die Dauer als unhaltbar. Dem Kaiser war jede Ge- legenheit genommen, auf sein Volk einen persönlichen Einfluß auszuüben und den Herzen seiner Unterthanen näher zu treten. Der durch die Berührungen mit Eng- land und Amerika wach gerufene demokratische Geist wurde immer stärker, das monarchische Bewußtsein wurde mehr und mehr geschwächt. Über manchen japanischen Jünglings Angesicht sah ich schon ein recht skeptisches Lächeln gleiten, wenn von dem Kaiser die Rede war. Prozesse, welche in der alten Welt Jahr- hunderte brauchten, sah man hier innerhalb eines Jahr- zehntes wie auf einer Schaubühne vor den eigenen Augen sich abwickeln. Im Anfang der neunziger Jahre hatte es das Ansehen, als steure Japan mit Riesen- geschwindigkeit einer Republik nach dem Muster der südamerikanischen entgegen. Da brach gerade zur rechten Zeit der Krieg mit China aus, und diese Gelegenheit benutzten die japanischen Staatsmänner, um die Mon- archie wieder auf festen Grund zu stellen. Sie veran- laßten den Kaiser, nach dem Hauptquartier zu gehen, und nun erschienen täglich Notizen in den Zeitungen über die anspruchslose Lebensweise des Kaisers, der alle Entbehrungen seiner Soldaten zu teilen wünsche, über seine hingebende Aufopferung und anderes mehr. Der Kaiser erschien mit einem Male als der treubesorgte Vater seiner Unterthanen, und mit einem Schlag wurde er populär. Bei seiner Rückkehr aus dem Hauptquartier geschah es zum erstenmal, daß er im offenen Wagen durch die Straßen von Tokyo fuhr im Angesichte seines getreuen Volkes. Wozu die Idee des Mikadotums sich unkräftig erwiesen hatte, der Person des Herrschers war es gelungen: Nun lebt er wieder in den Herzen seiner Unterthanen. Wohl huldigen die herrschenden Parteien
die Dauer als unhaltbar. Dem Kaiſer war jede Ge- legenheit genommen, auf ſein Volk einen perſönlichen Einfluß auszuüben und den Herzen ſeiner Unterthanen näher zu treten. Der durch die Berührungen mit Eng- land und Amerika wach gerufene demokratiſche Geiſt wurde immer ſtärker, das monarchiſche Bewußtſein wurde mehr und mehr geſchwächt. Über manchen japaniſchen Jünglings Angeſicht ſah ich ſchon ein recht ſkeptiſches Lächeln gleiten, wenn von dem Kaiſer die Rede war. Prozeſſe, welche in der alten Welt Jahr- hunderte brauchten, ſah man hier innerhalb eines Jahr- zehntes wie auf einer Schaubühne vor den eigenen Augen ſich abwickeln. Im Anfang der neunziger Jahre hatte es das Anſehen, als ſteure Japan mit Rieſen- geſchwindigkeit einer Republik nach dem Muſter der ſüdamerikaniſchen entgegen. Da brach gerade zur rechten Zeit der Krieg mit China aus, und dieſe Gelegenheit benutzten die japaniſchen Staatsmänner, um die Mon- archie wieder auf feſten Grund zu ſtellen. Sie veran- laßten den Kaiſer, nach dem Hauptquartier zu gehen, und nun erſchienen täglich Notizen in den Zeitungen über die anſpruchsloſe Lebensweiſe des Kaiſers, der alle Entbehrungen ſeiner Soldaten zu teilen wünſche, über ſeine hingebende Aufopferung und anderes mehr. Der Kaiſer erſchien mit einem Male als der treubeſorgte Vater ſeiner Unterthanen, und mit einem Schlag wurde er populär. Bei ſeiner Rückkehr aus dem Hauptquartier geſchah es zum erſtenmal, daß er im offenen Wagen durch die Straßen von Tokyo fuhr im Angeſichte ſeines getreuen Volkes. Wozu die Idee des Mikadotums ſich unkräftig erwieſen hatte, der Perſon des Herrſchers war es gelungen: Nun lebt er wieder in den Herzen ſeiner Unterthanen. Wohl huldigen die herrſchenden Parteien
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die Dauer als unhaltbar. Dem Kaiſer war jede Ge-
legenheit genommen, auf ſein Volk einen perſönlichen
Einfluß auszuüben und den Herzen ſeiner Unterthanen
näher zu treten. Der durch die Berührungen mit Eng-
land und Amerika wach gerufene demokratiſche Geiſt
wurde immer ſtärker, das monarchiſche Bewußtſein
wurde mehr und mehr geſchwächt. Über manchen
japaniſchen Jünglings Angeſicht ſah ich ſchon ein recht
ſkeptiſches Lächeln gleiten, wenn von dem Kaiſer die
Rede war. Prozeſſe, welche in der alten Welt Jahr-
hunderte brauchten, ſah man hier innerhalb eines Jahr-
zehntes wie auf einer Schaubühne vor den eigenen
Augen ſich abwickeln. Im Anfang der neunziger Jahre
hatte es das Anſehen, als ſteure Japan mit Rieſen-
geſchwindigkeit einer Republik nach dem Muſter der
ſüdamerikaniſchen entgegen. Da brach gerade zur rechten
Zeit der Krieg mit China aus, und dieſe Gelegenheit
benutzten die japaniſchen Staatsmänner, um die Mon-
archie wieder auf feſten Grund zu ſtellen. Sie veran-
laßten den Kaiſer, nach dem Hauptquartier zu gehen,
und nun erſchienen täglich Notizen in den Zeitungen
über die anſpruchsloſe Lebensweiſe des Kaiſers, der
alle Entbehrungen ſeiner Soldaten zu teilen wünſche,
über ſeine hingebende Aufopferung und anderes mehr.
Der Kaiſer erſchien mit einem Male als der treubeſorgte
Vater ſeiner Unterthanen, und mit einem Schlag wurde
er populär. Bei ſeiner Rückkehr aus dem Hauptquartier
geſchah es zum erſtenmal, daß er im offenen Wagen
durch die Straßen von Tokyo fuhr im Angeſichte ſeines
getreuen Volkes. Wozu die Idee des Mikadotums ſich
unkräftig erwieſen hatte, der Perſon des Herrſchers war
es gelungen: Nun lebt er wieder in den Herzen ſeiner
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Munzinger, Carl: Die Japaner. Berlin, 1898, S. 172. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/munzinger_japaner_1898/186>, abgerufen am 24.11.2024.
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