gelockerten Boden zu besäen und die eigentlich christliche Beeinflussung zu beginnen.
Die Säearbeit ist eine in hohem Grad systematische. Es genügt nicht, den Applikanten zu sagen: "So, jetzt kommt ihr jeden Sonntag zum Gottesdienst und zu allen andern Gemeindeversammlungen, welche die Woche über stattfinden, und nach einiger Zeit werdet ihr soweit sein, daß ihr getauft werden könnt". Vielmehr müssen diese Leute vor der Taufe durch einen besonderen Unter- richtskursus hindurchgehen, entsprechend unserem Konfir- mandenunterricht. Hier wird nun ein Samenkorn um das andere in die Seele hinabgesenkt. Dieser Unter- richt findet wöchentlich ein-, zwei- oder dreimal, je nach Bedürfnis, in dem Hause des Missionars statt. Es mögen wohl auch Zeiten kommen, und in den neun- ziger Jahren sind sie für keinen ausgeblieben, da sich überhaupt niemand zum katechetischen Unterricht meldet, und auch in solchen Zeiten gilt es, nicht zu verzagen.
Auch der katechetische Unterricht will erst in der Praxis gelernt sein. So habe ich heute noch die deutliche Empfindung, daß ich im Anfang vielfach fehlgriff. Wenn nämlich wieder einmal ein neuer "In- quirer" kam, so wollte er in der Regel einen Vortrag über das Dasein Gottes hören. Er meinte, wenn man ihn nur einmal davon überzeugt habe, daß es einen Gott giebt, so würde alles andere bald von selbst kommen. Ich machte aber bald die Erfahrung, daß alle Beweise für das Dasein Gottes nur Hiebe in die Luft waren; und seitdem ich auf dem Missionsfelde gewesen bin, glaube ich überhaupt nicht mehr, daß ein Mensch durch derartige theoretische Erörterungen zu einem lebendigen Christen wird. Das sind doch schließ- lich Sachen des Kopfes, während das Christentum in
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gelockerten Boden zu beſäen und die eigentlich chriſtliche Beeinfluſſung zu beginnen.
Die Säearbeit iſt eine in hohem Grad ſyſtematiſche. Es genügt nicht, den Applikanten zu ſagen: „So, jetzt kommt ihr jeden Sonntag zum Gottesdienſt und zu allen andern Gemeindeverſammlungen, welche die Woche über ſtattfinden, und nach einiger Zeit werdet ihr ſoweit ſein, daß ihr getauft werden könnt“. Vielmehr müſſen dieſe Leute vor der Taufe durch einen beſonderen Unter- richtskurſus hindurchgehen, entſprechend unſerem Konfir- mandenunterricht. Hier wird nun ein Samenkorn um das andere in die Seele hinabgeſenkt. Dieſer Unter- richt findet wöchentlich ein-, zwei- oder dreimal, je nach Bedürfnis, in dem Hauſe des Miſſionars ſtatt. Es mögen wohl auch Zeiten kommen, und in den neun- ziger Jahren ſind ſie für keinen ausgeblieben, da ſich überhaupt niemand zum katechetiſchen Unterricht meldet, und auch in ſolchen Zeiten gilt es, nicht zu verzagen.
Auch der katechetiſche Unterricht will erſt in der Praxis gelernt ſein. So habe ich heute noch die deutliche Empfindung, daß ich im Anfang vielfach fehlgriff. Wenn nämlich wieder einmal ein neuer „In- quirer“ kam, ſo wollte er in der Regel einen Vortrag über das Daſein Gottes hören. Er meinte, wenn man ihn nur einmal davon überzeugt habe, daß es einen Gott giebt, ſo würde alles andere bald von ſelbſt kommen. Ich machte aber bald die Erfahrung, daß alle Beweiſe für das Daſein Gottes nur Hiebe in die Luft waren; und ſeitdem ich auf dem Miſſionsfelde geweſen bin, glaube ich überhaupt nicht mehr, daß ein Menſch durch derartige theoretiſche Erörterungen zu einem lebendigen Chriſten wird. Das ſind doch ſchließ- lich Sachen des Kopfes, während das Chriſtentum in
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gelockerten Boden zu beſäen und die eigentlich chriſtliche
Beeinfluſſung zu beginnen.
Die Säearbeit iſt eine in hohem Grad ſyſtematiſche.
Es genügt nicht, den Applikanten zu ſagen: „So, jetzt
kommt ihr jeden Sonntag zum Gottesdienſt und zu
allen andern Gemeindeverſammlungen, welche die Woche
über ſtattfinden, und nach einiger Zeit werdet ihr ſoweit
ſein, daß ihr getauft werden könnt“. Vielmehr müſſen
dieſe Leute vor der Taufe durch einen beſonderen Unter-
richtskurſus hindurchgehen, entſprechend unſerem Konfir-
mandenunterricht. Hier wird nun ein Samenkorn um
das andere in die Seele hinabgeſenkt. Dieſer Unter-
richt findet wöchentlich ein-, zwei- oder dreimal, je nach
Bedürfnis, in dem Hauſe des Miſſionars ſtatt. Es
mögen wohl auch Zeiten kommen, und in den neun-
ziger Jahren ſind ſie für keinen ausgeblieben, da ſich
überhaupt niemand zum katechetiſchen Unterricht meldet,
und auch in ſolchen Zeiten gilt es, nicht zu verzagen.
Auch der katechetiſche Unterricht will erſt in der
Praxis gelernt ſein. So habe ich heute noch die
deutliche Empfindung, daß ich im Anfang vielfach
fehlgriff. Wenn nämlich wieder einmal ein neuer „In-
quirer“ kam, ſo wollte er in der Regel einen Vortrag
über das Daſein Gottes hören. Er meinte, wenn man
ihn nur einmal davon überzeugt habe, daß es einen
Gott giebt, ſo würde alles andere bald von ſelbſt
kommen. Ich machte aber bald die Erfahrung, daß
alle Beweiſe für das Daſein Gottes nur Hiebe in die
Luft waren; und ſeitdem ich auf dem Miſſionsfelde
geweſen bin, glaube ich überhaupt nicht mehr, daß ein
Menſch durch derartige theoretiſche Erörterungen zu
einem lebendigen Chriſten wird. Das ſind doch ſchließ-
lich Sachen des Kopfes, während das Chriſtentum in
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Munzinger, Carl: Die Japaner. Berlin, 1898, S. 321. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/munzinger_japaner_1898/335>, abgerufen am 22.11.2024.
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