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Munzinger, Carl: Die Japaner. Berlin, 1898.

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nach wie vor englisch-demokratischen Tendenzen; aber noch
viel weniger, als in England Gefahr für den Thron
besteht, denkt man in Japan daran, den Kaiser abzusetzen.

Man darf sich nicht dem Glauben hingeben, daß
der Kaiser selbst der Urheber der gewaltigen Reformen
der letzten Jahrzehnte sei. Bei einem Herrscher, der
gleich Dutzenden seiner Vorgänger nur auf einen Schatten-
kaiser hin erzogen ist, ist das kaum zu erwarten. Was
in europäischen Zeitungen manchmal geschrieben steht
über die hohe Intelligenz und Weisheit des japanischen
Kaiserpaares, muß mit Vorsicht aufgenommen werden.
Der Kaiser ist kein Wilhelm I. und die Kaiserin, wenn
sie auch einige einunddreißigsilbige, von dem Volk ge-
bührend bewunderte Gedichte gemacht hat und hier und
da die adelige Mädchenschule und die Versammlungen
des Roten Kreuzes mit ihrem Besuche beehrt, ist doch
keine Königin Luise. Die Wahrheit dürfte sein, daß
die japanischen Staatsmänner, Ito und Inouye, Yama-
gata, Matsukata und Itagaki, welche sich wirklich durch
Weisheit auszeichnen, die Person des Kaisers als Schild
benutzen, wenn auch durchaus nicht mißbrauchen, um
unter demselben ihre eigenen hohen und weitsichtigen
Pläne durchzuführen. Diese haben mit Hilfe der fremden
Ratgeber, deren Werk nicht unterschätzt werden darf, das
neue Japan geschaffen und den modernen japanischen Staat
gemacht. Diese beiden Faktoren zusammen haben die
europäische Staatsmaschine nach Japan hinübergebracht.

Zwar ein lebendiger Organismus, der aus dem
Innersten des Volkes geboren ist und durch seine innersten
Überzeugungen getragen wird, ist die Maschine noch
nicht geworden. Sie ist Maschine geblieben; aber --
und das ist vorläufig die Hauptsache -- sie geht und
hat nun Zeit genug, in das Innere des Volkes hinein-

nach wie vor engliſch-demokratiſchen Tendenzen; aber noch
viel weniger, als in England Gefahr für den Thron
beſteht, denkt man in Japan daran, den Kaiſer abzuſetzen.

Man darf ſich nicht dem Glauben hingeben, daß
der Kaiſer ſelbſt der Urheber der gewaltigen Reformen
der letzten Jahrzehnte ſei. Bei einem Herrſcher, der
gleich Dutzenden ſeiner Vorgänger nur auf einen Schatten-
kaiſer hin erzogen iſt, iſt das kaum zu erwarten. Was
in europäiſchen Zeitungen manchmal geſchrieben ſteht
über die hohe Intelligenz und Weisheit des japaniſchen
Kaiſerpaares, muß mit Vorſicht aufgenommen werden.
Der Kaiſer iſt kein Wilhelm I. und die Kaiſerin, wenn
ſie auch einige einunddreißigſilbige, von dem Volk ge-
bührend bewunderte Gedichte gemacht hat und hier und
da die adelige Mädchenſchule und die Verſammlungen
des Roten Kreuzes mit ihrem Beſuche beehrt, iſt doch
keine Königin Luiſe. Die Wahrheit dürfte ſein, daß
die japaniſchen Staatsmänner, Ito und Inouye, Yama-
gata, Matſukata und Itagaki, welche ſich wirklich durch
Weisheit auszeichnen, die Perſon des Kaiſers als Schild
benutzen, wenn auch durchaus nicht mißbrauchen, um
unter demſelben ihre eigenen hohen und weitſichtigen
Pläne durchzuführen. Dieſe haben mit Hilfe der fremden
Ratgeber, deren Werk nicht unterſchätzt werden darf, das
neue Japan geſchaffen und den modernen japaniſchen Staat
gemacht. Dieſe beiden Faktoren zuſammen haben die
europäiſche Staatsmaſchine nach Japan hinübergebracht.

Zwar ein lebendiger Organismus, der aus dem
Innerſten des Volkes geboren iſt und durch ſeine innerſten
Überzeugungen getragen wird, iſt die Maſchine noch
nicht geworden. Sie iſt Maſchine geblieben; aber —
und das iſt vorläufig die Hauptſache — ſie geht und
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[173/0187] nach wie vor engliſch-demokratiſchen Tendenzen; aber noch viel weniger, als in England Gefahr für den Thron beſteht, denkt man in Japan daran, den Kaiſer abzuſetzen. Man darf ſich nicht dem Glauben hingeben, daß der Kaiſer ſelbſt der Urheber der gewaltigen Reformen der letzten Jahrzehnte ſei. Bei einem Herrſcher, der gleich Dutzenden ſeiner Vorgänger nur auf einen Schatten- kaiſer hin erzogen iſt, iſt das kaum zu erwarten. Was in europäiſchen Zeitungen manchmal geſchrieben ſteht über die hohe Intelligenz und Weisheit des japaniſchen Kaiſerpaares, muß mit Vorſicht aufgenommen werden. Der Kaiſer iſt kein Wilhelm I. und die Kaiſerin, wenn ſie auch einige einunddreißigſilbige, von dem Volk ge- bührend bewunderte Gedichte gemacht hat und hier und da die adelige Mädchenſchule und die Verſammlungen des Roten Kreuzes mit ihrem Beſuche beehrt, iſt doch keine Königin Luiſe. Die Wahrheit dürfte ſein, daß die japaniſchen Staatsmänner, Ito und Inouye, Yama- gata, Matſukata und Itagaki, welche ſich wirklich durch Weisheit auszeichnen, die Perſon des Kaiſers als Schild benutzen, wenn auch durchaus nicht mißbrauchen, um unter demſelben ihre eigenen hohen und weitſichtigen Pläne durchzuführen. Dieſe haben mit Hilfe der fremden Ratgeber, deren Werk nicht unterſchätzt werden darf, das neue Japan geſchaffen und den modernen japaniſchen Staat gemacht. Dieſe beiden Faktoren zuſammen haben die europäiſche Staatsmaſchine nach Japan hinübergebracht. Zwar ein lebendiger Organismus, der aus dem Innerſten des Volkes geboren iſt und durch ſeine innerſten Überzeugungen getragen wird, iſt die Maſchine noch nicht geworden. Sie iſt Maſchine geblieben; aber — und das iſt vorläufig die Hauptſache — ſie geht und hat nun Zeit genug, in das Innere des Volkes hinein-

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Zitationshilfe: Munzinger, Carl: Die Japaner. Berlin, 1898, S. 173. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/munzinger_japaner_1898/187>, abgerufen am 21.11.2024.