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Munzinger, Carl: Die Japaner. Berlin, 1898.

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Diese famose Methode geht den buddhistischen Priestern
heute noch nach. Die Aussprache der Zeichen haben sie
gelernt, so daß sie ihre heiligen Bücher zu lesen wissen,
aber über diese erste Stufe sind sie nicht hinausgekommen;
ein Verständnis des Gelesenen ist in seltenen Fällen zu
finden. Fibeln und Lesebücher, an deren Hand man
stufenweise, Schritt für Schritt voranschreitet, gab es
in Japan bis vor ein paar Jahrzehnten ebensowenig
wie in Deutschland vor Melanchthons Zeiten. Gleich
wurden den Schülern die klassischen Schriften vorgelegt.
Es ist das nicht zum wenigsten ein Grund der Frühreife
und Selbstüberhebung auch noch der heutigen japanischen
Jugend, wenn auch das System unterdessen geändert
wurde. Auch zeigt sich die Fortentwicklung der alten
Gewohnheit noch darin, daß man noch heute einen
Jungen, der Deutsch lernen will, nur mit Mühe davon
abbringen kann, Schillers Gedichte oder Lessings sehr
beliebte Minna von Barnhelm als erstes Unterrichts-
buch in die Hand zu nehmen.

Daß eine solche Methode für eine neue Zeit nicht
mehr brauchbar war, versteht sich von selbst. Und die
neue Zeit kam.

Schon seit dem 17. Jahrhundert war die höhere
Bildung von europäischen Einflüssen nicht mehr frei ge-
blieben. Die Holländer, welche Rolle sie sonst auch
gespielt haben mögen, haben das eine große Verdienst,
daß sie die Japaner mit den Grundsätzen der Medizin
und der Naturwissenschaften bekannt machten und durch
Einführung einer kunstgerechten Anatomie die mit der
Medizin verbundenen mancherlei abergläubischen Vor-
stellungen beseitigten. Der Verkehr mit den Holländern
zwang die Regierung auch, zum Zwecke der Verständi-
gung mit ihnen einige ihrer Unterthanen Holländisch

Dieſe famoſe Methode geht den buddhiſtiſchen Prieſtern
heute noch nach. Die Ausſprache der Zeichen haben ſie
gelernt, ſo daß ſie ihre heiligen Bücher zu leſen wiſſen,
aber über dieſe erſte Stufe ſind ſie nicht hinausgekommen;
ein Verſtändnis des Geleſenen iſt in ſeltenen Fällen zu
finden. Fibeln und Leſebücher, an deren Hand man
ſtufenweiſe, Schritt für Schritt voranſchreitet, gab es
in Japan bis vor ein paar Jahrzehnten ebenſowenig
wie in Deutſchland vor Melanchthons Zeiten. Gleich
wurden den Schülern die klaſſiſchen Schriften vorgelegt.
Es iſt das nicht zum wenigſten ein Grund der Frühreife
und Selbſtüberhebung auch noch der heutigen japaniſchen
Jugend, wenn auch das Syſtem unterdeſſen geändert
wurde. Auch zeigt ſich die Fortentwicklung der alten
Gewohnheit noch darin, daß man noch heute einen
Jungen, der Deutſch lernen will, nur mit Mühe davon
abbringen kann, Schillers Gedichte oder Leſſings ſehr
beliebte Minna von Barnhelm als erſtes Unterrichts-
buch in die Hand zu nehmen.

Daß eine ſolche Methode für eine neue Zeit nicht
mehr brauchbar war, verſteht ſich von ſelbſt. Und die
neue Zeit kam.

Schon ſeit dem 17. Jahrhundert war die höhere
Bildung von europäiſchen Einflüſſen nicht mehr frei ge-
blieben. Die Holländer, welche Rolle ſie ſonſt auch
geſpielt haben mögen, haben das eine große Verdienſt,
daß ſie die Japaner mit den Grundſätzen der Medizin
und der Naturwiſſenſchaften bekannt machten und durch
Einführung einer kunſtgerechten Anatomie die mit der
Medizin verbundenen mancherlei abergläubiſchen Vor-
ſtellungen beſeitigten. Der Verkehr mit den Holländern
zwang die Regierung auch, zum Zwecke der Verſtändi-
gung mit ihnen einige ihrer Unterthanen Holländiſch

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[88/0102] Dieſe famoſe Methode geht den buddhiſtiſchen Prieſtern heute noch nach. Die Ausſprache der Zeichen haben ſie gelernt, ſo daß ſie ihre heiligen Bücher zu leſen wiſſen, aber über dieſe erſte Stufe ſind ſie nicht hinausgekommen; ein Verſtändnis des Geleſenen iſt in ſeltenen Fällen zu finden. Fibeln und Leſebücher, an deren Hand man ſtufenweiſe, Schritt für Schritt voranſchreitet, gab es in Japan bis vor ein paar Jahrzehnten ebenſowenig wie in Deutſchland vor Melanchthons Zeiten. Gleich wurden den Schülern die klaſſiſchen Schriften vorgelegt. Es iſt das nicht zum wenigſten ein Grund der Frühreife und Selbſtüberhebung auch noch der heutigen japaniſchen Jugend, wenn auch das Syſtem unterdeſſen geändert wurde. Auch zeigt ſich die Fortentwicklung der alten Gewohnheit noch darin, daß man noch heute einen Jungen, der Deutſch lernen will, nur mit Mühe davon abbringen kann, Schillers Gedichte oder Leſſings ſehr beliebte Minna von Barnhelm als erſtes Unterrichts- buch in die Hand zu nehmen. Daß eine ſolche Methode für eine neue Zeit nicht mehr brauchbar war, verſteht ſich von ſelbſt. Und die neue Zeit kam. Schon ſeit dem 17. Jahrhundert war die höhere Bildung von europäiſchen Einflüſſen nicht mehr frei ge- blieben. Die Holländer, welche Rolle ſie ſonſt auch geſpielt haben mögen, haben das eine große Verdienſt, daß ſie die Japaner mit den Grundſätzen der Medizin und der Naturwiſſenſchaften bekannt machten und durch Einführung einer kunſtgerechten Anatomie die mit der Medizin verbundenen mancherlei abergläubiſchen Vor- ſtellungen beſeitigten. Der Verkehr mit den Holländern zwang die Regierung auch, zum Zwecke der Verſtändi- gung mit ihnen einige ihrer Unterthanen Holländiſch

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Zitationshilfe: Munzinger, Carl: Die Japaner. Berlin, 1898, S. 88. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/munzinger_japaner_1898/102>, abgerufen am 24.11.2024.