Münter, Balthasar: Bekehrungsgeschichte des vormaligen Grafen [...] Johann Friederich Struensee. Kopenhagen, 1772.Wie viel Misvergnügen über mich selbst erregten mir Meine mir zur Gewohnheit gewordenen Vorstellun- Glück- T 3
Wie viel Misvergnuͤgen uͤber mich ſelbſt erregten mir Meine mir zur Gewohnheit gewordenen Vorſtellun- Gluͤck- T 3
<TEI> <text> <body> <div n="1"> <div n="2"> <pb facs="#f0305" n="293"/> <milestone rendition="#hr" unit="section"/><lb/> <p>Wie viel Misvergnuͤgen uͤber mich ſelbſt erregten mir<lb/> nicht dieſe Betrachtungen? Es war genug, daß ich uͤber-<lb/> fuͤhrt ward, wie weit ich mich von meinem Entzweck entfernt,<lb/> wie wenig ich meiner Beſtimmung gemaͤß gehandelt, und<lb/> wie viele Vorwuͤrfe ich verdiente. Empfindlich demuͤthi-<lb/> gend fuͤhlte ich, falſchen Grundſaͤtzen und eingeſchraͤnkten<lb/> Vorurtheilen gefolgt zu ſeyn. Sie wiſſen, wie heftig ich<lb/> beſonders das Ungluͤck derjenigen Perſonen empfand, mit<lb/> denen ich in Verbindung geſtanden: und nun blieb mir<lb/> nichts uͤbrig meinen Schmerz zu lindern, da ich mich allein<lb/> die Urſache deſſelben zu ſeyn fand. Er ward um ſo viel leb-<lb/> hafter, wenn ich ihn von der Seite anſah, die jetzt den mei-<lb/> ſten Eindruck auf mich machte. Die vielen Folgen, ſo meine<lb/> moraliſchen Vergehungen nach ſich ziehen, und der Gedan-<lb/> ke, Gott beleidigt zu haben, wuͤrkten auf mich am heftigſten.</p><lb/> <p>Meine mir zur Gewohnheit gewordenen Vorſtellun-<lb/> gen erregten mir jedoch oͤfters das Mistrauen, ob nicht meine<lb/> itzige Gemuͤthsverfaſſung mehr als die Ueberzeugung des<lb/> Verſtandes dieſe Geſinnungen verurſache. Die Ungewiß-<lb/> heit uͤber die Natur der Seele, und ihrer Fortdauer nach<lb/> dieſem Leben, hielt mich vornemlich zuruͤck mich Jhnen<lb/> voͤllig zu uͤberlaſſen. Bonnet ließ mir keinen Zweifel deswe-<lb/> gen uͤbrig, in ſo fern die Vernunft darin zur Gewißheit kom-<lb/> men kann. Jch konnte nicht laͤugnen, daß meine jetzige<lb/> Gemuͤhtsverfaſſung, verglichen mit der vorigen, weit faͤ-<lb/> higer ſey, die Wahrheit zu unterſuchen und zu finden. Die-<lb/> ſe uͤberſah fluͤchtig, was meinen Neigungen misfiel, und<lb/> fand wahr, was ſie wuͤnſchten. Jene war weit vorſichtiger,<lb/> voller Mistrauen, und es koſtet viel zu geſtehen, daß man<lb/> ſich geirrt habe. Jemehr ich meinen uͤbrigen Zweifeln nach-<lb/> dachte, deſto weniger Urſache fand ich ſolche gegruͤndet zu<lb/> halten. Jch gieng alles einzeln durch, was ich mir zur Be-<lb/> ſtaͤtigung meiner Meynungen ſo oft wiederhohlt hatte: aber<lb/> endlich mußte ich mit Gellert geſtehen, wenn das was wir<lb/> von Gott, von der Seele, und von unſrer moraliſchen<lb/> <fw place="bottom" type="sig">T 3</fw><fw place="bottom" type="catch">Gluͤck-</fw><lb/></p> </div> </div> </body> </text> </TEI> [293/0305]
Wie viel Misvergnuͤgen uͤber mich ſelbſt erregten mir
nicht dieſe Betrachtungen? Es war genug, daß ich uͤber-
fuͤhrt ward, wie weit ich mich von meinem Entzweck entfernt,
wie wenig ich meiner Beſtimmung gemaͤß gehandelt, und
wie viele Vorwuͤrfe ich verdiente. Empfindlich demuͤthi-
gend fuͤhlte ich, falſchen Grundſaͤtzen und eingeſchraͤnkten
Vorurtheilen gefolgt zu ſeyn. Sie wiſſen, wie heftig ich
beſonders das Ungluͤck derjenigen Perſonen empfand, mit
denen ich in Verbindung geſtanden: und nun blieb mir
nichts uͤbrig meinen Schmerz zu lindern, da ich mich allein
die Urſache deſſelben zu ſeyn fand. Er ward um ſo viel leb-
hafter, wenn ich ihn von der Seite anſah, die jetzt den mei-
ſten Eindruck auf mich machte. Die vielen Folgen, ſo meine
moraliſchen Vergehungen nach ſich ziehen, und der Gedan-
ke, Gott beleidigt zu haben, wuͤrkten auf mich am heftigſten.
Meine mir zur Gewohnheit gewordenen Vorſtellun-
gen erregten mir jedoch oͤfters das Mistrauen, ob nicht meine
itzige Gemuͤthsverfaſſung mehr als die Ueberzeugung des
Verſtandes dieſe Geſinnungen verurſache. Die Ungewiß-
heit uͤber die Natur der Seele, und ihrer Fortdauer nach
dieſem Leben, hielt mich vornemlich zuruͤck mich Jhnen
voͤllig zu uͤberlaſſen. Bonnet ließ mir keinen Zweifel deswe-
gen uͤbrig, in ſo fern die Vernunft darin zur Gewißheit kom-
men kann. Jch konnte nicht laͤugnen, daß meine jetzige
Gemuͤhtsverfaſſung, verglichen mit der vorigen, weit faͤ-
higer ſey, die Wahrheit zu unterſuchen und zu finden. Die-
ſe uͤberſah fluͤchtig, was meinen Neigungen misfiel, und
fand wahr, was ſie wuͤnſchten. Jene war weit vorſichtiger,
voller Mistrauen, und es koſtet viel zu geſtehen, daß man
ſich geirrt habe. Jemehr ich meinen uͤbrigen Zweifeln nach-
dachte, deſto weniger Urſache fand ich ſolche gegruͤndet zu
halten. Jch gieng alles einzeln durch, was ich mir zur Be-
ſtaͤtigung meiner Meynungen ſo oft wiederhohlt hatte: aber
endlich mußte ich mit Gellert geſtehen, wenn das was wir
von Gott, von der Seele, und von unſrer moraliſchen
Gluͤck-
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