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Munzinger, Carl: Die Japaner. Berlin, 1898.

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lernen zu lassen, und wenn auch Unbefugten das Studium
der fremden Sprache bei Todesstrafe untersagt war, --
ein Verbot, welchem mehr als einer zum Opfer fiel --,
so fanden sich doch immer mehr lernbegierige Jünglinge,
welche in aller Heimlichkeit es wagten, sich über dieses
Verbot hinwegzusetzen. So groß war die Wertschätzung
des Wissens, daß in dem letzten Jahrzehnt des Schogunats,
als sich schon einige Europäer in den Hafenstädten an-
gesiedelt hatten, Jünglinge aus der stolzen Kaste der
Samurai den Schimpf nicht scheuten, bei den "fremden
Barbaren" in Dienst zu gehen, nur um die Sprache zu
erlernen. Andere, darunter die jetzigen beiden größten
Staatsmänner Ito und Inouye und der sog. "Apostel
Japans" Nishima, waren auch damit noch nicht zu-
frieden; während auf dem Verlassen des Landes die
Todesstrafe stand, schmuggelten sie sich an Bord fremder
Schiffe nach dem Ausland. Das waren untrügliche
Wetterzeichen der Zeit; das Alte lag im Sterben, der
gährende Most sprengte die alten Schläuche.

Wenn man die neue Periode Meiji d. h. die er-
leuchtete genannt hat, so verdient sie ihren Namen nicht
zum wenigsten wegen ihrer Verdienste um die Volks-
aufklärung. Heute ist die Schulbildung Gemeingut des
ganzen japanischen Volkes. Eingeleitet wurde das neue
Zeitalter der Schule durch einen kaiserlichen Erlaß vom
Jahre 1872, welcher charakteristisch genug ist, um hier
einen Platz zu finden: "Alles Wissen", heißt es da,
"sowohl das, welches man im alltäglichen Leben braucht,
als auch das, was erforderlich ist, um Offiziere, Ärzte,
Landwirte, Handwerker und Kaufleute zu bilden, wird
durch Lernen erworben. Obgleich nun das Lernen un-
bedingt erforderlich ist, um erfolgreich im Leben wirken
zu können, so erachtete man es doch bisher für das

lernen zu laſſen, und wenn auch Unbefugten das Studium
der fremden Sprache bei Todesſtrafe unterſagt war, —
ein Verbot, welchem mehr als einer zum Opfer fiel —,
ſo fanden ſich doch immer mehr lernbegierige Jünglinge,
welche in aller Heimlichkeit es wagten, ſich über dieſes
Verbot hinwegzuſetzen. So groß war die Wertſchätzung
des Wiſſens, daß in dem letzten Jahrzehnt des Schogunats,
als ſich ſchon einige Europäer in den Hafenſtädten an-
geſiedelt hatten, Jünglinge aus der ſtolzen Kaſte der
Samurai den Schimpf nicht ſcheuten, bei den „fremden
Barbaren“ in Dienſt zu gehen, nur um die Sprache zu
erlernen. Andere, darunter die jetzigen beiden größten
Staatsmänner Ito und Inouye und der ſog. „Apoſtel
Japans“ Niſhima, waren auch damit noch nicht zu-
frieden; während auf dem Verlaſſen des Landes die
Todesſtrafe ſtand, ſchmuggelten ſie ſich an Bord fremder
Schiffe nach dem Ausland. Das waren untrügliche
Wetterzeichen der Zeit; das Alte lag im Sterben, der
gährende Moſt ſprengte die alten Schläuche.

Wenn man die neue Periode Meiji d. h. die er-
leuchtete genannt hat, ſo verdient ſie ihren Namen nicht
zum wenigſten wegen ihrer Verdienſte um die Volks-
aufklärung. Heute iſt die Schulbildung Gemeingut des
ganzen japaniſchen Volkes. Eingeleitet wurde das neue
Zeitalter der Schule durch einen kaiſerlichen Erlaß vom
Jahre 1872, welcher charakteriſtiſch genug iſt, um hier
einen Platz zu finden: „Alles Wiſſen“, heißt es da,
„ſowohl das, welches man im alltäglichen Leben braucht,
als auch das, was erforderlich iſt, um Offiziere, Ärzte,
Landwirte, Handwerker und Kaufleute zu bilden, wird
durch Lernen erworben. Obgleich nun das Lernen un-
bedingt erforderlich iſt, um erfolgreich im Leben wirken
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[89/0103] lernen zu laſſen, und wenn auch Unbefugten das Studium der fremden Sprache bei Todesſtrafe unterſagt war, — ein Verbot, welchem mehr als einer zum Opfer fiel —, ſo fanden ſich doch immer mehr lernbegierige Jünglinge, welche in aller Heimlichkeit es wagten, ſich über dieſes Verbot hinwegzuſetzen. So groß war die Wertſchätzung des Wiſſens, daß in dem letzten Jahrzehnt des Schogunats, als ſich ſchon einige Europäer in den Hafenſtädten an- geſiedelt hatten, Jünglinge aus der ſtolzen Kaſte der Samurai den Schimpf nicht ſcheuten, bei den „fremden Barbaren“ in Dienſt zu gehen, nur um die Sprache zu erlernen. Andere, darunter die jetzigen beiden größten Staatsmänner Ito und Inouye und der ſog. „Apoſtel Japans“ Niſhima, waren auch damit noch nicht zu- frieden; während auf dem Verlaſſen des Landes die Todesſtrafe ſtand, ſchmuggelten ſie ſich an Bord fremder Schiffe nach dem Ausland. Das waren untrügliche Wetterzeichen der Zeit; das Alte lag im Sterben, der gährende Moſt ſprengte die alten Schläuche. Wenn man die neue Periode Meiji d. h. die er- leuchtete genannt hat, ſo verdient ſie ihren Namen nicht zum wenigſten wegen ihrer Verdienſte um die Volks- aufklärung. Heute iſt die Schulbildung Gemeingut des ganzen japaniſchen Volkes. Eingeleitet wurde das neue Zeitalter der Schule durch einen kaiſerlichen Erlaß vom Jahre 1872, welcher charakteriſtiſch genug iſt, um hier einen Platz zu finden: „Alles Wiſſen“, heißt es da, „ſowohl das, welches man im alltäglichen Leben braucht, als auch das, was erforderlich iſt, um Offiziere, Ärzte, Landwirte, Handwerker und Kaufleute zu bilden, wird durch Lernen erworben. Obgleich nun das Lernen un- bedingt erforderlich iſt, um erfolgreich im Leben wirken zu können, ſo erachtete man es doch bisher für das

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Zitationshilfe: Munzinger, Carl: Die Japaner. Berlin, 1898, S. 89. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/munzinger_japaner_1898/103>, abgerufen am 19.05.2024.