Münter, Balthasar: Bekehrungsgeschichte des vormaligen Grafen [...] Johann Friederich Struensee. Kopenhagen, 1772.dern bloß eigene Erfahrungen, und die Begriffe, wovon sich jeder selbst überzeugen könnte, zur Findung der Wahr- heit vonnöthen seyn. So wie die Nothwendigkeit alle unan- genehme Empfindungen der Schmerzen, der Krankheiten, meiner eignen Vorwürfe und der Vorwürfe anderer, zu ver- meiden, die sorgfältige Beobachtung der Pflichten gegen mich selbst und gegen meinen Nächsten sehr wichtig mach- ten: so glaubte ich jedoch durch die Betrachtung Gottes der Natur und des Menschen, keine besondere Verpflichtungen gegen das höchste Wesen zu finden, als die, so aus der Bewunderung seiner Größe, und der allgemeinen Dank- barkeit wegen meines Daseyns flössen. Des Menschen Handlungen, bestimmt durch Vorstellungen, so die natür- lichen Triebe, der angenehme oder unangenehme Eindruck der äußern Gegenstände, die Erziehung, die Gewohnheit und die Verschiedenheit der Umstände, worin er sich befin- det, hervorbringen, schienen mir eben so wenig in einzelnen Fällen Gott gefallen oder misfallen zu können, als die ver- schiedenen Begebenheiten in der Natur, so in den festgesetz- ten physischen Regeln ihren Grund haben. Es war mir genug zu bemerken, daß alles, sowohl in diesem als in je- nem Fall zu Einem Endzweck, nemlich zur Erhaltung des Allgemeinen, abziele: und diesen hielt ich allein der Vorsor- ge des höchsten Wesen würdig. Meine Aufmerksamkeit ward daher größtentheils auf die Pflichten gegen den Näch- sten gezogen. Die Erfüllung derselben bestimmte mein äußeres Glück, und ich hoffte auch darin meine innere Be- friedigung zu finden. Der Wunsch, den jeder fühlt, tugendhaft zu seyn, gungsgründe
dern bloß eigene Erfahrungen, und die Begriffe, wovon ſich jeder ſelbſt uͤberzeugen koͤnnte, zur Findung der Wahr- heit vonnoͤthen ſeyn. So wie die Nothwendigkeit alle unan- genehme Empfindungen der Schmerzen, der Krankheiten, meiner eignen Vorwuͤrfe und der Vorwuͤrfe anderer, zu ver- meiden, die ſorgfaͤltige Beobachtung der Pflichten gegen mich ſelbſt und gegen meinen Naͤchſten ſehr wichtig mach- ten: ſo glaubte ich jedoch durch die Betrachtung Gottes der Natur und des Menſchen, keine beſondere Verpflichtungen gegen das hoͤchſte Weſen zu finden, als die, ſo aus der Bewunderung ſeiner Groͤße, und der allgemeinen Dank- barkeit wegen meines Daſeyns floͤſſen. Des Menſchen Handlungen, beſtimmt durch Vorſtellungen, ſo die natuͤr- lichen Triebe, der angenehme oder unangenehme Eindruck der aͤußern Gegenſtaͤnde, die Erziehung, die Gewohnheit und die Verſchiedenheit der Umſtaͤnde, worin er ſich befin- det, hervorbringen, ſchienen mir eben ſo wenig in einzelnen Faͤllen Gott gefallen oder misfallen zu koͤnnen, als die ver- ſchiedenen Begebenheiten in der Natur, ſo in den feſtgeſetz- ten phyſiſchen Regeln ihren Grund haben. Es war mir genug zu bemerken, daß alles, ſowohl in dieſem als in je- nem Fall zu Einem Endzweck, nemlich zur Erhaltung des Allgemeinen, abziele: und dieſen hielt ich allein der Vorſor- ge des hoͤchſten Weſen wuͤrdig. Meine Aufmerkſamkeit ward daher groͤßtentheils auf die Pflichten gegen den Naͤch- ſten gezogen. Die Erfuͤllung derſelben beſtimmte mein aͤußeres Gluͤck, und ich hoffte auch darin meine innere Be- friedigung zu finden. Der Wunſch, den jeder fuͤhlt, tugendhaft zu ſeyn, gungsgruͤnde
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dern bloß eigene Erfahrungen, und die Begriffe, wovon
ſich jeder ſelbſt uͤberzeugen koͤnnte, zur Findung der Wahr-
heit vonnoͤthen ſeyn. So wie die Nothwendigkeit alle unan-
genehme Empfindungen der Schmerzen, der Krankheiten,
meiner eignen Vorwuͤrfe und der Vorwuͤrfe anderer, zu ver-
meiden, die ſorgfaͤltige Beobachtung der Pflichten gegen
mich ſelbſt und gegen meinen Naͤchſten ſehr wichtig mach-
ten: ſo glaubte ich jedoch durch die Betrachtung Gottes der
Natur und des Menſchen, keine beſondere Verpflichtungen
gegen das hoͤchſte Weſen zu finden, als die, ſo aus der
Bewunderung ſeiner Groͤße, und der allgemeinen Dank-
barkeit wegen meines Daſeyns floͤſſen. Des Menſchen
Handlungen, beſtimmt durch Vorſtellungen, ſo die natuͤr-
lichen Triebe, der angenehme oder unangenehme Eindruck
der aͤußern Gegenſtaͤnde, die Erziehung, die Gewohnheit
und die Verſchiedenheit der Umſtaͤnde, worin er ſich befin-
det, hervorbringen, ſchienen mir eben ſo wenig in einzelnen
Faͤllen Gott gefallen oder misfallen zu koͤnnen, als die ver-
ſchiedenen Begebenheiten in der Natur, ſo in den feſtgeſetz-
ten phyſiſchen Regeln ihren Grund haben. Es war mir
genug zu bemerken, daß alles, ſowohl in dieſem als in je-
nem Fall zu Einem Endzweck, nemlich zur Erhaltung des
Allgemeinen, abziele: und dieſen hielt ich allein der Vorſor-
ge des hoͤchſten Weſen wuͤrdig. Meine Aufmerkſamkeit
ward daher groͤßtentheils auf die Pflichten gegen den Naͤch-
ſten gezogen. Die Erfuͤllung derſelben beſtimmte mein
aͤußeres Gluͤck, und ich hoffte auch darin meine innere Be-
friedigung zu finden.
Der Wunſch, den jeder fuͤhlt, tugendhaft zu ſeyn,
und eine natuͤrliche Neigung zu geſellſchaftlichen guten
Handlungen, bewogen mich, mich eifrigſt zu bemuͤhen die
Tugend kennen zu lernen. Aber wo konnte ich die wahre
finden, da ich ſie nicht da ſuchte, wo ſie allein anzutreffen
iſt? Was fuͤr eine Verſchiedenheit herrſcht nicht in den
Meynungen der Weltweiſen uͤber die Natur und Bewe-
gungsgruͤnde
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