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Munzinger, Carl: Die Japaner. Berlin, 1898.

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unklarer Weise; ich habe im Rayon des Berges einen
Schrein gefunden, der einem berühmten uralten Lokal-
helden gewidmet ist, und es ist sehr wahrscheinlich, daß
die Verehrung ursprünglich ihm gegolten hat. Später
ist der Lokalhero mit einer Naturgottheit in eins zu-
sammengeschmolzen. Die Umrisse der meisten Gottheiten
sind schattenhaft und verschwommen. Gleichwie im Volk
der Name des Kaisers unbekannt ist, so daß man ihn
nur mit seinem Titel "Tenno" nennt, so kennt man den
Gott von Mitake nur als "Kami". Ein Priester fabelte
mir vor, daß er in Gestalt eines weißen Wolfes er-
scheine. Tierkultus und Tieraberglaube sind im Shin-
toismus nicht wenig ausgeprägt. Der Fuchs als Bote
und Diener des populären Reisgottes Inari genießt
eine ganz besondere Verehrung. Mit den Zauber-
künsten von Fuchs, tanuki (Viverrenhund) und Katze
beschäftigt sich die Volksphantasie in hohem Grade; es
knüpfen sich an sie eine Menge von Fabeln und Mär-
chen, die dort vom gewöhnlichen Volk mit demselben
Andachtsschauer angehört werden, wie bei uns ähnliche
Geschichten von den Kindern. In Japan haben die
Katzen anstatt der Schwänze nur kleine Stummel wie
etwa die Ziege. Als Grund dafür ließ ich mir erzählen,
daß man den Sitz der Zauberkraft der Katze hauptsächlich
im Schwanz gesehen habe. Man habe ihr darum in alten
Zeiten den Schwanz immer abgehauen, bis er schließlich
von selbst ausblieb. Ob unsere Biologen sich damit
einverstanden erklären können, weiß ich nicht. Eine
unserer gefördertsten Christinnen teilte mir einst mit,
daß auf Surugadai ein Fuchs eingefangen worden sei,
welcher weissage; eine ihrer Freundinnen sei dort ge-
wesen, ihn zu hören. Ich erklärte die Sache für
Schwindel. Darauf entgegnete sie nach einigem Be-

14*

unklarer Weiſe; ich habe im Rayon des Berges einen
Schrein gefunden, der einem berühmten uralten Lokal-
helden gewidmet iſt, und es iſt ſehr wahrſcheinlich, daß
die Verehrung urſprünglich ihm gegolten hat. Später
iſt der Lokalhero mit einer Naturgottheit in eins zu-
ſammengeſchmolzen. Die Umriſſe der meiſten Gottheiten
ſind ſchattenhaft und verſchwommen. Gleichwie im Volk
der Name des Kaiſers unbekannt iſt, ſo daß man ihn
nur mit ſeinem Titel „Tennō“ nennt, ſo kennt man den
Gott von Mitake nur als „Kami“. Ein Prieſter fabelte
mir vor, daß er in Geſtalt eines weißen Wolfes er-
ſcheine. Tierkultus und Tieraberglaube ſind im Shin-
toismus nicht wenig ausgeprägt. Der Fuchs als Bote
und Diener des populären Reisgottes Inari genießt
eine ganz beſondere Verehrung. Mit den Zauber-
künſten von Fuchs, tanuki (Viverrenhund) und Katze
beſchäftigt ſich die Volksphantaſie in hohem Grade; es
knüpfen ſich an ſie eine Menge von Fabeln und Mär-
chen, die dort vom gewöhnlichen Volk mit demſelben
Andachtsſchauer angehört werden, wie bei uns ähnliche
Geſchichten von den Kindern. In Japan haben die
Katzen anſtatt der Schwänze nur kleine Stummel wie
etwa die Ziege. Als Grund dafür ließ ich mir erzählen,
daß man den Sitz der Zauberkraft der Katze hauptſächlich
im Schwanz geſehen habe. Man habe ihr darum in alten
Zeiten den Schwanz immer abgehauen, bis er ſchließlich
von ſelbſt ausblieb. Ob unſere Biologen ſich damit
einverſtanden erklären können, weiß ich nicht. Eine
unſerer gefördertſten Chriſtinnen teilte mir einſt mit,
daß auf Surugadai ein Fuchs eingefangen worden ſei,
welcher weisſage; eine ihrer Freundinnen ſei dort ge-
weſen, ihn zu hören. Ich erklärte die Sache für
Schwindel. Darauf entgegnete ſie nach einigem Be-

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[211/0225] unklarer Weiſe; ich habe im Rayon des Berges einen Schrein gefunden, der einem berühmten uralten Lokal- helden gewidmet iſt, und es iſt ſehr wahrſcheinlich, daß die Verehrung urſprünglich ihm gegolten hat. Später iſt der Lokalhero mit einer Naturgottheit in eins zu- ſammengeſchmolzen. Die Umriſſe der meiſten Gottheiten ſind ſchattenhaft und verſchwommen. Gleichwie im Volk der Name des Kaiſers unbekannt iſt, ſo daß man ihn nur mit ſeinem Titel „Tennō“ nennt, ſo kennt man den Gott von Mitake nur als „Kami“. Ein Prieſter fabelte mir vor, daß er in Geſtalt eines weißen Wolfes er- ſcheine. Tierkultus und Tieraberglaube ſind im Shin- toismus nicht wenig ausgeprägt. Der Fuchs als Bote und Diener des populären Reisgottes Inari genießt eine ganz beſondere Verehrung. Mit den Zauber- künſten von Fuchs, tanuki (Viverrenhund) und Katze beſchäftigt ſich die Volksphantaſie in hohem Grade; es knüpfen ſich an ſie eine Menge von Fabeln und Mär- chen, die dort vom gewöhnlichen Volk mit demſelben Andachtsſchauer angehört werden, wie bei uns ähnliche Geſchichten von den Kindern. In Japan haben die Katzen anſtatt der Schwänze nur kleine Stummel wie etwa die Ziege. Als Grund dafür ließ ich mir erzählen, daß man den Sitz der Zauberkraft der Katze hauptſächlich im Schwanz geſehen habe. Man habe ihr darum in alten Zeiten den Schwanz immer abgehauen, bis er ſchließlich von ſelbſt ausblieb. Ob unſere Biologen ſich damit einverſtanden erklären können, weiß ich nicht. Eine unſerer gefördertſten Chriſtinnen teilte mir einſt mit, daß auf Surugadai ein Fuchs eingefangen worden ſei, welcher weisſage; eine ihrer Freundinnen ſei dort ge- weſen, ihn zu hören. Ich erklärte die Sache für Schwindel. Darauf entgegnete ſie nach einigem Be- 14*

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Zitationshilfe: Munzinger, Carl: Die Japaner. Berlin, 1898, S. 211. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/munzinger_japaner_1898/225>, abgerufen am 21.11.2024.