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Munzinger, Carl: Die Japaner. Berlin, 1898.

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zusammen oder vorüber kommen, und predigt; und ob
die Leute wollen oder nicht, sie sind genötigt, Notiz
davon zu nehmen, weil ihnen die Stimmen der Pre-
diger in die Ohren schallen. Auch in Japan hat man
vereinzelt dieses versucht. Im Uenopark in Tokyo konnte
man jeden Sonntag Nachmittag das Schauspiel sehen:
Eine alte Dame, welche auf einem alten Harmonium
spielte, einige junge Mädchen und Jünglinge, welche
Lieder sangen, und ein Evangelist, welcher predigte.
Ich bin manchmal vorübergekommen, und immer hatte
sich eine kleine Anzahl von Zuhörern versammelt, und
ich selbst stand manchmal im Hintergrunde dabei. Aber
stets ging ich unbefriedigt von dannen mit dem klaren
Gefühl: Das ist die rechte Art nicht! In London habe
ich viele Straßenpredigten gehört, nicht bloß von der
Heilsarmee und missionierenden Niggern, welche damit
ihr Brot verdienen und gierig nach den paar Pfennigen
greifen, welche mitleidige Zuhörer am Schlusse ihnen
zuwerfen; nein, ich habe auch einen bedeutenden Pre-
diger der als stolz bekannten und von anderer Seite als
geistig hochmütig verschrieenen Sekte der Unitarier ge-
kannt, welcher es nicht verschmähte, im Hydepark öffent-
lich zu predigen. In Deutschland dagegen habe ich
derartiges nie gesehen. Was sich für England schickt,
stößt in Deutschland ab. So ist es auch in Heiden-
landen. Die öffentlichen Predigten bei heidnischen Tem-
pelfesten in Indien und die Wanderpredigt in Afrika
mögen sehr wohl am Platze sein; dem Japaner aber,
welcher peinlich darauf sieht, daß alles, was geschieht,
geordnet und der Sitte gemäß geschieht, ist diese Art
in der Seele zuwider. Der Japaner, der selbst auf
Etikette und eine gewisse vornehme Art strenge hält,
verlangt von jedermann und auch von dem Christentum

zuſammen oder vorüber kommen, und predigt; und ob
die Leute wollen oder nicht, ſie ſind genötigt, Notiz
davon zu nehmen, weil ihnen die Stimmen der Pre-
diger in die Ohren ſchallen. Auch in Japan hat man
vereinzelt dieſes verſucht. Im Uenopark in Tokyo konnte
man jeden Sonntag Nachmittag das Schauſpiel ſehen:
Eine alte Dame, welche auf einem alten Harmonium
ſpielte, einige junge Mädchen und Jünglinge, welche
Lieder ſangen, und ein Evangeliſt, welcher predigte.
Ich bin manchmal vorübergekommen, und immer hatte
ſich eine kleine Anzahl von Zuhörern verſammelt, und
ich ſelbſt ſtand manchmal im Hintergrunde dabei. Aber
ſtets ging ich unbefriedigt von dannen mit dem klaren
Gefühl: Das iſt die rechte Art nicht! In London habe
ich viele Straßenpredigten gehört, nicht bloß von der
Heilsarmee und miſſionierenden Niggern, welche damit
ihr Brot verdienen und gierig nach den paar Pfennigen
greifen, welche mitleidige Zuhörer am Schluſſe ihnen
zuwerfen; nein, ich habe auch einen bedeutenden Pre-
diger der als ſtolz bekannten und von anderer Seite als
geiſtig hochmütig verſchrieenen Sekte der Unitarier ge-
kannt, welcher es nicht verſchmähte, im Hydepark öffent-
lich zu predigen. In Deutſchland dagegen habe ich
derartiges nie geſehen. Was ſich für England ſchickt,
ſtößt in Deutſchland ab. So iſt es auch in Heiden-
landen. Die öffentlichen Predigten bei heidniſchen Tem-
pelfeſten in Indien und die Wanderpredigt in Afrika
mögen ſehr wohl am Platze ſein; dem Japaner aber,
welcher peinlich darauf ſieht, daß alles, was geſchieht,
geordnet und der Sitte gemäß geſchieht, iſt dieſe Art
in der Seele zuwider. Der Japaner, der ſelbſt auf
Etikette und eine gewiſſe vornehme Art ſtrenge hält,
verlangt von jedermann und auch von dem Chriſtentum

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[311/0325] zuſammen oder vorüber kommen, und predigt; und ob die Leute wollen oder nicht, ſie ſind genötigt, Notiz davon zu nehmen, weil ihnen die Stimmen der Pre- diger in die Ohren ſchallen. Auch in Japan hat man vereinzelt dieſes verſucht. Im Uenopark in Tokyo konnte man jeden Sonntag Nachmittag das Schauſpiel ſehen: Eine alte Dame, welche auf einem alten Harmonium ſpielte, einige junge Mädchen und Jünglinge, welche Lieder ſangen, und ein Evangeliſt, welcher predigte. Ich bin manchmal vorübergekommen, und immer hatte ſich eine kleine Anzahl von Zuhörern verſammelt, und ich ſelbſt ſtand manchmal im Hintergrunde dabei. Aber ſtets ging ich unbefriedigt von dannen mit dem klaren Gefühl: Das iſt die rechte Art nicht! In London habe ich viele Straßenpredigten gehört, nicht bloß von der Heilsarmee und miſſionierenden Niggern, welche damit ihr Brot verdienen und gierig nach den paar Pfennigen greifen, welche mitleidige Zuhörer am Schluſſe ihnen zuwerfen; nein, ich habe auch einen bedeutenden Pre- diger der als ſtolz bekannten und von anderer Seite als geiſtig hochmütig verſchrieenen Sekte der Unitarier ge- kannt, welcher es nicht verſchmähte, im Hydepark öffent- lich zu predigen. In Deutſchland dagegen habe ich derartiges nie geſehen. Was ſich für England ſchickt, ſtößt in Deutſchland ab. So iſt es auch in Heiden- landen. Die öffentlichen Predigten bei heidniſchen Tem- pelfeſten in Indien und die Wanderpredigt in Afrika mögen ſehr wohl am Platze ſein; dem Japaner aber, welcher peinlich darauf ſieht, daß alles, was geſchieht, geordnet und der Sitte gemäß geſchieht, iſt dieſe Art in der Seele zuwider. Der Japaner, der ſelbſt auf Etikette und eine gewiſſe vornehme Art ſtrenge hält, verlangt von jedermann und auch von dem Chriſtentum

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Zitationshilfe: Munzinger, Carl: Die Japaner. Berlin, 1898, S. 311. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/munzinger_japaner_1898/325>, abgerufen am 22.11.2024.