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Munzinger, Carl: Die Japaner. Berlin, 1898.

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japanische Geschichte im ganzen. Wo immer sich Gelegen-
heit zu Neuem geboten hat, da hat man dieselbe begierig
benützt. Auch die japanische Geschichte ist eine Geschichte
von Überraschungen. Auch hier trat immer das ein,
was man am wenigsten erwartete. Auch hier ging es
nicht in ruhiger stetiger Entwicklung vorwärts, sondern
vielmehr sprunghaft. Ganz stetig geht ja wohl keine
Entwicklung geistiger Kräfte. Denn der Geist liebt
die Schablone nicht. Geradlinig aufsteigend, ohne Krüm-
mungen, ist auch unsere Geschichte nicht verlaufen. Die
Völkerwanderung, die Reformation und die Wiederauf-
richtung des Deutschen Reiches sind Höhepunkte, wo mit
einem Mal in gewaltigem Anstoß die Linie steil nach
oben stieg. Aber die Perioden, die auf diese Ereignisse
folgten, haben doch weiter gearbeitet, stetig und ununter-
brochen, haben keinen Rückschritt noch Stillstand geduldet,
haben selbst in der vielverschrieenen Zeit des dunkeln
Mittelalters aufwärts geführt, wenn auch nur in lang-
samer, ruhiger Entwicklung. Anders die Epochen der
japanischen Geschichte. Das ist kein allmähliches Auf-
steigen, das sind vielmehr drei vereinzelte Berge, von
denen jeder folgende am Rande einer vorgelegenen
großen Ebene auf der Höhe des andern sich erhebt.

Merkwürdigerweise fallen die drei Epochen, welche
in Übereinstimmung mit dem japanischen Mangel an
Originalität stets durch Anstöße von außen veranlaßt
wurden, nämlich durch die Berührung mit der chinesisch-
buddhistischen, mit der mittelalterlich-katholischen und
mit der modern-protestantischen Kultur, zeitlich mit den
großen Epochen der deutschen Geschichte zusammen.
Zur Zeit der Völkerwanderung ist es gewesen, als die
chinesische Kultur, als deren Bannerträger zuerst Kon-
fuzius, dann Buddha erschien, teils direkt, teils über

japaniſche Geſchichte im ganzen. Wo immer ſich Gelegen-
heit zu Neuem geboten hat, da hat man dieſelbe begierig
benützt. Auch die japaniſche Geſchichte iſt eine Geſchichte
von Überraſchungen. Auch hier trat immer das ein,
was man am wenigſten erwartete. Auch hier ging es
nicht in ruhiger ſtetiger Entwicklung vorwärts, ſondern
vielmehr ſprunghaft. Ganz ſtetig geht ja wohl keine
Entwicklung geiſtiger Kräfte. Denn der Geiſt liebt
die Schablone nicht. Geradlinig aufſteigend, ohne Krüm-
mungen, iſt auch unſere Geſchichte nicht verlaufen. Die
Völkerwanderung, die Reformation und die Wiederauf-
richtung des Deutſchen Reiches ſind Höhepunkte, wo mit
einem Mal in gewaltigem Anſtoß die Linie ſteil nach
oben ſtieg. Aber die Perioden, die auf dieſe Ereigniſſe
folgten, haben doch weiter gearbeitet, ſtetig und ununter-
brochen, haben keinen Rückſchritt noch Stillſtand geduldet,
haben ſelbſt in der vielverſchrieenen Zeit des dunkeln
Mittelalters aufwärts geführt, wenn auch nur in lang-
ſamer, ruhiger Entwicklung. Anders die Epochen der
japaniſchen Geſchichte. Das iſt kein allmähliches Auf-
ſteigen, das ſind vielmehr drei vereinzelte Berge, von
denen jeder folgende am Rande einer vorgelegenen
großen Ebene auf der Höhe des andern ſich erhebt.

Merkwürdigerweiſe fallen die drei Epochen, welche
in Übereinſtimmung mit dem japaniſchen Mangel an
Originalität ſtets durch Anſtöße von außen veranlaßt
wurden, nämlich durch die Berührung mit der chineſiſch-
buddhiſtiſchen, mit der mittelalterlich-katholiſchen und
mit der modern-proteſtantiſchen Kultur, zeitlich mit den
großen Epochen der deutſchen Geſchichte zuſammen.
Zur Zeit der Völkerwanderung iſt es geweſen, als die
chineſiſche Kultur, als deren Bannerträger zuerſt Kon-
fuzius, dann Buddha erſchien, teils direkt, teils über

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[107/0121] japaniſche Geſchichte im ganzen. Wo immer ſich Gelegen- heit zu Neuem geboten hat, da hat man dieſelbe begierig benützt. Auch die japaniſche Geſchichte iſt eine Geſchichte von Überraſchungen. Auch hier trat immer das ein, was man am wenigſten erwartete. Auch hier ging es nicht in ruhiger ſtetiger Entwicklung vorwärts, ſondern vielmehr ſprunghaft. Ganz ſtetig geht ja wohl keine Entwicklung geiſtiger Kräfte. Denn der Geiſt liebt die Schablone nicht. Geradlinig aufſteigend, ohne Krüm- mungen, iſt auch unſere Geſchichte nicht verlaufen. Die Völkerwanderung, die Reformation und die Wiederauf- richtung des Deutſchen Reiches ſind Höhepunkte, wo mit einem Mal in gewaltigem Anſtoß die Linie ſteil nach oben ſtieg. Aber die Perioden, die auf dieſe Ereigniſſe folgten, haben doch weiter gearbeitet, ſtetig und ununter- brochen, haben keinen Rückſchritt noch Stillſtand geduldet, haben ſelbſt in der vielverſchrieenen Zeit des dunkeln Mittelalters aufwärts geführt, wenn auch nur in lang- ſamer, ruhiger Entwicklung. Anders die Epochen der japaniſchen Geſchichte. Das iſt kein allmähliches Auf- ſteigen, das ſind vielmehr drei vereinzelte Berge, von denen jeder folgende am Rande einer vorgelegenen großen Ebene auf der Höhe des andern ſich erhebt. Merkwürdigerweiſe fallen die drei Epochen, welche in Übereinſtimmung mit dem japaniſchen Mangel an Originalität ſtets durch Anſtöße von außen veranlaßt wurden, nämlich durch die Berührung mit der chineſiſch- buddhiſtiſchen, mit der mittelalterlich-katholiſchen und mit der modern-proteſtantiſchen Kultur, zeitlich mit den großen Epochen der deutſchen Geſchichte zuſammen. Zur Zeit der Völkerwanderung iſt es geweſen, als die chineſiſche Kultur, als deren Bannerträger zuerſt Kon- fuzius, dann Buddha erſchien, teils direkt, teils über

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Zitationshilfe: Munzinger, Carl: Die Japaner. Berlin, 1898, S. 107. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/munzinger_japaner_1898/121>, abgerufen am 27.11.2024.