"dummen Frau" (gusai). Der Mann ist der Himmel, die Frau die Erde; der Mann ist die Sonne, die Frau aber soll ihre einzige Ehre in dem auf ihr ruhenden Abglanz der Sonne sehen, sie soll sich bescheiden mit dem stillen Schein des Mondes.
Demzufolge ist die Stellung der japanischen Frau entschieden eine niedrige. Gleichwohl darf man nicht etwa meinen, der japanische Ehemann sei gemeinhin ein brutaler Wüterich, dem es Vergnügen mache, seine tyrannischen Gelüste an seiner armen Frau auszulassen. Auch hier ist es wie überall: Es giebt rohe und wohl- meinende Männer. Die fünfundzwanzig Frauen von hundert, deren Ehen geschieden werden, haben ja wohl von vornherein Nieten in der großen Lotterie des Glückes gezogen. Damit ist aber zugleich mit den unglücklichen Ehen stark aufgeräumt, und wenn die Bestimmungen des Konfuzius über Ehescheidung einen Vorzug haben, so ist es der, daß sie ein vortreffliches Sieb bilden. Unter den übrigen Ehen giebt es nicht weniger als bei uns, die als normal glückliche bezeichnet werden dürfen. Wenn auch Gatte und Gattin ohne Liebe in die Ehe treten, so ist doch das Wesen der Frau in der Regel derart, daß ihr Mann sie lieb gewinnt. Und wenn sie auch als erste Magd des Mannes ihren Platz vorzüglich in der Küche und in der Kinderstube hat, so weiß sie doch nicht selten ein Plätzchen im Herzen des Gatten zu finden. Nach meiner Kenntnis des japanischen Familienlebens ist es theore- tisch richtig, aber praktisch meistens falsch, von der Japanerin schlechthin als von einer Sklavin zu reden. Auf die niederen Klassen des Volkes, wo der Kampf um das Dasein die Unterschiede aufhebt und alle gleich- macht, trifft es durchaus nicht zu. Aber auch für die
„dummen Frau“ (gusai). Der Mann iſt der Himmel, die Frau die Erde; der Mann iſt die Sonne, die Frau aber ſoll ihre einzige Ehre in dem auf ihr ruhenden Abglanz der Sonne ſehen, ſie ſoll ſich beſcheiden mit dem ſtillen Schein des Mondes.
Demzufolge iſt die Stellung der japaniſchen Frau entſchieden eine niedrige. Gleichwohl darf man nicht etwa meinen, der japaniſche Ehemann ſei gemeinhin ein brutaler Wüterich, dem es Vergnügen mache, ſeine tyranniſchen Gelüſte an ſeiner armen Frau auszulaſſen. Auch hier iſt es wie überall: Es giebt rohe und wohl- meinende Männer. Die fünfundzwanzig Frauen von hundert, deren Ehen geſchieden werden, haben ja wohl von vornherein Nieten in der großen Lotterie des Glückes gezogen. Damit iſt aber zugleich mit den unglücklichen Ehen ſtark aufgeräumt, und wenn die Beſtimmungen des Konfuzius über Eheſcheidung einen Vorzug haben, ſo iſt es der, daß ſie ein vortreffliches Sieb bilden. Unter den übrigen Ehen giebt es nicht weniger als bei uns, die als normal glückliche bezeichnet werden dürfen. Wenn auch Gatte und Gattin ohne Liebe in die Ehe treten, ſo iſt doch das Weſen der Frau in der Regel derart, daß ihr Mann ſie lieb gewinnt. Und wenn ſie auch als erſte Magd des Mannes ihren Platz vorzüglich in der Küche und in der Kinderſtube hat, ſo weiß ſie doch nicht ſelten ein Plätzchen im Herzen des Gatten zu finden. Nach meiner Kenntnis des japaniſchen Familienlebens iſt es theore- tiſch richtig, aber praktiſch meiſtens falſch, von der Japanerin ſchlechthin als von einer Sklavin zu reden. Auf die niederen Klaſſen des Volkes, wo der Kampf um das Daſein die Unterſchiede aufhebt und alle gleich- macht, trifft es durchaus nicht zu. Aber auch für die
<TEI><text><body><divn="1"><p><pbfacs="#f0150"n="136"/>„dummen Frau“ (<hirendition="#aq">gusai</hi>). Der Mann iſt der Himmel,<lb/>
die Frau die Erde; der Mann iſt die Sonne, die Frau<lb/>
aber ſoll ihre einzige Ehre in dem auf ihr ruhenden<lb/>
Abglanz der Sonne ſehen, ſie ſoll ſich beſcheiden mit<lb/>
dem ſtillen Schein des Mondes.</p><lb/><p>Demzufolge iſt die Stellung der japaniſchen Frau<lb/>
entſchieden eine niedrige. Gleichwohl darf man nicht<lb/>
etwa meinen, der japaniſche Ehemann ſei gemeinhin<lb/>
ein brutaler Wüterich, dem es Vergnügen mache, ſeine<lb/>
tyranniſchen Gelüſte an ſeiner armen Frau auszulaſſen.<lb/>
Auch hier iſt es wie überall: Es giebt rohe und wohl-<lb/>
meinende Männer. Die fünfundzwanzig Frauen von<lb/>
hundert, deren Ehen geſchieden werden, haben ja wohl<lb/>
von vornherein Nieten in der großen Lotterie des<lb/>
Glückes gezogen. Damit iſt aber zugleich mit den<lb/>
unglücklichen Ehen ſtark aufgeräumt, und wenn die<lb/>
