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Munzinger, Carl: Die Japaner. Berlin, 1898.

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Mehr als eine japanische Mutter, deren Sohn sich der
verhaßten Jesuslehre zuwandte, kam auf den Gedanken
des Selbstmords, um damit den Schimpf auszuwischen,
den der Sohn auf die Familie gebracht hat. Ich stand
einmal mit einem christlichen Japaner vor einem Bilde,
welches darstellte, wie einige zwanzig junge Samurai,
d. h. Männer aus dem Kriegerstand, die in einer
Schlacht mitgekämpft hatten, in der ihre Partei ge-
schlagen wurde, Selbstmord durch Harakiri begingen.
Ich sagte meinem Begleiter, daß in einem solchen Falle
bei uns zu Lande die jungen Leute am Leben geblieben
wären, um das nächste Mal um so feuriger zu kämpfen
und ihre frühere Niederlage durch die That wieder gut
zu machen oder, wenn es sein müßte, einen ehrlichen
Soldatentod in offener Feldschlacht zu finden. Der
Mann war Christ, aber er war auch Japaner, der stolz
war, daß auch seine Ahnen der Kriegerkaste einst ange-
hört, und als solcher blieb er dabei, daß die That jener
nicht allein großartiger und erhabener, -- denn darüber
ließe sich ja vom ästhetisch-dramatischen Standpunkt
aus streiten -- sondern auch sittlich besser und edler
gewesen sei. Die Wertschätzung des eigenen Lebens,
wie sie dem Europäer eigen ist und dem Christen zur
Pflicht gemacht wird, kennt der Japaner nicht. Der
Selbstmord gilt ihm nicht als unmoralisch, vielmehr
haben Romantik und Sentimentalität eine Art von
Heiligenschein um den Selbstmord gewoben. Der Ge-
danke, welcher zu allen Zeiten in vielen Köpfen gespukt
hat, daß Schande mit dem eigenen Blut abgewischt
werde, und daß Sünde mit dem Leben bezahlt d. h. gut
gemacht werden könne, ist dem japanischen Volk ein
Glaubenssatz, der zu einem strengen Ehrencodex führte
und das Harakiri als vielgeübten Brauch zur Folge

Mehr als eine japaniſche Mutter, deren Sohn ſich der
verhaßten Jeſuslehre zuwandte, kam auf den Gedanken
des Selbſtmords, um damit den Schimpf auszuwiſchen,
den der Sohn auf die Familie gebracht hat. Ich ſtand
einmal mit einem chriſtlichen Japaner vor einem Bilde,
welches darſtellte, wie einige zwanzig junge Samurai,
d. h. Männer aus dem Kriegerſtand, die in einer
Schlacht mitgekämpft hatten, in der ihre Partei ge-
ſchlagen wurde, Selbſtmord durch Harakiri begingen.
Ich ſagte meinem Begleiter, daß in einem ſolchen Falle
bei uns zu Lande die jungen Leute am Leben geblieben
wären, um das nächſte Mal um ſo feuriger zu kämpfen
und ihre frühere Niederlage durch die That wieder gut
zu machen oder, wenn es ſein müßte, einen ehrlichen
Soldatentod in offener Feldſchlacht zu finden. Der
Mann war Chriſt, aber er war auch Japaner, der ſtolz
war, daß auch ſeine Ahnen der Kriegerkaſte einſt ange-
hört, und als ſolcher blieb er dabei, daß die That jener
nicht allein großartiger und erhabener, — denn darüber
ließe ſich ja vom äſthetiſch-dramatiſchen Standpunkt
aus ſtreiten — ſondern auch ſittlich beſſer und edler
geweſen ſei. Die Wertſchätzung des eigenen Lebens,
wie ſie dem Europäer eigen iſt und dem Chriſten zur
Pflicht gemacht wird, kennt der Japaner nicht. Der
Selbſtmord gilt ihm nicht als unmoraliſch, vielmehr
haben Romantik und Sentimentalität eine Art von
Heiligenſchein um den Selbſtmord gewoben. Der Ge-
danke, welcher zu allen Zeiten in vielen Köpfen geſpukt
hat, daß Schande mit dem eigenen Blut abgewiſcht
werde, und daß Sünde mit dem Leben bezahlt d. h. gut
gemacht werden könne, iſt dem japaniſchen Volk ein
Glaubensſatz, der zu einem ſtrengen Ehrencodex führte
und das Harakiri als vielgeübten Brauch zur Folge

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[121/0135] Mehr als eine japaniſche Mutter, deren Sohn ſich der verhaßten Jeſuslehre zuwandte, kam auf den Gedanken des Selbſtmords, um damit den Schimpf auszuwiſchen, den der Sohn auf die Familie gebracht hat. Ich ſtand einmal mit einem chriſtlichen Japaner vor einem Bilde, welches darſtellte, wie einige zwanzig junge Samurai, d. h. Männer aus dem Kriegerſtand, die in einer Schlacht mitgekämpft hatten, in der ihre Partei ge- ſchlagen wurde, Selbſtmord durch Harakiri begingen. Ich ſagte meinem Begleiter, daß in einem ſolchen Falle bei uns zu Lande die jungen Leute am Leben geblieben wären, um das nächſte Mal um ſo feuriger zu kämpfen und ihre frühere Niederlage durch die That wieder gut zu machen oder, wenn es ſein müßte, einen ehrlichen Soldatentod in offener Feldſchlacht zu finden. Der Mann war Chriſt, aber er war auch Japaner, der ſtolz war, daß auch ſeine Ahnen der Kriegerkaſte einſt ange- hört, und als ſolcher blieb er dabei, daß die That jener nicht allein großartiger und erhabener, — denn darüber ließe ſich ja vom äſthetiſch-dramatiſchen Standpunkt aus ſtreiten — ſondern auch ſittlich beſſer und edler geweſen ſei. Die Wertſchätzung des eigenen Lebens, wie ſie dem Europäer eigen iſt und dem Chriſten zur Pflicht gemacht wird, kennt der Japaner nicht. Der Selbſtmord gilt ihm nicht als unmoraliſch, vielmehr haben Romantik und Sentimentalität eine Art von Heiligenſchein um den Selbſtmord gewoben. Der Ge- danke, welcher zu allen Zeiten in vielen Köpfen geſpukt hat, daß Schande mit dem eigenen Blut abgewiſcht werde, und daß Sünde mit dem Leben bezahlt d. h. gut gemacht werden könne, iſt dem japaniſchen Volk ein Glaubensſatz, der zu einem ſtrengen Ehrencodex führte und das Harakiri als vielgeübten Brauch zur Folge

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Zitationshilfe: Munzinger, Carl: Die Japaner. Berlin, 1898, S. 121. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/munzinger_japaner_1898/135>, abgerufen am 24.11.2024.