Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Munzinger, Carl: Die Japaner. Berlin, 1898.

Bild:
<< vorherige Seite

ausgezeichnet, besaß der Samurai eine Ausnahmestellung,
wie sie in dem Sprichwort trefflich gekennzeichnet wird:
"Wie die Kirschblüte die Krone der Blumen, so ist der
Samurai die Krone der Menschen". In früheren Zeiten
konnte es wohl vorkommen, das ein Samurai an einem
verborgenen Ort sich aufstellte, um an harmlos dahin-
wandelnden Leuten aus dem Volk sein neues Schwert
zu probieren, ob es auch scharf genug sei, um mit
einem Streich einen Menschen durchzuschneiden. Damals
gehörte es auch nicht zu den Seltenheiten, daß der
Herrscher einem mißliebig gewordenen Hofmann oder
Samurai ein Schwert, und zwar je nach dem Rang
sogar ein sehr kostbares Schwert, zusandte, damit er
mittels desselben Harakiri begehen sollte. Einen Aus-
weg gab es dabei nicht, und der Verurteilte selbst suchte
auch keinen, so daß die Geschichte von dem japanischen
Edelmann, welcher mit einem solchen brillantenbesetzten
Schwert nach Paris entfloh, wo ihn der Verkauf der
Waffe in die Lage versetzte, herrlich und in Freuden
leben zu können, als eine schöne Legende bezeichnet
werden muß.

Diese mehr als zweifelhafte Romantik hat jetzt
ein Ende. Heute giebt es keine Rechtlosen im Staate
mehr. Die Kasten sind seit 1871 aufgehoben, und jeder-
mann genießt den Schutz des Gesetzes. Verbrechen
wider das Leben sind kaum so häufig als in unserem
christlichen Deutschland, und während der ganzen Dauer
meines japanischen Aufenthalts habe ich nie eine Waffe
besessen.

An der Spitze des Staats steht der Kaiser. Der
Name Mikado, welcher merkwürdigerweise mit der Be-
zeichnung der höchsten Gewalt in der Türkei zusammen-
trifft -- Mikado bedeutet "Hohe Pforte" --, ist längst

ausgezeichnet, beſaß der Samurai eine Ausnahmeſtellung,
wie ſie in dem Sprichwort trefflich gekennzeichnet wird:
„Wie die Kirſchblüte die Krone der Blumen, ſo iſt der
Samurai die Krone der Menſchen“. In früheren Zeiten
konnte es wohl vorkommen, das ein Samurai an einem
verborgenen Ort ſich aufſtellte, um an harmlos dahin-
wandelnden Leuten aus dem Volk ſein neues Schwert
zu probieren, ob es auch ſcharf genug ſei, um mit
einem Streich einen Menſchen durchzuſchneiden. Damals
gehörte es auch nicht zu den Seltenheiten, daß der
Herrſcher einem mißliebig gewordenen Hofmann oder
Samurai ein Schwert, und zwar je nach dem Rang
ſogar ein ſehr koſtbares Schwert, zuſandte, damit er
mittels desſelben Harakiri begehen ſollte. Einen Aus-
weg gab es dabei nicht, und der Verurteilte ſelbſt ſuchte
auch keinen, ſo daß die Geſchichte von dem japaniſchen
Edelmann, welcher mit einem ſolchen brillantenbeſetzten
Schwert nach Paris entfloh, wo ihn der Verkauf der
Waffe in die Lage verſetzte, herrlich und in Freuden
leben zu können, als eine ſchöne Legende bezeichnet
werden muß.

Dieſe mehr als zweifelhafte Romantik hat jetzt
ein Ende. Heute giebt es keine Rechtloſen im Staate
mehr. Die Kaſten ſind ſeit 1871 aufgehoben, und jeder-
mann genießt den Schutz des Geſetzes. Verbrechen
wider das Leben ſind kaum ſo häufig als in unſerem
chriſtlichen Deutſchland, und während der ganzen Dauer
meines japaniſchen Aufenthalts habe ich nie eine Waffe
beſeſſen.

An der Spitze des Staats ſteht der Kaiſer. Der
Name Mikado, welcher merkwürdigerweiſe mit der Be-
zeichnung der höchſten Gewalt in der Türkei zuſammen-
trifft — Mikado bedeutet „Hohe Pforte“ —, iſt längſt

