meinen Begleiter mit einem lauten "Daibutsu, Daibutsu" begrüßten, konnte ich mich eines kleinen Lächelns der Genugthuung nicht erwehren. Der Landsmann schaute mich fragend an, aber ich konnte ihm doch nicht wohl verraten, daß "Daibutsu" nicht nur "Großer Buddha", sondern auch "großes Ding" bedeute und als eine nicht sehr respektvolle Bezeichnung für "stattliche" Leute ge- braucht werde. Die Kuli hatten sich kindisch gefreut, wieder einmal eine gute Gelegenheit zu einem ihrer so sehr beliebten Wortspiele zu haben.
Bei diesem Besuch wollte es mir nicht gelingen, in Stimmung zu kommen. Ich hatte schon manchmal dort gestanden, aber mit anderen Gefühlen als mit denen des Abscheus. Die unendliche Sanftmut und die wahrhaft erschütternde Resignation in diesem ruhigen, leidenschaftslosen, frauenhaft weichen Angesicht war nie ohne Eindruck auf mich geblieben, und immer wieder ging mir's dabei wie die unsagbar traurige Weise eines melancholischen Klageliedes durch den Sinn:
"Ist einer Welt Besitz für dich zerronnen, Sei nicht in Leid darüber; es ist nichts. Und hast du einer Welt Besitz gewonnen, Sei nicht erfreut darüber; es ist nichts. Vorüber gehn die Schmerzen und die Wonnen; Geh an der Welt vorüber; es ist nichts".
Niemals habe ich mich dort erbaut und gehoben gefühlt wie in einer christlichen Kirche, wehmütig be- wegt ging ich jedesmal davon, und doch zog es mich immer wieder hin. Befriedigt war ich nie, denn das habe ich stets deutlich empfunden: "Diese stumme Resignation ist nur ein Scheinfriede; das kann das Ende nicht sein!"; und gerade aus dieser hoffnungslosen
meinen Begleiter mit einem lauten „Daibutſu, Daibutſu“ begrüßten, konnte ich mich eines kleinen Lächelns der Genugthuung nicht erwehren. Der Landsmann ſchaute mich fragend an, aber ich konnte ihm doch nicht wohl verraten, daß „Daibutſu“ nicht nur „Großer Buddha“, ſondern auch „großes Ding“ bedeute und als eine nicht ſehr reſpektvolle Bezeichnung für „ſtattliche“ Leute ge- braucht werde. Die Kuli hatten ſich kindiſch gefreut, wieder einmal eine gute Gelegenheit zu einem ihrer ſo ſehr beliebten Wortſpiele zu haben.
Bei dieſem Beſuch wollte es mir nicht gelingen, in Stimmung zu kommen. Ich hatte ſchon manchmal dort geſtanden, aber mit anderen Gefühlen als mit denen des Abſcheus. Die unendliche Sanftmut und die wahrhaft erſchütternde Reſignation in dieſem ruhigen, leidenſchaftsloſen, frauenhaft weichen Angeſicht war nie ohne Eindruck auf mich geblieben, und immer wieder ging mir’s dabei wie die unſagbar traurige Weiſe eines melancholiſchen Klageliedes durch den Sinn:
„Iſt einer Welt Beſitz für dich zerronnen, Sei nicht in Leid darüber; es iſt nichts. Und haſt du einer Welt Beſitz gewonnen, Sei nicht erfreut darüber; es iſt nichts. Vorüber gehn die Schmerzen und die Wonnen; Geh an der Welt vorüber; es iſt nichts“.
Niemals habe ich mich dort erbaut und gehoben gefühlt wie in einer chriſtlichen Kirche, wehmütig be- wegt ging ich jedesmal davon, und doch zog es mich immer wieder hin. Befriedigt war ich nie, denn das habe ich ſtets deutlich empfunden: „Dieſe ſtumme Reſignation iſt nur ein Scheinfriede; das kann das Ende nicht ſein!“; und gerade aus dieſer hoffnungsloſen
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meinen Begleiter mit einem lauten „Daibutſu, Daibutſu“
begrüßten, konnte ich mich eines kleinen Lächelns der
Genugthuung nicht erwehren. Der Landsmann ſchaute
mich fragend an, aber ich konnte ihm doch nicht wohl
verraten, daß „Daibutſu“ nicht nur „Großer Buddha“,
ſondern auch „großes Ding“ bedeute und als eine nicht
ſehr reſpektvolle Bezeichnung für „ſtattliche“ Leute ge-
braucht werde. Die Kuli hatten ſich kindiſch gefreut,
wieder einmal eine gute Gelegenheit zu einem ihrer ſo
ſehr beliebten Wortſpiele zu haben.
Bei dieſem Beſuch wollte es mir nicht gelingen,
in Stimmung zu kommen. Ich hatte ſchon manchmal
dort geſtanden, aber mit anderen Gefühlen als mit denen
des Abſcheus. Die unendliche Sanftmut und die
wahrhaft erſchütternde Reſignation in dieſem ruhigen,
leidenſchaftsloſen, frauenhaft weichen Angeſicht war nie
ohne Eindruck auf mich geblieben, und immer wieder
ging mir’s dabei wie die unſagbar traurige Weiſe eines
melancholiſchen Klageliedes durch den Sinn:
„Iſt einer Welt Beſitz für dich zerronnen,
Sei nicht in Leid darüber; es iſt nichts.
Und haſt du einer Welt Beſitz gewonnen,
Sei nicht erfreut darüber; es iſt nichts.
Vorüber gehn die Schmerzen und die Wonnen;
Geh an der Welt vorüber; es iſt nichts“.
Niemals habe ich mich dort erbaut und gehoben
gefühlt wie in einer chriſtlichen Kirche, wehmütig be-
wegt ging ich jedesmal davon, und doch zog es mich
immer wieder hin. Befriedigt war ich nie, denn das
habe ich ſtets deutlich empfunden: „Dieſe ſtumme
Reſignation iſt nur ein Scheinfriede; das kann das
Ende nicht ſein!“; und gerade aus dieſer hoffnungsloſen
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Munzinger, Carl: Die Japaner. Berlin, 1898, S. 218. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/munzinger_japaner_1898/232>, abgerufen am 24.11.2024.
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