Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Münter, Balthasar: Bekehrungsgeschichte des vormaligen Grafen [...] Johann Friederich Struensee. Kopenhagen, 1772.

Bild:
<< vorherige Seite



nem wahren Besten gemäß sey. Jch hielt dieß für ein
gutes Mittel, eine Schaam durch die andre zu vertreiben.
Jch redete darüber ungefähr in folgenden Worten.

Sie haben es eingesehen und Jhre Vernunft ist
überzeugt, daß Jhre Hypothese, der Mensch sey eine
bloße Maschine, auf alle Weise ungegründet, unzuläng-
lich und Gottes und des Menschen unwürdig ist. Sie
können die entgegengesetzte bessere Beschaffenheit des
Satzes, daß wir aus Leib und Seele bestehen, nicht
leugnen, und Vernunft und Erfahrung muß Sie von der
Wahrheit desselben überzeugen. Gleichwohl wollen Sie
jenen Gedanken nicht fahren lassen, und diesen nicht anneh-
men. Was kann und was muß davon die Ursache seyn?

Sie selbst sagen: Jhre Meynung sey zu tief bey
Jhnen eingewurzelt; die menschliche Erkenntniß sey un-
gewiß; wenn Sie sich bey der Annehmung ihrer bisheri-
gen Meynung eine Jllusion gemacht hätten, so befürch-
teten Sie bey der Annehmung einer andern auch einer
neuen Jllusion ausgesetzt zu seyn. Sind dieß gegründete
Ursachen Jhres Widerstandes? Oder sind es nur Aus-
flüchte? Jch befürchte das letztere.

Jhre Hypothese ist zu tief bey Jhnen eingewur-
zelt. Jn Jhrer Vernunft? Oder in Jhrem Herzen?
Jenes ist nicht möglich. Es ist die Natur und Pflicht
der Vernunft, dasjenige für wahr zu halten, von dessen
Wahrheit sie überzeugt ist. Sie sind von der Falschheit
Jhrer Meynung und von der Wahrheit der entgegenge-
setzten überzeugt. Also müssen Sie nothwendig jene für
falsch, und diese für wahr halten, das ist, sie anneh-
men. Thun Sie das nicht, so muß Jhre Meynung,
der Mensch sey eine Maschine, zu tief in Jhrem Herzen
eingewurzelt seyn. Davon nachher.

Die



nem wahren Beſten gemaͤß ſey. Jch hielt dieß fuͤr ein
gutes Mittel, eine Schaam durch die andre zu vertreiben.
Jch redete daruͤber ungefaͤhr in folgenden Worten.

Sie haben es eingeſehen und Jhre Vernunft iſt
uͤberzeugt, daß Jhre Hypotheſe, der Menſch ſey eine
bloße Maſchine, auf alle Weiſe ungegruͤndet, unzulaͤng-
lich und Gottes und des Menſchen unwuͤrdig iſt. Sie
koͤnnen die entgegengeſetzte beſſere Beſchaffenheit des
Satzes, daß wir aus Leib und Seele beſtehen, nicht
leugnen, und Vernunft und Erfahrung muß Sie von der
Wahrheit deſſelben uͤberzeugen. Gleichwohl wollen Sie
jenen Gedanken nicht fahren laſſen, und dieſen nicht anneh-
men. Was kann und was muß davon die Urſache ſeyn?

Sie ſelbſt ſagen: Jhre Meynung ſey zu tief bey
Jhnen eingewurzelt; die menſchliche Erkenntniß ſey un-
gewiß; wenn Sie ſich bey der Annehmung ihrer bisheri-
gen Meynung eine Jlluſion gemacht haͤtten, ſo befuͤrch-
teten Sie bey der Annehmung einer andern auch einer
neuen Jlluſion ausgeſetzt zu ſeyn. Sind dieß gegruͤndete
Urſachen Jhres Widerſtandes? Oder ſind es nur Aus-
fluͤchte? Jch befuͤrchte das letztere.

