Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Munzinger, Carl: Die Japaner. Berlin, 1898.

Bild:
<< vorherige Seite

Tokyo nicht selten, so daß man die Feuersbrunst die
Blume von Yeddo 1) genannt hat. Früher rechnete man,
daß Tokyo durchschnittlich in sieben Jahren einmal voll-
ständig abbrenne. Heute ist das durch eine muster-
giltige Feuerwehr bedeutend besser geworden. Immer-
hin habe ich noch im Jahre 1892 am ersten Ostertag
innerhalb von zwölf Stunden mehr denn fünftausend
Häuser abbrennen sehen. Ich kam damals an der
Brandstätte vorbei, und in demselben Tempo, wie ich
ging, schlängelte sich neben mir hin an einem Bambus-
zaun entlang die Flamme. Richtige Thüren mit Schlössern
wie bei uns giebt es am japanischen Hause nicht. Es
sind Schiebethüren, die aber nicht luftdicht schließen.
Überall sind Risse und Lücken, durch welche der Wind
schneidend hindurchbläst. Ich habe es in dem japanischen
Haus auf Kosten meiner Gesundheit erfahren müssen,
daß es besser ist, der Missionar wohnt in einem solid
gebauten europäischen Wohnhause.

Das braucht nun freilich nicht übertrieben zu werden,
wie die reichen amerikanischen Missionsgesellschaften das
allzu leicht thun. Sind auch die Wohnungen der ameri-
kanischen Missionare im Innern einfach und keineswegs
übertrieben gehalten, in ihrem sehr schmuck gehaltenen
Äußern sehen sich die villenartigen Gebäude, zumal neben
den einstöckigen Hütten der Japaner, wie kleine Paläste
an und fordern die Kritik und den Vorwurf der Üppig-
keit geradezu heraus. Vielleicht wäre ein etwas
bescheideneres Aussehen mehr am Platz, und man hätte
gut gethan, beizeiten des Sprichwortes zu gedenken:
Wer an die Straße baut, muß sich meistern lassen.
Mit diesen Missionshäusern können sich die beiden

1) So hieß Tokyo vor 1868. Tokyo = östliche Hauptstadt,
im Gegensatz zu Saikyo (Kyoto) = westliche Hauptstadt.

Tokyo nicht ſelten, ſo daß man die Feuersbrunſt die
Blume von Yeddo 1) genannt hat. Früher rechnete man,
daß Tokyo durchſchnittlich in ſieben Jahren einmal voll-
ſtändig abbrenne. Heute iſt das durch eine muſter-
giltige Feuerwehr bedeutend beſſer geworden. Immer-
hin habe ich noch im Jahre 1892 am erſten Oſtertag
innerhalb von zwölf Stunden mehr denn fünftauſend
Häuſer abbrennen ſehen. Ich kam damals an der
Brandſtätte vorbei, und in demſelben Tempo, wie ich
ging, ſchlängelte ſich neben mir hin an einem Bambus-
zaun entlang die Flamme. Richtige Thüren mit Schlöſſern
wie bei uns giebt es am japaniſchen Hauſe nicht. Es
ſind Schiebethüren, die aber nicht luftdicht ſchließen.
Überall ſind Riſſe und Lücken, durch welche der Wind
ſchneidend hindurchbläſt. Ich habe es in dem japaniſchen
Haus auf Koſten meiner Geſundheit erfahren müſſen,
daß es beſſer iſt, der Miſſionar wohnt in einem ſolid
gebauten europäiſchen Wohnhauſe.

Das braucht nun freilich nicht übertrieben zu werden,
wie die reichen amerikaniſchen Miſſionsgeſellſchaften das
allzu leicht thun. Sind auch die Wohnungen der ameri-
kaniſchen Miſſionare im Innern einfach und keineswegs
übertrieben gehalten, in ihrem ſehr ſchmuck gehaltenen
Äußern ſehen ſich die villenartigen Gebäude, zumal neben
den einſtöckigen Hütten der Japaner, wie kleine Paläſte
an und fordern die Kritik und den Vorwurf der Üppig-
keit geradezu heraus. Vielleicht wäre ein etwas
beſcheideneres Ausſehen mehr am Platz, und man hätte
gut gethan, beizeiten des Sprichwortes zu gedenken:
Wer an die Straße baut, muß ſich meiſtern laſſen.
Mit dieſen Miſſionshäuſern können ſich die beiden

