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Munzinger, Carl: Die Japaner. Berlin, 1898.

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in ein Theehaus ein. Als wir uns in einem uns an-
gewiesenen Zimmer niedergelassen hatten, hörten wir
nebenan eine eintönig leiernde Stimme, ab und zu
unterbrochen von dem keuchenden Husten eines Mannes.
Dort lag der Wirt des Theehauses totkrank und vor
drei Tagen hatte man, wie uns die "Nesan" (bedienen-
des Theemädchen, eigentlich "ältere Schwester") erzählte,
einen "Yamabushi" (Bergmönch) gerufen, um aus den
heiligen Schriften Gebete zu verlesen. Über eine Stunde
hielten wir uns dort auf, und während der ganzen Zeit
hörten wir ununterbrochen die eintönige Stimme des
Yamabushi und zuweilen das Husten des Sterbenden.
Ein Jahr später kam ich wieder dahin und erkundigte
mich dabei nach dem "Teishu" (Wirt). "Der ist vor
Jahresfrist gestorben", hieß es. Die Beerdigung weit-
aus der meisten Toten, die übrigens in Japan bei
ebenso guten als billigen Verhältnissen zu einem großen
Teil verbrannt werden, geschieht fast immer nach bud-
dhistischem Ritual. Selbst derjenige, welcher in seinem
Leben von dem Buddhismus nichts wissen wollte, wird
im Tode noch ein Buddhist.

Einige Priester sind sogar so eifrig, daß sie predigen.
Die Predigt ist im Buddhismus von altersher nicht
unbekannt, aber eine große Rolle hat sie nie gespielt.
Die Predigten, die heute, freilich keineswegs allgemein
und regelmäßig, gehalten werden, haben nicht viele
Zuhörer, trotzdem das Gesagte nach Form und Inhalt
oft Treffliches bietet. Am meisten thun in dieser Be-
ziehung die Priester der Nichirensekte, welche als die
eifrigsten und thätigsten, und die der Shinsekte, welche
als die gebildetsten und modernsten Bonzen gelten.
Unter ihnen haben in unserer Zeit nicht wenige ver-
sucht, das Christentum mit den Waffen moderner Wissen-

in ein Theehaus ein. Als wir uns in einem uns an-
gewieſenen Zimmer niedergelaſſen hatten, hörten wir
nebenan eine eintönig leiernde Stimme, ab und zu
unterbrochen von dem keuchenden Huſten eines Mannes.
Dort lag der Wirt des Theehauſes totkrank und vor
drei Tagen hatte man, wie uns die „Nēſan“ (bedienen-
des Theemädchen, eigentlich „ältere Schweſter“) erzählte,
einen „Yamabuſhi“ (Bergmönch) gerufen, um aus den
heiligen Schriften Gebete zu verleſen. Über eine Stunde
hielten wir uns dort auf, und während der ganzen Zeit
hörten wir ununterbrochen die eintönige Stimme des
Yamabuſhi und zuweilen das Huſten des Sterbenden.
Ein Jahr ſpäter kam ich wieder dahin und erkundigte
mich dabei nach dem „Teiſhu“ (Wirt). „Der iſt vor
Jahresfriſt geſtorben“, hieß es. Die Beerdigung weit-
aus der meiſten Toten, die übrigens in Japan bei
ebenſo guten als billigen Verhältniſſen zu einem großen
Teil verbrannt werden, geſchieht faſt immer nach bud-
dhiſtiſchem Ritual. Selbſt derjenige, welcher in ſeinem
Leben von dem Buddhismus nichts wiſſen wollte, wird
im Tode noch ein Buddhiſt.

Einige Prieſter ſind ſogar ſo eifrig, daß ſie predigen.
Die Predigt iſt im Buddhismus von altersher nicht
unbekannt, aber eine große Rolle hat ſie nie geſpielt.
Die Predigten, die heute, freilich keineswegs allgemein
und regelmäßig, gehalten werden, haben nicht viele
Zuhörer, trotzdem das Geſagte nach Form und Inhalt
oft Treffliches bietet. Am meiſten thun in dieſer Be-
ziehung die Prieſter der Nichirenſekte, welche als die
eifrigſten und thätigſten, und die der Shinſekte, welche
als die gebildetſten und modernſten Bonzen gelten.
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ſucht, das Chriſtentum mit den Waffen moderner Wiſſen-

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[252/0266] in ein Theehaus ein. Als wir uns in einem uns an- gewieſenen Zimmer niedergelaſſen hatten, hörten wir nebenan eine eintönig leiernde Stimme, ab und zu unterbrochen von dem keuchenden Huſten eines Mannes. Dort lag der Wirt des Theehauſes totkrank und vor drei Tagen hatte man, wie uns die „Nēſan“ (bedienen- des Theemädchen, eigentlich „ältere Schweſter“) erzählte, einen „Yamabuſhi“ (Bergmönch) gerufen, um aus den heiligen Schriften Gebete zu verleſen. Über eine Stunde hielten wir uns dort auf, und während der ganzen Zeit hörten wir ununterbrochen die eintönige Stimme des Yamabuſhi und zuweilen das Huſten des Sterbenden. Ein Jahr ſpäter kam ich wieder dahin und erkundigte mich dabei nach dem „Teiſhu“ (Wirt). „Der iſt vor Jahresfriſt geſtorben“, hieß es. Die Beerdigung weit- aus der meiſten Toten, die übrigens in Japan bei ebenſo guten als billigen Verhältniſſen zu einem großen Teil verbrannt werden, geſchieht faſt immer nach bud- dhiſtiſchem Ritual. Selbſt derjenige, welcher in ſeinem Leben von dem Buddhismus nichts wiſſen wollte, wird im Tode noch ein Buddhiſt. Einige Prieſter ſind ſogar ſo eifrig, daß ſie predigen. Die Predigt iſt im Buddhismus von altersher nicht unbekannt, aber eine große Rolle hat ſie nie geſpielt. Die Predigten, die heute, freilich keineswegs allgemein und regelmäßig, gehalten werden, haben nicht viele Zuhörer, trotzdem das Geſagte nach Form und Inhalt oft Treffliches bietet. Am meiſten thun in dieſer Be- ziehung die Prieſter der Nichirenſekte, welche als die eifrigſten und thätigſten, und die der Shinſekte, welche als die gebildetſten und modernſten Bonzen gelten. Unter ihnen haben in unſerer Zeit nicht wenige ver- ſucht, das Chriſtentum mit den Waffen moderner Wiſſen-

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Zitationshilfe: Munzinger, Carl: Die Japaner. Berlin, 1898, S. 252. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/munzinger_japaner_1898/266>, abgerufen am 24.11.2024.