<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <p><pb facs="#f0183" n="169"/>
ausgezeichnet, be&#x017F;aß der Samurai eine Ausnahme&#x017F;tellung,<lb/>
wie &#x017F;ie in dem Sprichwort trefflich gekennzeichnet wird:<lb/>
&#x201E;Wie die Kir&#x017F;chblüte die Krone der Blumen, &#x017F;o i&#x017F;t der<lb/>
Samurai die Krone der Men&#x017F;chen&#x201C;. In früheren Zeiten<lb/>
konnte es wohl vorkommen, das ein Samurai an einem<lb/>
verborgenen Ort &#x017F;ich auf&#x017F;tellte, um an harmlos dahin-<lb/>
wandelnden Leuten aus dem Volk &#x017F;ein neues Schwert<lb/>
zu probieren, ob es auch &#x017F;charf genug &#x017F;ei, um mit<lb/>
einem Streich einen Men&#x017F;chen durchzu&#x017F;chneiden. Damals<lb/>
gehörte es auch nicht zu den Seltenheiten, daß der<lb/>
Herr&#x017F;cher einem mißliebig gewordenen Hofmann oder<lb/>
Samurai ein Schwert, und zwar je nach dem Rang<lb/>
&#x017F;ogar ein &#x017F;ehr ko&#x017F;tbares Schwert, zu&#x017F;andte, damit er<lb/>
mittels des&#x017F;elben Harakiri begehen &#x017F;ollte. Einen Aus-<lb/>
weg gab es dabei nicht, und der Verurteilte &#x017F;elb&#x017F;t &#x017F;uchte<lb/>
auch keinen, &#x017F;o daß die Ge&#x017F;chichte von dem japani&#x017F;chen<lb/>
Edelmann, welcher mit einem &#x017F;olchen brillantenbe&#x017F;etzten<lb/>
Schwert nach Paris entfloh, wo ihn der Verkauf der<lb/>
Waffe in die Lage ver&#x017F;etzte, herrlich und in Freuden<lb/>
leben zu können, als eine &#x017F;chöne Legende bezeichnet<lb/>
werden muß.</p><lb/>
        <p>Die&#x017F;e mehr als zweifelhafte Romantik hat jetzt<lb/>
ein Ende. Heute giebt es keine Rechtlo&#x017F;en im Staate<lb/>
mehr. Die Ka&#x017F;ten &#x017F;ind &#x017F;eit 1871 aufgehoben, und jeder-<lb/>
mann genießt den Schutz des Ge&#x017F;etzes. Verbrechen<lb/>
wider das Leben &#x017F;ind kaum &#x017F;o häufig als in un&#x017F;erem<lb/>
chri&#x017F;tlichen Deut&#x017F;chland, und während der ganzen Dauer<lb/>
meines japani&#x017F;chen Aufenthalts habe ich nie eine Waffe<lb/>
be&#x017F;e&#x017F;&#x017F;en.</p><lb/>
        <p>An der Spitze des Staats &#x017F;teht der Kai&#x017F;er. Der<lb/>
Name Mikado, welcher merkwürdigerwei&#x017F;e mit der Be-<lb/>
zeichnung der höch&#x017F;ten Gewalt in der Türkei zu&#x017F;ammen-<lb/>
trifft &#x2014; Mikado bedeutet &#x201E;Hohe Pforte&#x201C; &#x2014;, i&#x017F;t läng&#x017F;t<lb/></p>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[169/0183] ausgezeichnet, beſaß der Samurai eine Ausnahmeſtellung, wie ſie in dem Sprichwort trefflich gekennzeichnet wird: „Wie die Kirſchblüte die Krone der Blumen, ſo iſt der Samurai die Krone der Menſchen“. In früheren Zeiten konnte es wohl vorkommen, das ein Samurai an einem verborgenen Ort ſich aufſtellte, um an harmlos dahin- wandelnden Leuten aus dem Volk ſein neues Schwert zu probieren, ob es auch ſcharf genug ſei, um mit einem Streich einen Menſchen durchzuſchneiden. Damals gehörte es auch nicht zu den Seltenheiten, daß der Herrſcher einem mißliebig gewordenen Hofmann oder Samurai ein Schwert, und zwar je nach dem Rang ſogar ein ſehr koſtbares Schwert, zuſandte, damit er mittels desſelben Harakiri begehen ſollte. Einen Aus- weg gab es dabei nicht, und der Verurteilte ſelbſt ſuchte auch keinen, ſo daß die Geſchichte von dem japaniſchen Edelmann, welcher mit einem ſolchen brillantenbeſetzten Schwert nach Paris entfloh, wo ihn der Verkauf der Waffe in die Lage verſetzte, herrlich und in Freuden leben zu können, als eine ſchöne Legende bezeichnet werden muß. Dieſe mehr als zweifelhafte Romantik hat jetzt ein Ende. Heute giebt es keine Rechtloſen im Staate mehr. Die Kaſten ſind ſeit 1871 aufgehoben, und jeder- mann genießt den Schutz des Geſetzes. Verbrechen wider das Leben ſind kaum ſo häufig als in unſerem chriſtlichen Deutſchland, und während der ganzen Dauer meines japaniſchen Aufenthalts habe ich nie eine Waffe beſeſſen. An der Spitze des Staats ſteht der Kaiſer. Der Name Mikado, welcher merkwürdigerweiſe mit der Be- zeichnung der höchſten Gewalt in der Türkei zuſammen- trifft — Mikado bedeutet „Hohe Pforte“ —, iſt längſt

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/munzinger_japaner_1898
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/munzinger_japaner_1898/183
Zitationshilfe: Munzinger, Carl: Die Japaner. Berlin, 1898, S. 169. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/munzinger_japaner_1898/183>, abgerufen am 21.11.2024.