Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Munzinger, Carl: Die Japaner. Berlin, 1898.

Bild:
<< vorherige Seite

so gut wie gar nicht gekannt. Man hat sich nicht
einmal die Mühe genommen, die Heiligen Schriften
in die Landessprache zu übersetzen. Die Priester be-
nutzen chinesische oder in "Bonji", einem verballhorni-
sierten Sanskrit, geschriebene Ausgaben, das Volk benutzt
überhaupt keine. Ein paar nicht einmal bedeutende
Interpretationen, ein paar Schriften hervorragender
Reformatoren, das ist so ziemlich alles, was auf theolo-
gischem Gebiet geschehen ist.

Ich hatte selbst eine treffliche Gelegenheit, mich
davon zu überzeugen. Eines Tages wurde mir Besuch
angekündigt von D. Ernst Faber in Shanghai, gleich-
falls Missionar des Allg. Ev.-Prot. Missionsvereins,
der seit mehr als drei Jahrzehnten in China thätig ist
und als einer der bedeutendsten Sinologen (Kenner der
chinesischen Klassiker) der Gegenwart sich um die Er-
forschung der chinesischen Religions- und Moralsysteme
die höchsten Verdienste erworben hat. Er schrieb dabei,
daß er nachforschen wolle, ob und inwieweit die Japaner
den Konfuzianismus und den Buddhismus verarbeitet
hätten. Ich selbst traf so gut als möglich die Vorberei-
tungen, setzte mich mit den besten Kennern des Buddhismus
in Verbindung, und als D. Faber kam, führte ich ihnen den-
selben zu. Seine Ausbeute war aber äußerst gering. Die
Japaner haben eben den Buddhismus ebenso wenig verar-
beitet wie den Konfuzianismus. Wohin aber eine Religion
ohne Theologie kommt, dafür haben wir in dem japa-
nischen Buddhismus noch ein besseres und schlagenderes
Beispiel als in dem Katholizismus Spaniens. Losgelöst
von wissenschaftlicher Betrachtung, lediglich der rohen
Popularisierung preisgegeben, verliert sich jede Religion
notwendig in grobsinnlichen Aberglauben. Die Theologie
ist die treue und selbstlose Magd, die mit der Schaufel

ſo gut wie gar nicht gekannt. Man hat ſich nicht
einmal die Mühe genommen, die Heiligen Schriften
in die Landesſprache zu überſetzen. Die Prieſter be-
nutzen chineſiſche oder in „Bonji“, einem verballhorni-
ſierten Sanskrit, geſchriebene Ausgaben, das Volk benutzt
überhaupt keine. Ein paar nicht einmal bedeutende
Interpretationen, ein paar Schriften hervorragender
Reformatoren, das iſt ſo ziemlich alles, was auf theolo-
giſchem Gebiet geſchehen iſt.

Ich hatte ſelbſt eine treffliche Gelegenheit, mich
davon zu überzeugen. Eines Tages wurde mir Beſuch
angekündigt von D. Ernſt Faber in Shanghai, gleich-
falls Miſſionar des Allg. Ev.-Prot. Miſſionsvereins,
der ſeit mehr als drei Jahrzehnten in China thätig iſt
und als einer der bedeutendſten Sinologen (Kenner der
chineſiſchen Klaſſiker) der Gegenwart ſich um die Er-
forſchung der chineſiſchen Religions- und Moralſyſteme
die höchſten Verdienſte erworben hat. Er ſchrieb dabei,
daß er nachforſchen wolle, ob und inwieweit die Japaner
den Konfuzianismus und den Buddhismus verarbeitet
hätten. Ich ſelbſt traf ſo gut als möglich die Vorberei-
tungen, ſetzte mich mit den beſten Kennern des Buddhismus
in Verbindung, und als D. Faber kam, führte ich ihnen den-
ſelben zu. Seine Ausbeute war aber äußerſt gering. Die
Japaner haben eben den Buddhismus ebenſo wenig verar-
beitet wie den Konfuzianismus. Wohin aber eine Religion
ohne Theologie kommt, dafür haben wir in dem japa-
niſchen Buddhismus noch ein beſſeres und ſchlagenderes
Beiſpiel als in dem Katholizismus Spaniens. Losgelöſt
von wiſſenſchaftlicher Betrachtung, lediglich der rohen
Populariſierung preisgegeben, verliert ſich jede Religion
notwendig in grobſinnlichen Aberglauben. Die Theologie
iſt die treue und ſelbſtloſe Magd, die mit der Schaufel

