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Munzinger, Carl: Die Japaner. Berlin, 1898.

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sinnen: "Das mit dem Weissagen, das mag wohl
Schwindel sein; aber daß es Füchse giebt, die sprechen,
ist eine bekannte Thatsache". Erst als bald darauf
hinter dem Fuchs ein bauchredender Shintopriester ent-
deckt wurde, kam sie von ihrem Aberglauben zurück.
Besessenheit und zwar so, daß man sich von einem
Fuchs, seltener von einem anderen Tier, besessen wähnt,
ist eine nicht seltene Frucht solchen Aberglaubens.
Dr. Bälz, deutscher Professor der Medizin an der
kaiserlichen Universität zu Tokyo, hat selbst solche Fälle
in Behandlung gehabt. In einem Teile von Izumo
giebt es ganze Familien, die als fuchsbesessen gelten,
und eheliche Verbindungen und nähere Berührungen
mit ihnen werden ebenso ängstlich vermieden wie mit
Aussatz behafteten Familien. Fuchs, tanuki und Katze
haben die Macht, sich in Menschengestalt zu wandeln,
um ihr Hexenwerk zu verrichten, während umgekehrt
die bösen Geister oft die Gestalt von Tieren annehmen.
Die Furcht vor diesen Zaubertieren ist daher groß im
Volk. Dagegen giebt es auch einige, welche eine gute
symbolische Bedeutung haben; so bedeuten Schildkröte
und Kranich langes Leben.

Auch die Pflanzenwelt liefert Material genug zu
anmutender Symbolik, die aber auch gar leicht zum
Aberglauben wird. Zweige des heiligen Sakakibaumes
dürfen bei keiner shintoistischen Ritualhandlung fehlen,
und bei Begräbnissen nach dem shintoistischen Ritus
wird von jedem Leidtragenden unter tiefer Verneigung
gegen den Toten ein Sakakizweig als Opfer niedergelegt.
An Neujahr wird der Eingang in das Haus mit Bambus,
dem lang aufschießenden, und mit Fichte, der immer-
grünen, den Symbolen langen Lebens, geschmückt, und
für ein Ehepaar, dessen Hochzeit nicht unter Bambus,

ſinnen: „Das mit dem Weisſagen, das mag wohl
Schwindel ſein; aber daß es Füchſe giebt, die ſprechen,
iſt eine bekannte Thatſache“. Erſt als bald darauf
hinter dem Fuchs ein bauchredender Shintoprieſter ent-
deckt wurde, kam ſie von ihrem Aberglauben zurück.
Beſeſſenheit und zwar ſo, daß man ſich von einem
Fuchs, ſeltener von einem anderen Tier, beſeſſen wähnt,
iſt eine nicht ſeltene Frucht ſolchen Aberglaubens.
Dr. Bälz, deutſcher Profeſſor der Medizin an der
kaiſerlichen Univerſität zu Tokyo, hat ſelbſt ſolche Fälle
in Behandlung gehabt. In einem Teile von Izumo
giebt es ganze Familien, die als fuchsbeſeſſen gelten,
und eheliche Verbindungen und nähere Berührungen
mit ihnen werden ebenſo ängſtlich vermieden wie mit
Ausſatz behafteten Familien. Fuchs, tanuki und Katze
haben die Macht, ſich in Menſchengeſtalt zu wandeln,
um ihr Hexenwerk zu verrichten, während umgekehrt
die böſen Geiſter oft die Geſtalt von Tieren annehmen.
Die Furcht vor dieſen Zaubertieren iſt daher groß im
Volk. Dagegen giebt es auch einige, welche eine gute
ſymboliſche Bedeutung haben; ſo bedeuten Schildkröte
und Kranich langes Leben.

Auch die Pflanzenwelt liefert Material genug zu
anmutender Symbolik, die aber auch gar leicht zum
Aberglauben wird. Zweige des heiligen Sakakibaumes
dürfen bei keiner ſhintoiſtiſchen Ritualhandlung fehlen,
und bei Begräbniſſen nach dem ſhintoiſtiſchen Ritus
wird von jedem Leidtragenden unter tiefer Verneigung
gegen den Toten ein Sakakizweig als Opfer niedergelegt.
An Neujahr wird der Eingang in das Haus mit Bambus,
dem lang aufſchießenden, und mit Fichte, der immer-
grünen, den Symbolen langen Lebens, geſchmückt, und
für ein Ehepaar, deſſen Hochzeit nicht unter Bambus,

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[212/0226] ſinnen: „Das mit dem Weisſagen, das mag wohl Schwindel ſein; aber daß es Füchſe giebt, die ſprechen, iſt eine bekannte Thatſache“. Erſt als bald darauf hinter dem Fuchs ein bauchredender Shintoprieſter ent- deckt wurde, kam ſie von ihrem Aberglauben zurück. Beſeſſenheit und zwar ſo, daß man ſich von einem Fuchs, ſeltener von einem anderen Tier, beſeſſen wähnt, iſt eine nicht ſeltene Frucht ſolchen Aberglaubens. Dr. Bälz, deutſcher Profeſſor der Medizin an der kaiſerlichen Univerſität zu Tokyo, hat ſelbſt ſolche Fälle in Behandlung gehabt. In einem Teile von Izumo giebt es ganze Familien, die als fuchsbeſeſſen gelten, und eheliche Verbindungen und nähere Berührungen mit ihnen werden ebenſo ängſtlich vermieden wie mit Ausſatz behafteten Familien. Fuchs, tanuki und Katze haben die Macht, ſich in Menſchengeſtalt zu wandeln, um ihr Hexenwerk zu verrichten, während umgekehrt die böſen Geiſter oft die Geſtalt von Tieren annehmen. Die Furcht vor dieſen Zaubertieren iſt daher groß im Volk. Dagegen giebt es auch einige, welche eine gute ſymboliſche Bedeutung haben; ſo bedeuten Schildkröte und Kranich langes Leben. Auch die Pflanzenwelt liefert Material genug zu anmutender Symbolik, die aber auch gar leicht zum Aberglauben wird. Zweige des heiligen Sakakibaumes dürfen bei keiner ſhintoiſtiſchen Ritualhandlung fehlen, und bei Begräbniſſen nach dem ſhintoiſtiſchen Ritus wird von jedem Leidtragenden unter tiefer Verneigung gegen den Toten ein Sakakizweig als Opfer niedergelegt. An Neujahr wird der Eingang in das Haus mit Bambus, dem lang aufſchießenden, und mit Fichte, der immer- grünen, den Symbolen langen Lebens, geſchmückt, und für ein Ehepaar, deſſen Hochzeit nicht unter Bambus,

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Zitationshilfe: Munzinger, Carl: Die Japaner. Berlin, 1898, S. 212. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/munzinger_japaner_1898/226>, abgerufen am 21.11.2024.