Jhre Hypotheſe iſt zu tief bey Jhnen eingewur-
zelt. Jn Jhrer Vernunft? Oder in Jhrem Herzen?
Jenes iſt nicht moͤglich. Es iſt die Natur und Pflicht
der Vernunft, dasjenige fuͤr wahr zu halten, von deſſen
Wahrheit ſie uͤberzeugt iſt. Sie ſind von der Falſchheit
Jhrer Meynung und von der Wahrheit der entgegenge-
ſetzten uͤberzeugt. Alſo muͤſſen Sie nothwendig jene fuͤr
falſch, und dieſe fuͤr wahr halten, das iſt, ſie anneh-
men. Thun Sie das nicht, ſo muß Jhre Meynung,
der Menſch ſey eine Maſchine, zu tief in Jhrem Herzen
eingewurzelt ſeyn. Davon nachher.

Die
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <p><pb facs="#f0038" n="26"/><milestone rendition="#hr" unit="section"/><lb/>
nem wahren Be&#x017F;ten gema&#x0364;ß &#x017F;ey. Jch hielt dieß fu&#x0364;r ein<lb/>
gutes Mittel, eine Schaam durch die andre zu vertreiben.<lb/>
Jch redete daru&#x0364;ber ungefa&#x0364;hr in folgenden Worten.</p><lb/>
        <p>Sie haben es einge&#x017F;ehen und Jhre Vernunft i&#x017F;t<lb/>
u&#x0364;berzeugt, daß Jhre Hypothe&#x017F;e, der Men&#x017F;ch &#x017F;ey eine<lb/>
bloße Ma&#x017F;chine, auf alle Wei&#x017F;e ungegru&#x0364;ndet, unzula&#x0364;ng-<lb/>
lich und Gottes und des Men&#x017F;chen unwu&#x0364;rdig i&#x017F;t. Sie<lb/>
ko&#x0364;nnen die entgegenge&#x017F;etzte be&#x017F;&#x017F;ere Be&#x017F;chaffenheit des<lb/>
Satzes, daß wir aus Leib und Seele be&#x017F;tehen, nicht<lb/>
leugnen, und Vernunft und Erfahrung muß Sie von der<lb/>
Wahrheit de&#x017F;&#x017F;elben u&#x0364;berzeugen. Gleichwohl wollen Sie<lb/>
jenen Gedanken nicht fahren la&#x017F;&#x017F;en, und die&#x017F;en nicht anneh-<lb/>
men. Was kann und was muß davon die Ur&#x017F;ache &#x017F;eyn?</p><lb/>
        <p>Sie &#x017F;elb&#x017F;t &#x017F;agen: Jhre Meynung &#x017F;ey zu tief bey<lb/>
Jhnen eingewurzelt; die men&#x017F;chliche Erkenntniß &#x017F;ey un-<lb/>
gewiß; wenn Sie &#x017F;ich bey der Annehmung ihrer bisheri-<lb/>
gen Meynung eine Jllu&#x017F;ion gemacht ha&#x0364;tten, &#x017F;o befu&#x0364;rch-<lb/>
teten Sie bey der Annehmung einer andern auch einer<lb/>
neuen Jllu&#x017F;ion ausge&#x017F;etzt zu &#x017F;eyn. Sind dieß gegru&#x0364;ndete<lb/>
Ur&#x017F;achen Jhres Wider&#x017F;tandes? Oder &#x017F;ind es nur Aus-<lb/>
flu&#x0364;chte? Jch befu&#x0364;rchte das letztere.</p><lb/>
        <p>Jhre Hypothe&#x017F;e i&#x017F;t zu tief bey Jhnen eingewur-<lb/>
zelt. Jn Jhrer Vernunft? Oder in Jhrem Herzen?<lb/>
Jenes i&#x017F;t nicht mo&#x0364;glich. Es i&#x017F;t die Natur und Pflicht<lb/>
der Vernunft, dasjenige fu&#x0364;r wahr zu halten, von de&#x017F;&#x017F;en<lb/>
Wahrheit &#x017F;ie u&#x0364;berzeugt i&#x017F;t. Sie &#x017F;ind von der Fal&#x017F;chheit<lb/>
