Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Munzinger, Carl: Die Japaner. Berlin, 1898.

Bild:
<< vorherige Seite

sammenbrach, trafen auch dessen getreuen Bundesgenossen
und Schützling. Dem Buddhismus wurde der Charakter
einer Staatsreligion genommen, die öffentlichen Unter-
stützungen wurden ihm entzogen, eine große Anzahl von
Tempeln geraubt, und ein beträchtlicher Teil seiner
Güter verstaatlicht. Die Religion des Buddhismus ist
Privatsache geworden, und kein Julianus der Zukunft
könnte das je wieder verändern.

Von einer Lehrentwicklung ist in der ganzen langen
Geschichte des japanischen Buddhismus, mit einziger
Ausnahme des 13. Jahrhunderts, nichts zu finden.
Man hat es hier zu aller Zeit mit einem Buddhismus
der Praxis, nicht aber der lehrhaften Theorie zu thun.
Manchmal, wenn eine Gesellschaft von Europäern bei-
sammen saß -- gebildete Japaner sind überhaupt über
derartige Dinge erhaben --, kam die Rede darauf, was
eigentlich japanischer Buddhismus sei. Niemand aber
wußte eine Antwort zu geben. Man weiß, daß er als
kanonisch das Mahayana, japanisch Daijo, das "Große
Vehikel" des nordischen Buddhismus, anerkennt. Aber
in Wirklichkeit giebt es, abgesehen von den wenigen
und verschwommenen Unterscheidungslehren der einzelnen
Sekten, keine lehrhaften Formeln, in denen sich das
Wesen des praktischen Buddhismus ausdrücken ließe.
Die Katechismen, die jetzt herausgegeben werden,
sind nichts weiter als Täuschung; denn sie sind auf
Grund von Shakas ursprünglicher Lehre verfaßt
und entsprechen der gegenwärtigen Wirklichkeit keines-
wegs. Einem Teil der Priester mögen diese Lehren
nicht gerade unbekannt sein; würde man aber einem
gutgläubigen Laien einen solchen Katechismus zeigen,
er würde ihm völlig fremd sein. Theologie hat man
trotz der religiösen Bewegung des 13. Jahrhunderts

ſammenbrach, trafen auch deſſen getreuen Bundesgenoſſen
und Schützling. Dem Buddhismus wurde der Charakter
einer Staatsreligion genommen, die öffentlichen Unter-
ſtützungen wurden ihm entzogen, eine große Anzahl von
Tempeln geraubt, und ein beträchtlicher Teil ſeiner
Güter verſtaatlicht. Die Religion des Buddhismus iſt
Privatſache geworden, und kein Julianus der Zukunft
könnte das je wieder verändern.

Von einer Lehrentwicklung iſt in der ganzen langen
Geſchichte des japaniſchen Buddhismus, mit einziger
Ausnahme des 13. Jahrhunderts, nichts zu finden.
Man hat es hier zu aller Zeit mit einem Buddhismus
der Praxis, nicht aber der lehrhaften Theorie zu thun.
Manchmal, wenn eine Geſellſchaft von Europäern bei-
ſammen ſaß — gebildete Japaner ſind überhaupt über
derartige Dinge erhaben —, kam die Rede darauf, was
eigentlich japaniſcher Buddhismus ſei. Niemand aber
wußte eine Antwort zu geben. Man weiß, daß er als
kanoniſch das Mahayâna, japaniſch Daijō, das „Große
Vehikel“ des nordiſchen Buddhismus, anerkennt. Aber
in Wirklichkeit giebt es, abgeſehen von den wenigen
und verſchwommenen Unterſcheidungslehren der einzelnen
Sekten, keine lehrhaften Formeln, in denen ſich das
Weſen des praktiſchen Buddhismus ausdrücken ließe.
Die Katechismen, die jetzt herausgegeben werden,
ſind nichts weiter als Täuſchung; denn ſie ſind auf
Grund von Shakas urſprünglicher Lehre verfaßt
und entſprechen der gegenwärtigen Wirklichkeit keines-
wegs. Einem Teil der Prieſter mögen dieſe Lehren
nicht gerade unbekannt ſein; würde man aber einem
gutgläubigen Laien einen ſolchen Katechismus zeigen,
er würde ihm völlig fremd ſein. Theologie hat man
trotz der religiöſen Bewegung des 13. Jahrhunderts

