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Munzinger, Carl: Die Japaner. Berlin, 1898.

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lässigt. So herrschten in der ersten Hälfte unseres Jahr-
tausends in Europa und Japan die gleichen Verhält-
nisse, nur daß es hier buddhistische, dort aber katholische
Mönche waren, welche die Lehrstühle als ihr ausschließ-
liches Herrschaftsgebiet besetzt hielten.

Aber wie kurz vor der Reformation in Europa der
Umschwung eintrat, wie die Kuttenmänner durch die
Humanisten verdrängt wurden, so strömte hundert Jahre
später auch in Japan die Flut zurück. Durch den Ein-
fluß des Schoguns Iyeyasu wurden die Mönche aus
allen staatlichen Schulen verdrängt und die konfuzianisti-
schen Gelehrten traten wieder in ihre Rechte ein. Sie
sind die Erzieher der heutigen maßgebenden Kreise, die
durch und durch von der religionslosen utilitaristischen
Moral des Konfuzius durchdrungen sind, auch dann
wenn sie etwa den Namen des Meisters schnöde ver-
leugnen. Den Buddhisten dagegen blieb nichts weiter
übrig als private Lehrthätigkeit. Sie beschränkten die-
selbe fast ganz auf das gewöhnliche Volk und legten
in ihren Tempelschulen, in welchen sie die Kinder aller
Stände in den Elementarfächern unterrichteten, den Grund
zu den eigentlichen Volksschulen der Gegenwart.

Es giebt in der Geschichte des japanischen Unter-
richtswesens Stellen, wo man sich förmlich von moderner
Luft angeweht fühlt, wenn z. B. schon aus der frühesten
Zeit von der Gründung von Bibliotheken und der Schaf-
fung von Stipendien berichtet wird. Die Methode des
Unterrichts dagegen war recht altertümlich. Der Lehrer
redete und der Schüler hielt bescheiden den Mund. Der
Unterricht bestand im Dozieren. Die chinesischen Zeichen
wurden in der Weise gelehrt, daß die Schüler zuerst
mit der Aussprache, dann mit der Bedeutung und zum
Schlusse mit der Schreibweise bekannt gemacht wurden.

läſſigt. So herrſchten in der erſten Hälfte unſeres Jahr-
tauſends in Europa und Japan die gleichen Verhält-
niſſe, nur daß es hier buddhiſtiſche, dort aber katholiſche
Mönche waren, welche die Lehrſtühle als ihr ausſchließ-
liches Herrſchaftsgebiet beſetzt hielten.

Aber wie kurz vor der Reformation in Europa der
Umſchwung eintrat, wie die Kuttenmänner durch die
Humaniſten verdrängt wurden, ſo ſtrömte hundert Jahre
ſpäter auch in Japan die Flut zurück. Durch den Ein-
fluß des Schoguns Iyeyaſu wurden die Mönche aus
allen ſtaatlichen Schulen verdrängt und die konfuzianiſti-
ſchen Gelehrten traten wieder in ihre Rechte ein. Sie
ſind die Erzieher der heutigen maßgebenden Kreiſe, die
durch und durch von der religionsloſen utilitariſtiſchen
Moral des Konfuzius durchdrungen ſind, auch dann
wenn ſie etwa den Namen des Meiſters ſchnöde ver-
leugnen. Den Buddhiſten dagegen blieb nichts weiter
übrig als private Lehrthätigkeit. Sie beſchränkten die-
ſelbe faſt ganz auf das gewöhnliche Volk und legten
in ihren Tempelſchulen, in welchen ſie die Kinder aller
Stände in den Elementarfächern unterrichteten, den Grund
zu den eigentlichen Volksſchulen der Gegenwart.

Es giebt in der Geſchichte des japaniſchen Unter-
richtsweſens Stellen, wo man ſich förmlich von moderner
Luft angeweht fühlt, wenn z. B. ſchon aus der früheſten
Zeit von der Gründung von Bibliotheken und der Schaf-
fung von Stipendien berichtet wird. Die Methode des
Unterrichts dagegen war recht altertümlich. Der Lehrer
redete und der Schüler hielt beſcheiden den Mund. Der
Unterricht beſtand im Dozieren. Die chineſiſchen Zeichen
wurden in der Weiſe gelehrt, daß die Schüler zuerſt
mit der Ausſprache, dann mit der Bedeutung und zum
Schluſſe mit der Schreibweiſe bekannt gemacht wurden.

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[87/0101] läſſigt. So herrſchten in der erſten Hälfte unſeres Jahr- tauſends in Europa und Japan die gleichen Verhält- niſſe, nur daß es hier buddhiſtiſche, dort aber katholiſche Mönche waren, welche die Lehrſtühle als ihr ausſchließ- liches Herrſchaftsgebiet beſetzt hielten. Aber wie kurz vor der Reformation in Europa der Umſchwung eintrat, wie die Kuttenmänner durch die Humaniſten verdrängt wurden, ſo ſtrömte hundert Jahre ſpäter auch in Japan die Flut zurück. Durch den Ein- fluß des Schoguns Iyeyaſu wurden die Mönche aus allen ſtaatlichen Schulen verdrängt und die konfuzianiſti- ſchen Gelehrten traten wieder in ihre Rechte ein. Sie ſind die Erzieher der heutigen maßgebenden Kreiſe, die durch und durch von der religionsloſen utilitariſtiſchen Moral des Konfuzius durchdrungen ſind, auch dann wenn ſie etwa den Namen des Meiſters ſchnöde ver- leugnen. Den Buddhiſten dagegen blieb nichts weiter übrig als private Lehrthätigkeit. Sie beſchränkten die- ſelbe faſt ganz auf das gewöhnliche Volk und legten in ihren Tempelſchulen, in welchen ſie die Kinder aller Stände in den Elementarfächern unterrichteten, den Grund zu den eigentlichen Volksſchulen der Gegenwart. Es giebt in der Geſchichte des japaniſchen Unter- richtsweſens Stellen, wo man ſich förmlich von moderner Luft angeweht fühlt, wenn z. B. ſchon aus der früheſten Zeit von der Gründung von Bibliotheken und der Schaf- fung von Stipendien berichtet wird. Die Methode des Unterrichts dagegen war recht altertümlich. Der Lehrer redete und der Schüler hielt beſcheiden den Mund. Der Unterricht beſtand im Dozieren. Die chineſiſchen Zeichen wurden in der Weiſe gelehrt, daß die Schüler zuerſt mit der Ausſprache, dann mit der Bedeutung und zum Schluſſe mit der Schreibweiſe bekannt gemacht wurden.

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Zitationshilfe: Munzinger, Carl: Die Japaner. Berlin, 1898, S. 87. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/munzinger_japaner_1898/101>, abgerufen am 24.11.2024.