Jhrer Meynung und von der Wahrheit der entgegenge-<lb/>
&#x017F;etzten u&#x0364;berzeugt. Al&#x017F;o mu&#x0364;&#x017F;&#x017F;en Sie nothwendig jene fu&#x0364;r<lb/>
fal&#x017F;ch, und die&#x017F;e fu&#x0364;r wahr halten, das i&#x017F;t, &#x017F;ie anneh-<lb/>
men. Thun Sie das nicht, &#x017F;o muß Jhre Meynung,<lb/>
der Men&#x017F;ch &#x017F;ey eine Ma&#x017F;chine, zu tief in Jhrem Herzen<lb/>
eingewurzelt &#x017F;eyn. Davon nachher.</p><lb/>
        <fw place="bottom" type="catch">Die</fw><lb/>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[26/0038] nem wahren Beſten gemaͤß ſey. Jch hielt dieß fuͤr ein gutes Mittel, eine Schaam durch die andre zu vertreiben. Jch redete daruͤber ungefaͤhr in folgenden Worten. Sie haben es eingeſehen und Jhre Vernunft iſt uͤberzeugt, daß Jhre Hypotheſe, der Menſch ſey eine bloße Maſchine, auf alle Weiſe ungegruͤndet, unzulaͤng- lich und Gottes und des Menſchen unwuͤrdig iſt. Sie koͤnnen die entgegengeſetzte beſſere Beſchaffenheit des Satzes, daß wir aus Leib und Seele beſtehen, nicht leugnen, und Vernunft und Erfahrung muß Sie von der Wahrheit deſſelben uͤberzeugen. Gleichwohl wollen Sie jenen Gedanken nicht fahren laſſen, und dieſen nicht anneh- men. Was kann und was muß davon die Urſache ſeyn? Sie ſelbſt ſagen: Jhre Meynung ſey zu tief bey Jhnen eingewurzelt; die menſchliche Erkenntniß ſey un- gewiß; wenn Sie ſich bey der Annehmung ihrer bisheri- gen Meynung eine Jlluſion gemacht haͤtten, ſo befuͤrch- teten Sie bey der Annehmung einer andern auch einer neuen Jlluſion ausgeſetzt zu ſeyn. Sind dieß gegruͤndete Urſachen Jhres Widerſtandes? Oder ſind es nur Aus- fluͤchte? Jch befuͤrchte das letztere. Jhre Hypotheſe iſt zu tief bey Jhnen eingewur- zelt. Jn Jhrer Vernunft? Oder in Jhrem Herzen? Jenes iſt nicht moͤglich. Es iſt die Natur und Pflicht der Vernunft, dasjenige fuͤr wahr zu halten, von deſſen Wahrheit ſie uͤberzeugt iſt. Sie ſind von der Falſchheit Jhrer Meynung und von der Wahrheit der entgegenge- ſetzten uͤberzeugt. Alſo muͤſſen Sie nothwendig jene fuͤr falſch, und dieſe fuͤr wahr halten, das iſt, ſie anneh- men. Thun Sie das nicht, ſo muß Jhre Meynung, der Menſch ſey eine Maſchine, zu tief in Jhrem Herzen eingewurzelt ſeyn. Davon nachher. Die

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/muenter_bekehren_1772
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/muenter_bekehren_1772/38
Zitationshilfe: Münter, Balthasar: Bekehrungsgeschichte des vormaligen Grafen [...] Johann Friederich Struensee. Kopenhagen, 1772, S. 26. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/muenter_bekehren_1772/38>, abgerufen am 21.11.2024.