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Munzinger, Carl: Die Japaner. Berlin, 1898.

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seinem innersten Wesen eine Sache des Herzens und Lebens
ist. Der Erfolg bestand denn auch oft darin, daß der ent-
täuschte Japaner das nächste Mal nicht wieder kam.
Für den metaphysisch schwach begabten Japaner, der
zudem entschieden pantheistische Neigungen hat, ist der
die Persönlichkeit betonende theistische Gottesbegriff
etwas, was er vernunftgemäß nicht fassen, sondern im
besten Sinne des Wortes nur glauben kann. In unserem
pfälzischen Katechismus befindet sich die Frage: "Woher
weißt du, daß Gott ist?" Von einem Wissen, daß
Gott ist, kann in Japan keine Rede sein. Das Klügste,
was sich thun ließ, und darum auch das Richtige war,
von derartigen Fragen möglichst abzusehen. Nicht als
ob man ohne Apologetik auskommen könnte; aber hüten
muß man sich vor dem Theoretisieren.

Ich fand es als das Zweckmäßigste, im Anschluß
an das Evangelium von der christlichen Ethik auszu-
gehen, nicht im Sinne einer trockenen Moral, sondern
einer ethischen Religiosität 1). Hier offenbart sich Kon-
fuzius als Vorläufer Christi und bietet treffliche An-
knüpfungspunkte dar.

Ich gestehe es frei, dogmatische Fragen habe ich
selten berührt; denn mit dogmatischen Erörterungen
treibt man die Leute fort. Ich habe weder gesagt, daß
sie die Lehre von der Trinität glauben sollten, noch daß
sie sie nicht glauben sollten. Ich habe über die Lehre
von der Trinität überhaupt nicht gesprochen, und die
Hörer wollten auch nichts davon wissen. Ich habe im
Taufunterricht das Dogma weder empfohlen, noch habe
ich es bekämpft. Ich habe positives Bibelchristentum

1) Spinner hat einen in das Japanische übersetzten Leitfaden
für Katechumenen verfaßt, welcher, ebenso kurz als gründlich, eine
durchweg positive Darstellung der christlichen Lehre giebt.

ſeinem innerſten Weſen eine Sache des Herzens und Lebens
iſt. Der Erfolg beſtand denn auch oft darin, daß der ent-
täuſchte Japaner das nächſte Mal nicht wieder kam.
Für den metaphyſiſch ſchwach begabten Japaner, der
zudem entſchieden pantheiſtiſche Neigungen hat, iſt der
die Perſönlichkeit betonende theiſtiſche Gottesbegriff
etwas, was er vernunftgemäß nicht faſſen, ſondern im
beſten Sinne des Wortes nur glauben kann. In unſerem
pfälziſchen Katechismus befindet ſich die Frage: „Woher
weißt du, daß Gott iſt?“ Von einem Wiſſen, daß
Gott iſt, kann in Japan keine Rede ſein. Das Klügſte,
was ſich thun ließ, und darum auch das Richtige war,
von derartigen Fragen möglichſt abzuſehen. Nicht als
ob man ohne Apologetik auskommen könnte; aber hüten
muß man ſich vor dem Theoretiſieren.

Ich fand es als das Zweckmäßigſte, im Anſchluß
an das Evangelium von der chriſtlichen Ethik auszu-
gehen, nicht im Sinne einer trockenen Moral, ſondern
einer ethiſchen Religioſität 1). Hier offenbart ſich Kon-
fuzius als Vorläufer Chriſti und bietet treffliche An-
knüpfungspunkte dar.

Ich geſtehe es frei, dogmatiſche Fragen habe ich
ſelten berührt; denn mit dogmatiſchen Erörterungen
treibt man die Leute fort. Ich habe weder geſagt, daß
ſie die Lehre von der Trinität glauben ſollten, noch daß
ſie ſie nicht glauben ſollten. Ich habe über die Lehre
von der Trinität überhaupt nicht geſprochen, und die
Hörer wollten auch nichts davon wiſſen. Ich habe im
Taufunterricht das Dogma weder empfohlen, noch habe
ich es bekämpft. Ich habe poſitives Bibelchriſtentum

1) Spinner hat einen in das Japaniſche überſetzten Leitfaden
für Katechumenen verfaßt, welcher, ebenſo kurz als gründlich, eine
durchweg poſitive Darſtellung der chriſtlichen Lehre giebt.
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[322/0336] ſeinem innerſten Weſen eine Sache des Herzens und Lebens iſt. Der Erfolg beſtand denn auch oft darin, daß der ent- täuſchte Japaner das nächſte Mal nicht wieder kam. Für den metaphyſiſch ſchwach begabten Japaner, der zudem entſchieden pantheiſtiſche Neigungen hat, iſt der die Perſönlichkeit betonende theiſtiſche Gottesbegriff etwas, was er vernunftgemäß nicht faſſen, ſondern im beſten Sinne des Wortes nur glauben kann. In unſerem pfälziſchen Katechismus befindet ſich die Frage: „Woher weißt du, daß Gott iſt?“ Von einem Wiſſen, daß Gott iſt, kann in Japan keine Rede ſein. Das Klügſte, was ſich thun ließ, und darum auch das Richtige war, von derartigen Fragen möglichſt abzuſehen. Nicht als ob man ohne Apologetik auskommen könnte; aber hüten muß man ſich vor dem Theoretiſieren. Ich fand es als das Zweckmäßigſte, im Anſchluß an das Evangelium von der chriſtlichen Ethik auszu- gehen, nicht im Sinne einer trockenen Moral, ſondern einer ethiſchen Religioſität 1). Hier offenbart ſich Kon- fuzius als Vorläufer Chriſti und bietet treffliche An- knüpfungspunkte dar. Ich geſtehe es frei, dogmatiſche Fragen habe ich ſelten berührt; denn mit dogmatiſchen Erörterungen treibt man die Leute fort. Ich habe weder geſagt, daß ſie die Lehre von der Trinität glauben ſollten, noch daß ſie ſie nicht glauben ſollten. Ich habe über die Lehre von der Trinität überhaupt nicht geſprochen, und die Hörer wollten auch nichts davon wiſſen. Ich habe im Taufunterricht das Dogma weder empfohlen, noch habe ich es bekämpft. Ich habe poſitives Bibelchriſtentum 1) Spinner hat einen in das Japaniſche überſetzten Leitfaden für Katechumenen verfaßt, welcher, ebenſo kurz als gründlich, eine durchweg poſitive Darſtellung der chriſtlichen Lehre giebt.

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Zitationshilfe: Munzinger, Carl: Die Japaner. Berlin, 1898, S. 322. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/munzinger_japaner_1898/336>, abgerufen am 02.06.2024.