Beſtimmungen des Konfuzius über Eheſcheidung einen<lb/>
Vorzug haben, ſo iſt es der, daß ſie ein vortreffliches<lb/>
Sieb bilden. Unter den übrigen Ehen giebt es nicht<lb/>
weniger als bei uns, die als normal glückliche bezeichnet<lb/>
werden dürfen. Wenn auch Gatte und Gattin ohne<lb/>
Liebe in die Ehe treten, ſo iſt doch das Weſen der<lb/>
Frau in der Regel derart, daß ihr Mann ſie lieb<lb/>
gewinnt. Und wenn ſie auch als erſte Magd des<lb/>
Mannes ihren Platz vorzüglich in der Küche und in<lb/>
der Kinderſtube hat, ſo weiß ſie doch nicht ſelten ein<lb/>
Plätzchen im Herzen des Gatten zu finden. Nach meiner<lb/>
Kenntnis des japaniſchen Familienlebens iſt es theore-<lb/>
tiſch richtig, aber praktiſch meiſtens falſch, von der<lb/>
Japanerin ſchlechthin als von einer Sklavin zu reden.<lb/>
Auf die niederen Klaſſen des Volkes, wo der Kampf<lb/>
um das Daſein die Unterſchiede aufhebt und alle gleich-<lb/>
macht, trifft es durchaus nicht zu. Aber auch für die<lb/></p></div></body></text></TEI>
[136/0150]
„dummen Frau“ (gusai). Der Mann iſt der Himmel,
die Frau die Erde; der Mann iſt die Sonne, die Frau
aber ſoll ihre einzige Ehre in dem auf ihr ruhenden
Abglanz der Sonne ſehen, ſie ſoll ſich beſcheiden mit
dem ſtillen Schein des Mondes.
Demzufolge iſt die Stellung der japaniſchen Frau
entſchieden eine niedrige. Gleichwohl darf man nicht
etwa meinen, der japaniſche Ehemann ſei gemeinhin
ein brutaler Wüterich, dem es Vergnügen mache, ſeine
tyranniſchen Gelüſte an ſeiner armen Frau auszulaſſen.
Auch hier iſt es wie überall: Es giebt rohe und wohl-
meinende Männer. Die fünfundzwanzig Frauen von
hundert, deren Ehen geſchieden werden, haben ja wohl
von vornherein Nieten in der großen Lotterie des
Glückes gezogen. Damit iſt aber zugleich mit den
unglücklichen Ehen ſtark aufgeräumt, und wenn die
Beſtimmungen des Konfuzius über Eheſcheidung einen
Vorzug haben, ſo iſt es der, daß ſie ein vortreffliches
Sieb bilden. Unter den übrigen Ehen giebt es nicht
weniger als bei uns, die als normal glückliche bezeichnet
werden dürfen. Wenn auch Gatte und Gattin ohne
Liebe in die Ehe treten, ſo iſt doch das Weſen der
Frau in der Regel derart, daß ihr Mann ſie lieb
gewinnt. Und wenn ſie auch als erſte Magd des
Mannes ihren Platz vorzüglich in der Küche und in
der Kinderſtube hat, ſo weiß ſie doch nicht ſelten ein
Plätzchen im Herzen des Gatten zu finden. Nach meiner
Kenntnis des japaniſchen Familienlebens iſt es theore-
tiſch richtig, aber praktiſch meiſtens falſch, von der
Japanerin ſchlechthin als von einer Sklavin zu reden.
Auf die niederen Klaſſen des Volkes, wo der Kampf
um das Daſein die Unterſchiede aufhebt und alle gleich-
macht, trifft es durchaus nicht zu. Aber auch für die
Informationen zur CAB-Ansicht
Diese Ansicht bietet Ihnen die Darstellung des Textes in normalisierter Orthographie.
Diese Textvariante wird vollautomatisch erstellt und kann aufgrund dessen auch Fehler enthalten.
Alle veränderten Wortformen sind grau hinterlegt. Als fremdsprachliches Material erkannte
Textteile sind ausgegraut dargestellt.
Munzinger, Carl: Die Japaner. Berlin, 1898, S. 136. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/munzinger_japaner_1898/150>, abgerufen am 22.11.2024.
Alle Inhalte dieser Seite unterstehen, soweit nicht anders gekennzeichnet, einer
Creative-Commons-Lizenz.
Die Rechte an den angezeigten Bilddigitalisaten, soweit nicht anders gekennzeichnet, liegen bei den besitzenden Bibliotheken.
Weitere Informationen finden Sie in den DTA-Nutzungsbedingungen.
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf
diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken
dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder
nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der
Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden.
Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des
§ 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen
Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung
der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu
vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
Zitierempfehlung: Deutsches Textarchiv. Grundlage für ein Referenzkorpus der neuhochdeutschen Sprache. Herausgegeben von der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften, Berlin 2024. URL: https://www.deutschestextarchiv.de/.