<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <p><pb facs="#f0247" n="233"/>
&#x017F;ammenbrach, trafen auch de&#x017F;&#x017F;en getreuen Bundesgeno&#x017F;&#x017F;en<lb/>
und Schützling. Dem Buddhismus wurde der Charakter<lb/>
einer Staatsreligion genommen, die öffentlichen Unter-<lb/>
&#x017F;tützungen wurden ihm entzogen, eine große Anzahl von<lb/>
Tempeln geraubt, und ein beträchtlicher Teil &#x017F;einer<lb/>
Güter ver&#x017F;taatlicht. Die Religion des Buddhismus i&#x017F;t<lb/>
Privat&#x017F;ache geworden, und kein Julianus der Zukunft<lb/>
könnte das je wieder verändern.</p><lb/>
        <p>Von einer Lehrentwicklung i&#x017F;t in der ganzen langen<lb/>
Ge&#x017F;chichte des japani&#x017F;chen Buddhismus, mit einziger<lb/>
Ausnahme des 13. Jahrhunderts, nichts zu finden.<lb/>
Man hat es hier zu aller Zeit mit einem Buddhismus<lb/>
der Praxis, nicht aber der lehrhaften Theorie zu thun.<lb/>
Manchmal, wenn eine Ge&#x017F;ell&#x017F;chaft von Europäern bei-<lb/>
&#x017F;ammen &#x017F;&#x2014; gebildete Japaner &#x017F;ind überhaupt über<lb/>
derartige Dinge erhaben &#x2014;, kam die Rede darauf, was<lb/>
eigentlich japani&#x017F;cher Buddhismus &#x017F;ei. Niemand aber<lb/>
wußte eine Antwort zu geben. Man weiß, daß er als<lb/>
kanoni&#x017F;ch das Mahay<hi rendition="#aq">â</hi>na, japani&#x017F;ch Daij<hi rendition="#aq">&#x014D;</hi>, das &#x201E;Große<lb/>
Vehikel&#x201C; des nordi&#x017F;chen Buddhismus, anerkennt. Aber<lb/>
in Wirklichkeit giebt es, abge&#x017F;ehen von den wenigen<lb/>
und ver&#x017F;chwommenen Unter&#x017F;cheidungslehren der einzelnen<lb/>
Sekten, keine lehrhaften Formeln, in denen &#x017F;ich das<lb/>
We&#x017F;en des prakti&#x017F;chen Buddhismus ausdrücken ließe.<lb/>
Die Katechismen, die jetzt herausgegeben werden,<lb/>
&#x017F;ind nichts weiter als Täu&#x017F;chung; denn &#x017F;ie &#x017F;ind auf<lb/>
Grund von Shakas ur&#x017F;prünglicher Lehre verfaßt<lb/>
und ent&#x017F;prechen der gegenwärtigen Wirklichkeit keines-<lb/>
wegs. Einem Teil der Prie&#x017F;ter mögen die&#x017F;e Lehren<lb/>
nicht gerade unbekannt &#x017F;ein; würde man aber einem<lb/>
gutgläubigen Laien einen &#x017F;olchen Katechismus zeigen,<lb/>
er würde ihm völlig fremd &#x017F;ein. Theologie hat man<lb/>
trotz der religiö&#x017F;en Bewegung des 13. Jahrhunderts<lb/></p>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[233/0247] ſammenbrach, trafen auch deſſen getreuen Bundesgenoſſen und Schützling. Dem Buddhismus wurde der Charakter einer Staatsreligion genommen, die öffentlichen Unter- ſtützungen wurden ihm entzogen, eine große Anzahl von Tempeln geraubt, und ein beträchtlicher Teil ſeiner Güter verſtaatlicht. Die Religion des Buddhismus iſt Privatſache geworden, und kein Julianus der Zukunft könnte das je wieder verändern. Von einer Lehrentwicklung iſt in der ganzen langen Geſchichte des japaniſchen Buddhismus, mit einziger Ausnahme des 13. Jahrhunderts, nichts zu finden. Man hat es hier zu aller Zeit mit einem Buddhismus der Praxis, nicht aber der lehrhaften Theorie zu thun. Manchmal, wenn eine Geſellſchaft von Europäern bei- ſammen ſaß — gebildete Japaner ſind überhaupt über derartige Dinge erhaben —, kam die Rede darauf, was eigentlich japaniſcher Buddhismus ſei. Niemand aber wußte eine Antwort zu geben. Man weiß, daß er als kanoniſch das Mahayâna, japaniſch Daijō, das „Große Vehikel“ des nordiſchen Buddhismus, anerkennt. Aber in Wirklichkeit giebt es, abgeſehen von den wenigen und verſchwommenen Unterſcheidungslehren der einzelnen Sekten, keine lehrhaften Formeln, in denen ſich das Weſen des praktiſchen Buddhismus ausdrücken ließe. Die Katechismen, die jetzt herausgegeben werden, ſind nichts weiter als Täuſchung; denn ſie ſind auf Grund von Shakas urſprünglicher Lehre verfaßt und entſprechen der gegenwärtigen Wirklichkeit keines- wegs. Einem Teil der Prieſter mögen dieſe Lehren nicht gerade unbekannt ſein; würde man aber einem gutgläubigen Laien einen ſolchen Katechismus zeigen, er würde ihm völlig fremd ſein. Theologie hat man trotz der religiöſen Bewegung des 13. Jahrhunderts

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/munzinger_japaner_1898
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/munzinger_japaner_1898/247
Zitationshilfe: Munzinger, Carl: Die Japaner. Berlin, 1898, S. 233. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/munzinger_japaner_1898/247>, abgerufen am 21.11.2024.