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Munzinger, Carl: Die Japaner. Berlin, 1898.

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Bildung ist nicht weit her. Der Oberpriester, ein noch
ganz junger Mann, der Amt und Rang von seinem
Vater übernommen hat, muß den Nachweis liefern, daß
er die alten Ritualgebete und das Kojiki lesen kann,
von den übrigen wird keine besondere Bildung verlangt.
Gehalt beziehen sie nicht; doch werden ihnen von den
Gläubigen, die in der ganzen Gegend zerstreut wohnen,
und deren Zahl sich auf zweihunderttausend belaufen
soll, kleine Gaben an Reis und andern Früchten und
zuweilen auch an Geld gebracht. Dabei könnten sie
freilich verhungern, zumal sie auch noch den Kami mit
ernähren müssen und den Tempel zu unterhalten haben.
Sie haben daher ihre Zuflucht zu dem Ackerbau ge-
nommen. Im gewöhnlichen Leben sind sie weiter nichts
als Bauern, von denen sie sich weder sozial, noch geistig,
noch sittlich im geringsten unterscheiden. Wenn dann
alle vierzehn Tage wieder einmal die Reihe zum Tempel-
dienst an sie kommt, ziehen sie den Bauernkittel aus
und legen die Priestertracht, weite Hose (hakama),
Überwurf und hohe schwarze Kappe, an und gehen früh
morgens zum Tempel hinauf. Das wichtigste Geschäft,
welches sie dort zu besorgen haben, ist die Bereitung
des Opfers für den Gott. Das Opfer besteht aus den-
selben Speisen, welche gewöhnliche Sterbliche auch essen,
und auch der Sake ist nicht vergessen. Man nimmt
an, daß der Gott den Geist aus der Speise heraus-
genießt; damit aber auch die Materie nicht verloren
geht, so lassen sich die Priester dieselbe als Mahlzeit
gut schmecken, und da man neben andern guten Dingen
auch an Sake um des Gottes willen nicht sparen darf,
so habe ich sie manchmal des Abends in recht heiterer
Stimmung vom Tempeldienst zurückkehren sehen. Die
Vorstellungen, welche der Shintoismus von Göttern

Bildung iſt nicht weit her. Der Oberprieſter, ein noch
ganz junger Mann, der Amt und Rang von ſeinem
Vater übernommen hat, muß den Nachweis liefern, daß
er die alten Ritualgebete und das Kojiki leſen kann,
von den übrigen wird keine beſondere Bildung verlangt.
Gehalt beziehen ſie nicht; doch werden ihnen von den
Gläubigen, die in der ganzen Gegend zerſtreut wohnen,
und deren Zahl ſich auf zweihunderttauſend belaufen
ſoll, kleine Gaben an Reis und andern Früchten und
zuweilen auch an Geld gebracht. Dabei könnten ſie
freilich verhungern, zumal ſie auch noch den Kami mit
ernähren müſſen und den Tempel zu unterhalten haben.
Sie haben daher ihre Zuflucht zu dem Ackerbau ge-
nommen. Im gewöhnlichen Leben ſind ſie weiter nichts
als Bauern, von denen ſie ſich weder ſozial, noch geiſtig,
noch ſittlich im geringſten unterſcheiden. Wenn dann
alle vierzehn Tage wieder einmal die Reihe zum Tempel-
dienſt an ſie kommt, ziehen ſie den Bauernkittel aus
und legen die Prieſtertracht, weite Hoſe (hakama),
Überwurf und hohe ſchwarze Kappe, an und gehen früh
morgens zum Tempel hinauf. Das wichtigſte Geſchäft,
welches ſie dort zu beſorgen haben, iſt die Bereitung
des Opfers für den Gott. Das Opfer beſteht aus den-
ſelben Speiſen, welche gewöhnliche Sterbliche auch eſſen,
und auch der Sake iſt nicht vergeſſen. Man nimmt
an, daß der Gott den Geiſt aus der Speiſe heraus-
genießt; damit aber auch die Materie nicht verloren
geht, ſo laſſen ſich die Prieſter dieſelbe als Mahlzeit
gut ſchmecken, und da man neben andern guten Dingen
auch an Sake um des Gottes willen nicht ſparen darf,
ſo habe ich ſie manchmal des Abends in recht heiterer
Stimmung vom Tempeldienſt zurückkehren ſehen. Die
Vorſtellungen, welche der Shintoismus von Göttern

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[203/0217] Bildung iſt nicht weit her. Der Oberprieſter, ein noch ganz junger Mann, der Amt und Rang von ſeinem Vater übernommen hat, muß den Nachweis liefern, daß er die alten Ritualgebete und das Kojiki leſen kann, von den übrigen wird keine beſondere Bildung verlangt. Gehalt beziehen ſie nicht; doch werden ihnen von den Gläubigen, die in der ganzen Gegend zerſtreut wohnen, und deren Zahl ſich auf zweihunderttauſend belaufen ſoll, kleine Gaben an Reis und andern Früchten und zuweilen auch an Geld gebracht. Dabei könnten ſie freilich verhungern, zumal ſie auch noch den Kami mit ernähren müſſen und den Tempel zu unterhalten haben. Sie haben daher ihre Zuflucht zu dem Ackerbau ge- nommen. Im gewöhnlichen Leben ſind ſie weiter nichts als Bauern, von denen ſie ſich weder ſozial, noch geiſtig, noch ſittlich im geringſten unterſcheiden. Wenn dann alle vierzehn Tage wieder einmal die Reihe zum Tempel- dienſt an ſie kommt, ziehen ſie den Bauernkittel aus und legen die Prieſtertracht, weite Hoſe (hakama), Überwurf und hohe ſchwarze Kappe, an und gehen früh morgens zum Tempel hinauf. Das wichtigſte Geſchäft, welches ſie dort zu beſorgen haben, iſt die Bereitung des Opfers für den Gott. Das Opfer beſteht aus den- ſelben Speiſen, welche gewöhnliche Sterbliche auch eſſen, und auch der Sake iſt nicht vergeſſen. Man nimmt an, daß der Gott den Geiſt aus der Speiſe heraus- genießt; damit aber auch die Materie nicht verloren geht, ſo laſſen ſich die Prieſter dieſelbe als Mahlzeit gut ſchmecken, und da man neben andern guten Dingen auch an Sake um des Gottes willen nicht ſparen darf, ſo habe ich ſie manchmal des Abends in recht heiterer Stimmung vom Tempeldienſt zurückkehren ſehen. Die Vorſtellungen, welche der Shintoismus von Göttern

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Zitationshilfe: Munzinger, Carl: Die Japaner. Berlin, 1898, S. 203. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/munzinger_japaner_1898/217>, abgerufen am 21.11.2024.