤllt mit moraliſchen Grundſaͤtzen, aber auch zugleich mit den Entſchuldigungen einer gefaͤlligen Vernunft gegen die Schwachheiten und Fehler des menſchlichen Herzens; mein Verſtand einge- nommen mit Zweifeln und Schwierigkeiten gegen die Unſi- cherheit der Huͤlfsmittel zur Wahrheit und Gewißheit zu kommen; und mein Wille, wo nicht feſt entſchloſſen, doch heimlich ſehr geneigt, meine Pflichten ſo zu beſtimmen, daß ich nicht genoͤthigt ſeyn moͤchte meine Lieblingsneigungen dabey aufzuopfern: das waren die Fuͤhrer bey den Unterſu- chungen, ſo ich anſtellte. Jch ſetzte zum Voraus, daß in einer Sache, ſo die einzelne Gluͤckſeeligkeit eines Menſchen betraf, weder Tief- ſinnigkeit, noch Scharfſinnigkeit oder Gelehrſamkeit, ſon- dern

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Zitationshilfe: Münter, Balthasar: Bekehrungsgeschichte des vormaligen Grafen [...] Johann Friederich Struensee. Kopenhagen, 1772, S. 282. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/muenter_bekehren_1772/294>, abgerufen am 21.11.2024.