man in einer Riesenstadt wie Tokyo, welche an Ein- wohnerzahl nicht ganz so groß wie Berlin, an Umfang aber so groß als London ist, nicht weit. Man würde dabei viel zu viel Zeit verlieren. Man macht es also wie der Japaner auch. Man setzt sich in einen kleinen Handwagen, Jinriksha genannt, und läßt sich von einem Mann, welcher Kutscher und Pferd in einer Person ist, ziehen. Die Japaner sind die besten Schnellläufer der Welt. In stundenlangem, ununterbrochenem Trab brin- gen sie einen schneller an das Ziel, als ein Droschken- gaul das könnte. Die Sache kommt einem anfänglich wenig menschenwürdig vor und ist es auch nicht. Dort aber ist es eine selbstverständliche Sache und niemand, der Jinrikshamann am wenigsten, findet etwas dabei. Es ist eine ebenso bequeme als billige Art der Beför- derung und da durch Abschaffung dieser Institution mit einem Schlag Hunderttausende von Menschen brot- los würden, so ist ein Ende derselben zumal bei dem mangelnden Ersatz durch Zugtiere nicht abzusehen.
Die äußere Lebensführung des Missionars in Japan ist dieselbe wie die der andern dort ansässigen Europäer. Die Abendländer, welche vorerst nur nach Tausenden und noch bei weitem nicht nach Zehntausenden zählen, haben ihren Wohnsitz vornehmlich in den Hafenstädten. In Tokyo giebt es etwa dreißig selbständige männliche Deutsche, die fast alle in japanischen Regierungsstellungen sind, die meisten als Professoren. Es ist eine deutsche Gelehrtenkolonie, wie sie wohl innerhalb des Deutsch- tums auf der ganzen Erde einzig dasteht. In sie kommt der deutsche Missionar hinein und auch mitbe- zug darauf ist sein Los ein beneidenswertes. Es fehlt ihm nicht an geistiger Anregung und da die Deutschen unter sich gesellig verkehren, -- Wirtshausleben giebt es
man in einer Rieſenſtadt wie Tokyo, welche an Ein- wohnerzahl nicht ganz ſo groß wie Berlin, an Umfang aber ſo groß als London iſt, nicht weit. Man würde dabei viel zu viel Zeit verlieren. Man macht es alſo wie der Japaner auch. Man ſetzt ſich in einen kleinen Handwagen, Jinrikſha genannt, und läßt ſich von einem Mann, welcher Kutſcher und Pferd in einer Perſon iſt, ziehen. Die Japaner ſind die beſten Schnellläufer der Welt. In ſtundenlangem, ununterbrochenem Trab brin- gen ſie einen ſchneller an das Ziel, als ein Droſchken- gaul das könnte. Die Sache kommt einem anfänglich wenig menſchenwürdig vor und iſt es auch nicht. Dort aber iſt es eine ſelbſtverſtändliche Sache und niemand, der Jinrikſhamann am wenigſten, findet etwas dabei. Es iſt eine ebenſo bequeme als billige Art der Beför- derung und da durch Abſchaffung dieſer Inſtitution mit einem Schlag Hunderttauſende von Menſchen brot- los würden, ſo iſt ein Ende derſelben zumal bei dem mangelnden Erſatz durch Zugtiere nicht abzuſehen.
Die äußere Lebensführung des Miſſionars in Japan iſt dieſelbe wie die der andern dort anſäſſigen Europäer. Die Abendländer, welche vorerſt nur nach Tauſenden und noch bei weitem nicht nach Zehntauſenden zählen, haben ihren Wohnſitz vornehmlich in den Hafenſtädten. In Tokyo giebt es etwa dreißig ſelbſtändige männliche Deutſche, die faſt alle in japaniſchen Regierungsſtellungen ſind, die meiſten als Profeſſoren. Es iſt eine deutſche Gelehrtenkolonie, wie ſie wohl innerhalb des Deutſch- tums auf der ganzen Erde einzig daſteht. In ſie kommt der deutſche Miſſionar hinein und auch mitbe- zug darauf iſt ſein Los ein beneidenswertes. Es fehlt ihm nicht an geiſtiger Anregung und da die Deutſchen unter ſich geſellig verkehren, — Wirtshausleben giebt es
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[18/0032]
man in einer Rieſenſtadt wie Tokyo, welche an Ein-
wohnerzahl nicht ganz ſo groß wie Berlin, an Umfang
aber ſo groß als London iſt, nicht weit. Man würde
dabei viel zu viel Zeit verlieren. Man macht es alſo
wie der Japaner auch. Man ſetzt ſich in einen kleinen
Handwagen, Jinrikſha genannt, und läßt ſich von einem
Mann, welcher Kutſcher und Pferd in einer Perſon iſt,
ziehen. Die Japaner ſind die beſten Schnellläufer der
Welt. In ſtundenlangem, ununterbrochenem Trab brin-
gen ſie einen ſchneller an das Ziel, als ein Droſchken-
gaul das könnte. Die Sache kommt einem anfänglich
wenig menſchenwürdig vor und iſt es auch nicht. Dort
aber iſt es eine ſelbſtverſtändliche Sache und niemand,
der Jinrikſhamann am wenigſten, findet etwas dabei.
Es iſt eine ebenſo bequeme als billige Art der Beför-
derung und da durch Abſchaffung dieſer Inſtitution
mit einem Schlag Hunderttauſende von Menſchen brot-
los würden, ſo iſt ein Ende derſelben zumal bei dem
mangelnden Erſatz durch Zugtiere nicht abzuſehen.
Die äußere Lebensführung des Miſſionars in Japan
iſt dieſelbe wie die der andern dort anſäſſigen Europäer.
Die Abendländer, welche vorerſt nur nach Tauſenden
und noch bei weitem nicht nach Zehntauſenden zählen,
haben ihren Wohnſitz vornehmlich in den Hafenſtädten.
In Tokyo giebt es etwa dreißig ſelbſtändige männliche
Deutſche, die faſt alle in japaniſchen Regierungsſtellungen
ſind, die meiſten als Profeſſoren. Es iſt eine deutſche
Gelehrtenkolonie, wie ſie wohl innerhalb des Deutſch-
tums auf der ganzen Erde einzig daſteht. In ſie
kommt der deutſche Miſſionar hinein und auch mitbe-
zug darauf iſt ſein Los ein beneidenswertes. Es fehlt
ihm nicht an geiſtiger Anregung und da die Deutſchen
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Munzinger, Carl: Die Japaner. Berlin, 1898, S. 18. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/munzinger_japaner_1898/32>, abgerufen am 21.11.2024.
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