1) So hieß Tokyo vor 1868. Tokyo = öſtliche Hauptſtadt,
im Gegenſatz zu Saikyo (Kyoto) = weſtliche Hauptſtadt.
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <p><pb facs="#f0027" n="13"/>
Tokyo nicht &#x017F;elten, &#x017F;o daß man die Feuersbrun&#x017F;t die<lb/>
Blume von Yeddo <note place="foot" n="1)">So hieß Tokyo vor 1868. Tokyo = ö&#x017F;tliche Haupt&#x017F;tadt,<lb/>
im Gegen&#x017F;atz zu Saikyo (Kyoto) = we&#x017F;tliche Haupt&#x017F;tadt.</note> genannt hat. Früher rechnete man,<lb/>
daß Tokyo durch&#x017F;chnittlich in &#x017F;ieben Jahren einmal voll-<lb/>
&#x017F;tändig abbrenne. Heute i&#x017F;t das durch eine mu&#x017F;ter-<lb/>
giltige Feuerwehr bedeutend be&#x017F;&#x017F;er geworden. Immer-<lb/>
hin habe ich noch im Jahre 1892 am er&#x017F;ten O&#x017F;tertag<lb/>
innerhalb von zwölf Stunden mehr denn fünftau&#x017F;end<lb/>
Häu&#x017F;er abbrennen &#x017F;ehen. Ich kam damals an der<lb/>
Brand&#x017F;tätte vorbei, und in dem&#x017F;elben Tempo, wie ich<lb/>
ging, &#x017F;chlängelte &#x017F;ich neben mir hin an einem Bambus-<lb/>
zaun entlang die Flamme. Richtige Thüren mit Schlö&#x017F;&#x017F;ern<lb/>
wie bei uns giebt es am japani&#x017F;chen Hau&#x017F;e nicht. Es<lb/>
&#x017F;ind Schiebethüren, die aber nicht luftdicht &#x017F;chließen.<lb/>
Überall &#x017F;ind Ri&#x017F;&#x017F;e und Lücken, durch welche der Wind<lb/>
&#x017F;chneidend hindurchblä&#x017F;t. Ich habe es in dem japani&#x017F;chen<lb/>
Haus auf Ko&#x017F;ten meiner Ge&#x017F;undheit erfahren mü&#x017F;&#x017F;en,<lb/>
daß es be&#x017F;&#x017F;er i&#x017F;t, der Mi&#x017F;&#x017F;ionar wohnt in einem &#x017F;olid<lb/>
gebauten europäi&#x017F;chen Wohnhau&#x017F;e.</p><lb/>
        <p>Das braucht nun freilich nicht übertrieben zu werden,<lb/>
wie die reichen amerikani&#x017F;chen Mi&#x017F;&#x017F;ionsge&#x017F;ell&#x017F;chaften das<lb/>
allzu leicht thun. Sind auch die Wohnungen der ameri-<lb/>
kani&#x017F;chen Mi&#x017F;&#x017F;ionare im Innern einfach und keineswegs<lb/>
übertrieben gehalten, in ihrem &#x017F;ehr &#x017F;chmuck gehaltenen<lb/>
Äußern &#x017F;ehen &#x017F;ich die villenartigen Gebäude, zumal neben<lb/>
den ein&#x017F;töckigen Hütten der Japaner, wie kleine Palä&#x017F;te<lb/>
an und fordern die Kritik und den Vorwurf der Üppig-<lb/>
keit geradezu heraus. Vielleicht wäre ein etwas<lb/>
be&#x017F;cheideneres Aus&#x017F;ehen mehr am Platz, und man hätte<lb/>
gut gethan, beizeiten des Sprichwortes zu gedenken:<lb/>
Wer an die Straße baut, muß &#x017F;ich mei&#x017F;tern la&#x017F;&#x017F;en.<lb/>
Mit die&#x017F;en Mi&#x017F;&#x017F;ionshäu&#x017F;ern können &#x017F;ich die beiden<lb/></p>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[13/0027] Tokyo nicht ſelten, ſo daß man die Feuersbrunſt die Blume von Yeddo 1) genannt hat. Früher rechnete man, daß Tokyo durchſchnittlich in ſieben Jahren einmal voll- ſtändig abbrenne. Heute iſt das durch eine muſter- giltige Feuerwehr bedeutend beſſer geworden. Immer- hin habe ich noch im Jahre 1892 am erſten Oſtertag innerhalb von zwölf Stunden mehr denn fünftauſend Häuſer abbrennen ſehen. Ich kam damals an der Brandſtätte vorbei, und in demſelben Tempo, wie ich ging, ſchlängelte ſich neben mir hin an einem Bambus- zaun entlang die Flamme. Richtige Thüren mit Schlöſſern wie bei uns giebt es am japaniſchen Hauſe nicht. Es ſind Schiebethüren, die aber nicht luftdicht ſchließen. Überall ſind Riſſe und Lücken, durch welche der Wind ſchneidend hindurchbläſt. Ich habe es in dem japaniſchen Haus auf Koſten meiner Geſundheit erfahren müſſen, daß es beſſer iſt, der Miſſionar wohnt in einem ſolid gebauten europäiſchen Wohnhauſe. Das braucht nun freilich nicht übertrieben zu werden, wie die reichen amerikaniſchen Miſſionsgeſellſchaften das allzu leicht thun. Sind auch die Wohnungen der ameri- kaniſchen Miſſionare im Innern einfach und keineswegs übertrieben gehalten, in ihrem ſehr ſchmuck gehaltenen Äußern ſehen ſich die villenartigen Gebäude, zumal neben den einſtöckigen Hütten der Japaner, wie kleine Paläſte an und fordern die Kritik und den Vorwurf der Üppig- keit geradezu heraus. Vielleicht wäre ein etwas beſcheideneres Ausſehen mehr am Platz, und man hätte gut gethan, beizeiten des Sprichwortes zu gedenken: Wer an die Straße baut, muß ſich meiſtern laſſen. Mit dieſen Miſſionshäuſern können ſich die beiden 1) So hieß Tokyo vor 1868. Tokyo = öſtliche Hauptſtadt, im Gegenſatz zu Saikyo (Kyoto) = weſtliche Hauptſtadt.

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/munzinger_japaner_1898
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/munzinger_japaner_1898/27
Zitationshilfe: Munzinger, Carl: Die Japaner. Berlin, 1898, S. 13. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/munzinger_japaner_1898/27>, abgerufen am 24.11.2024.