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Munzinger, Carl: Die Japaner. Berlin, 1898.

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scheinlich ist, daß der tausend Jahre alte Buddhismus
bis dahin all dieser Formen bar gewesen sein soll. Es
muß also eine dritte Erklärung geben. Natürlich die
psychologische! Es ist gewiß zuzugeben, daß aus dem
Geist der beiden Religionen und den vulgären Instinkten
der religiösen Masse heraus "zufällig" und unabhängig
von einander ähnliche Formen geboren werden konnten,
und wenn die Ähnlichkeit allgemeiner Natur wäre, so
brauchte man nach einer andern Erklärung nicht weiter
zu suchen. Wo sie sich aber so auf das einzelne und
einzelnste erstreckt wie hier, genügt die psychologische
Erklärung nicht. Wer mit eigenen Augen hineingeschaut
hat, glaubt an die "Zufälligkeit" der Ähnlichkeit nicht
mehr; gegenüber diesen exakten Thatsachen ist ihm nur
mit einer exakten d. h. geschichtlichen Erklärung gedient.
Und zwar glaube ich, -- ohne daß ich es freilich im
einzelnen Falle beweisen könnte --, daß Buddhismus
und Christentum aus den gleichen, von altersher bestehen-
den Quellen geschöpft haben. Wie der jüdisch-christ-
liche Himmel mitsamt der Hölle erst seit den Zeiten
des babylonischen Exils unter persischem Einfluß be-
völkert wurde, so mögen bei der Ausgestaltung von
Himmel und Hölle im Buddhismus die gleichen Einflüsse
nach Osten hin wirksam gewesen sein. Und wenn die
esoterische Stellung der Priesterschaft mitsamt den Idealen
des Mönchtums wohl kaum eine christliche Neuschöpfung
ist, sondern schon in dem ägyptischen Heidentum vor-
gebildet war, so kann ebendasselbe schon um sechshundert
Jahre früher auf der durch Alexander den Großen ge-
schlagenen Brücke den Weg nach Indien gefunden haben.
Um also eine historische These in eine mathematische
Formel zu kleiden, so meine ich, daß die beiden Größen
des Buddhismus und des Christentums darum und in-

ſcheinlich iſt, daß der tauſend Jahre alte Buddhismus
bis dahin all dieſer Formen bar geweſen ſein ſoll. Es
muß alſo eine dritte Erklärung geben. Natürlich die
pſychologiſche! Es iſt gewiß zuzugeben, daß aus dem
Geiſt der beiden Religionen und den vulgären Inſtinkten
der religiöſen Maſſe heraus „zufällig“ und unabhängig
von einander ähnliche Formen geboren werden konnten,
und wenn die Ähnlichkeit allgemeiner Natur wäre, ſo
brauchte man nach einer andern Erklärung nicht weiter
zu ſuchen. Wo ſie ſich aber ſo auf das einzelne und
einzelnſte erſtreckt wie hier, genügt die pſychologiſche
Erklärung nicht. Wer mit eigenen Augen hineingeſchaut
hat, glaubt an die „Zufälligkeit“ der Ähnlichkeit nicht
mehr; gegenüber dieſen exakten Thatſachen iſt ihm nur
mit einer exakten d. h. geſchichtlichen Erklärung gedient.
Und zwar glaube ich, — ohne daß ich es freilich im
einzelnen Falle beweiſen könnte —, daß Buddhismus
und Chriſtentum aus den gleichen, von altersher beſtehen-
den Quellen geſchöpft haben. Wie der jüdiſch-chriſt-
liche Himmel mitſamt der Hölle erſt ſeit den Zeiten
des babyloniſchen Exils unter perſiſchem Einfluß be-
völkert wurde, ſo mögen bei der Ausgeſtaltung von
Himmel und Hölle im Buddhismus die gleichen Einflüſſe
nach Oſten hin wirkſam geweſen ſein. Und wenn die
eſoteriſche Stellung der Prieſterſchaft mitſamt den Idealen
des Mönchtums wohl kaum eine chriſtliche Neuſchöpfung
iſt, ſondern ſchon in dem ägyptiſchen Heidentum vor-
gebildet war, ſo kann ebendasſelbe ſchon um ſechshundert
Jahre früher auf der durch Alexander den Großen ge-
ſchlagenen Brücke den Weg nach Indien gefunden haben.
Um alſo eine hiſtoriſche Theſe in eine mathematiſche
Formel zu kleiden, ſo meine ich, daß die beiden Größen
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[248/0262] ſcheinlich iſt, daß der tauſend Jahre alte Buddhismus bis dahin all dieſer Formen bar geweſen ſein ſoll. Es muß alſo eine dritte Erklärung geben. Natürlich die pſychologiſche! Es iſt gewiß zuzugeben, daß aus dem Geiſt der beiden Religionen und den vulgären Inſtinkten der religiöſen Maſſe heraus „zufällig“ und unabhängig von einander ähnliche Formen geboren werden konnten, und wenn die Ähnlichkeit allgemeiner Natur wäre, ſo brauchte man nach einer andern Erklärung nicht weiter zu ſuchen. Wo ſie ſich aber ſo auf das einzelne und einzelnſte erſtreckt wie hier, genügt die pſychologiſche Erklärung nicht. Wer mit eigenen Augen hineingeſchaut hat, glaubt an die „Zufälligkeit“ der Ähnlichkeit nicht mehr; gegenüber dieſen exakten Thatſachen iſt ihm nur mit einer exakten d. h. geſchichtlichen Erklärung gedient. Und zwar glaube ich, — ohne daß ich es freilich im einzelnen Falle beweiſen könnte —, daß Buddhismus und Chriſtentum aus den gleichen, von altersher beſtehen- den Quellen geſchöpft haben. Wie der jüdiſch-chriſt- liche Himmel mitſamt der Hölle erſt ſeit den Zeiten des babyloniſchen Exils unter perſiſchem Einfluß be- völkert wurde, ſo mögen bei der Ausgeſtaltung von Himmel und Hölle im Buddhismus die gleichen Einflüſſe nach Oſten hin wirkſam geweſen ſein. Und wenn die eſoteriſche Stellung der Prieſterſchaft mitſamt den Idealen des Mönchtums wohl kaum eine chriſtliche Neuſchöpfung iſt, ſondern ſchon in dem ägyptiſchen Heidentum vor- gebildet war, ſo kann ebendasſelbe ſchon um ſechshundert Jahre früher auf der durch Alexander den Großen ge- ſchlagenen Brücke den Weg nach Indien gefunden haben. Um alſo eine hiſtoriſche Theſe in eine mathematiſche Formel zu kleiden, ſo meine ich, daß die beiden Größen des Buddhismus und des Chriſtentums darum und in-

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Zitationshilfe: Munzinger, Carl: Die Japaner. Berlin, 1898, S. 248. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/munzinger_japaner_1898/262>, abgerufen am 23.11.2024.