der Etikette des Landes nicht unbedingt nötig. Denn der Japaner anerkennt das Wort: "My house is my castle". Aber sein Beruf zwingt ihn, sich nicht abzu- schließen, sondern in das Volk hineinzudringen. Je seltener man in den letzten Jahren japanische Besuche empfing, wo man von dem Christentum weniger wissen wollte, um so notwendiger wurde es, die Leute in ihren Häusern aufzusuchen. Kein Haus darf dem Missionar zu gering, keines auch zu vornehm sein. An einem Besuchsnachmittag führte mich mein Weg in kleine, ärmliche Studentenbuden und in baufällige Baracken von Tagelöhnern, und unmittelbar vielleicht von da in die Wohnung eines Ministers oder eines Wirklichen Geheimen Staatsrats Excellenz. Für den Missionar heißt es Fühlung haben mit dem Volk und zwar mög- lichst mit allen Volksschichten. Nur so lebt man sich in das Volk hinein und lernt seine Eigenart verstehen; nur so wird man bekannt mit den Strömungen, welche augenblicklich durch das Volk hindurchgehen und für den Erfolg und Mißerfolg der Mission von maßgeben- dem Einfluß sein können; so auch lassen sich Verbindungen anknüpfen, die sich weiterhin als fruchtbringend erweisen mögen. Es ist ja nicht zunächst religiöse Arbeit, die man da thut. Man darf auch nicht denken, daß man an die Leute direkt mit Bekehrungsversuchen herantreten könnte. Es ist vielmehr vorbereitende und doch zugleich grundlegende Arbeit, deren Wichtigkeit über jede Erör- terung erhaben ist, und welche zu dem auf dem ja- panischen Missionsfelde notwendigen Bekehrungsapparat unbedingt gehört.
Ich bin in der Heimat in allen Schichten der Be- völkerung, in gebildeten Kreisen oft noch mehr als bei dem niederen religiösen Volk, den seltsamsten An-
der Etikette des Landes nicht unbedingt nötig. Denn der Japaner anerkennt das Wort: „My house is my castle“. Aber ſein Beruf zwingt ihn, ſich nicht abzu- ſchließen, ſondern in das Volk hineinzudringen. Je ſeltener man in den letzten Jahren japaniſche Beſuche empfing, wo man von dem Chriſtentum weniger wiſſen wollte, um ſo notwendiger wurde es, die Leute in ihren Häuſern aufzuſuchen. Kein Haus darf dem Miſſionar zu gering, keines auch zu vornehm ſein. An einem Beſuchsnachmittag führte mich mein Weg in kleine, ärmliche Studentenbuden und in baufällige Baracken von Tagelöhnern, und unmittelbar vielleicht von da in die Wohnung eines Miniſters oder eines Wirklichen Geheimen Staatsrats Excellenz. Für den Miſſionar heißt es Fühlung haben mit dem Volk und zwar mög- lichſt mit allen Volksſchichten. Nur ſo lebt man ſich in das Volk hinein und lernt ſeine Eigenart verſtehen; nur ſo wird man bekannt mit den Strömungen, welche augenblicklich durch das Volk hindurchgehen und für den Erfolg und Mißerfolg der Miſſion von maßgeben- dem Einfluß ſein können; ſo auch laſſen ſich Verbindungen anknüpfen, die ſich weiterhin als fruchtbringend erweiſen mögen. Es iſt ja nicht zunächſt religiöſe Arbeit, die man da thut. Man darf auch nicht denken, daß man an die Leute direkt mit Bekehrungsverſuchen herantreten könnte. Es iſt vielmehr vorbereitende und doch zugleich grundlegende Arbeit, deren Wichtigkeit über jede Erör- terung erhaben iſt, und welche zu dem auf dem ja- paniſchen Miſſionsfelde notwendigen Bekehrungsapparat unbedingt gehört.
Ich bin in der Heimat in allen Schichten der Be- völkerung, in gebildeten Kreiſen oft noch mehr als bei dem niederen religiöſen Volk, den ſeltſamſten An-
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der Etikette des Landes nicht unbedingt nötig. Denn
der Japaner anerkennt das Wort: „My house is my
castle“. Aber ſein Beruf zwingt ihn, ſich nicht abzu-
ſchließen, ſondern in das Volk hineinzudringen. Je
ſeltener man in den letzten Jahren japaniſche Beſuche
empfing, wo man von dem Chriſtentum weniger wiſſen
wollte, um ſo notwendiger wurde es, die Leute in ihren
Häuſern aufzuſuchen. Kein Haus darf dem Miſſionar
zu gering, keines auch zu vornehm ſein. An einem
Beſuchsnachmittag führte mich mein Weg in kleine,
ärmliche Studentenbuden und in baufällige Baracken
von Tagelöhnern, und unmittelbar vielleicht von da in
die Wohnung eines Miniſters oder eines Wirklichen
Geheimen Staatsrats Excellenz. Für den Miſſionar
heißt es Fühlung haben mit dem Volk und zwar mög-
lichſt mit allen Volksſchichten. Nur ſo lebt man ſich
in das Volk hinein und lernt ſeine Eigenart verſtehen;
nur ſo wird man bekannt mit den Strömungen, welche
augenblicklich durch das Volk hindurchgehen und für
den Erfolg und Mißerfolg der Miſſion von maßgeben-
dem Einfluß ſein können; ſo auch laſſen ſich Verbindungen
anknüpfen, die ſich weiterhin als fruchtbringend erweiſen
mögen. Es iſt ja nicht zunächſt religiöſe Arbeit, die
man da thut. Man darf auch nicht denken, daß man
an die Leute direkt mit Bekehrungsverſuchen herantreten
könnte. Es iſt vielmehr vorbereitende und doch zugleich
grundlegende Arbeit, deren Wichtigkeit über jede Erör-
terung erhaben iſt, und welche zu dem auf dem ja-
paniſchen Miſſionsfelde notwendigen Bekehrungsapparat
unbedingt gehört.
Ich bin in der Heimat in allen Schichten der Be-
völkerung, in gebildeten Kreiſen oft noch mehr als bei
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Munzinger, Carl: Die Japaner. Berlin, 1898, S. 308. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/munzinger_japaner_1898/322>, abgerufen am 22.11.2024.
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