<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <p><pb facs="#f0248" n="234"/>
&#x017F;o gut wie gar nicht gekannt. Man hat &#x017F;ich nicht<lb/>
einmal die Mühe genommen, die Heiligen Schriften<lb/>
in die Landes&#x017F;prache zu über&#x017F;etzen. Die Prie&#x017F;ter be-<lb/>
nutzen chine&#x017F;i&#x017F;che oder in &#x201E;Bonji&#x201C;, einem verballhorni-<lb/>
&#x017F;ierten Sanskrit, ge&#x017F;chriebene Ausgaben, das Volk benutzt<lb/>
überhaupt keine. Ein paar nicht einmal bedeutende<lb/>
Interpretationen, ein paar Schriften hervorragender<lb/>
Reformatoren, das i&#x017F;t &#x017F;o ziemlich alles, was auf theolo-<lb/>
gi&#x017F;chem Gebiet ge&#x017F;chehen i&#x017F;t.</p><lb/>
        <p>Ich hatte &#x017F;elb&#x017F;t eine treffliche Gelegenheit, mich<lb/>
davon zu überzeugen. Eines Tages wurde mir Be&#x017F;uch<lb/>
angekündigt von <hi rendition="#aq">D.</hi> Ern&#x017F;t Faber in Shanghai, gleich-<lb/>
falls Mi&#x017F;&#x017F;ionar des Allg. Ev.-Prot. Mi&#x017F;&#x017F;ionsvereins,<lb/>
der &#x017F;eit mehr als drei Jahrzehnten in China thätig i&#x017F;t<lb/>
und als einer der bedeutend&#x017F;ten Sinologen (Kenner der<lb/>
chine&#x017F;i&#x017F;chen Kla&#x017F;&#x017F;iker) der Gegenwart &#x017F;ich um die Er-<lb/>
for&#x017F;chung der chine&#x017F;i&#x017F;chen Religions- und Moral&#x017F;y&#x017F;teme<lb/>
die höch&#x017F;ten Verdien&#x017F;te erworben hat. Er &#x017F;chrieb dabei,<lb/>
daß er nachfor&#x017F;chen wolle, ob und inwieweit die Japaner<lb/>
den Konfuzianismus und den Buddhismus verarbeitet<lb/>
hätten. Ich &#x017F;elb&#x017F;t traf &#x017F;o gut als möglich die Vorberei-<lb/>
tungen, &#x017F;etzte mich mit den be&#x017F;ten Kennern des Buddhismus<lb/>
in Verbindung, und als <hi rendition="#aq">D.</hi> Faber kam, führte ich ihnen den-<lb/>
&#x017F;elben zu. Seine Ausbeute war aber äußer&#x017F;t gering. Die<lb/>
Japaner haben eben den Buddhismus eben&#x017F;o wenig verar-<lb/>
beitet wie den Konfuzianismus. Wohin aber eine Religion<lb/>
ohne Theologie kommt, dafür haben wir in dem japa-<lb/>
ni&#x017F;chen Buddhismus noch ein be&#x017F;&#x017F;eres und &#x017F;chlagenderes<lb/>
Bei&#x017F;piel als in dem Katholizismus Spaniens. Losgelö&#x017F;t<lb/>
von wi&#x017F;&#x017F;en&#x017F;chaftlicher Betrachtung, lediglich der rohen<lb/>
Populari&#x017F;ierung preisgegeben, verliert &#x017F;ich jede Religion<lb/>
notwendig in grob&#x017F;innlichen Aberglauben. Die Theologie<lb/>
i&#x017F;t die treue und &#x017F;elb&#x017F;tlo&#x017F;e Magd, die mit der Schaufel<lb/></p>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[234/0248] ſo gut wie gar nicht gekannt. Man hat ſich nicht einmal die Mühe genommen, die Heiligen Schriften in die Landesſprache zu überſetzen. Die Prieſter be- nutzen chineſiſche oder in „Bonji“, einem verballhorni- ſierten Sanskrit, geſchriebene Ausgaben, das Volk benutzt überhaupt keine. Ein paar nicht einmal bedeutende Interpretationen, ein paar Schriften hervorragender Reformatoren, das iſt ſo ziemlich alles, was auf theolo- giſchem Gebiet geſchehen iſt. Ich hatte ſelbſt eine treffliche Gelegenheit, mich davon zu überzeugen. Eines Tages wurde mir Beſuch angekündigt von D. Ernſt Faber in Shanghai, gleich- falls Miſſionar des Allg. Ev.-Prot. Miſſionsvereins, der ſeit mehr als drei Jahrzehnten in China thätig iſt und als einer der bedeutendſten Sinologen (Kenner der chineſiſchen Klaſſiker) der Gegenwart ſich um die Er- forſchung der chineſiſchen Religions- und Moralſyſteme die höchſten Verdienſte erworben hat. Er ſchrieb dabei, daß er nachforſchen wolle, ob und inwieweit die Japaner den Konfuzianismus und den Buddhismus verarbeitet hätten. Ich ſelbſt traf ſo gut als möglich die Vorberei- tungen, ſetzte mich mit den beſten Kennern des Buddhismus in Verbindung, und als D. Faber kam, führte ich ihnen den- ſelben zu. Seine Ausbeute war aber äußerſt gering. Die Japaner haben eben den Buddhismus ebenſo wenig verar- beitet wie den Konfuzianismus. Wohin aber eine Religion ohne Theologie kommt, dafür haben wir in dem japa- niſchen Buddhismus noch ein beſſeres und ſchlagenderes Beiſpiel als in dem Katholizismus Spaniens. Losgelöſt von wiſſenſchaftlicher Betrachtung, lediglich der rohen Populariſierung preisgegeben, verliert ſich jede Religion notwendig in grobſinnlichen Aberglauben. Die Theologie iſt die treue und ſelbſtloſe Magd, die mit der Schaufel

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/munzinger_japaner_1898
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/munzinger_japaner_1898/248
Zitationshilfe: Munzinger, Carl: Die Japaner. Berlin, 1898, S. 234. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/munzinger_japaner_1898/248>, abgerufen am 21.11.2024.