Christus als das Haupt und die Krone erscheint. Man drängt sich den Leuten nicht auf; aber es werden doch hier schon die ersten Fühler ausgestreckt, und manche religiöse Anregung wird auch hier schon gegeben.
Doch ist das Christentum hier noch nicht Haupt- zweck. Vor allem wird vielmehr der zweite Teil der Arbeit gethan: Der Acker wird gepflügt, der Boden wird gelockert, Kopf und Herz der Japaner werden von dem Unkraut mannigfacher Vorurteile gegen den Fremden und das Fremde gereinigt. Lehrer und Schüler wachsen mehr und mehr in einander hinein und lernen sich gegenseitig besser verstehen. Mancher junge Mann sieht in dem Missionar schließlich nicht mehr nur die Lehr- maschine, sondern erkennt auch seine sittliche Persönlich- keit an, und wenn er es auch noch nicht laut ausspricht, so gesteht er es doch vor sich selbst offen ein: "Sieh da, der Missionar ist ja gar kein so übler Mann, wie man es von ihm als Christ und Fremden eigentlich meinen sollte. Zu dem Manne kann man wohl gar Vertrauen haben!"
So wird auf großen Umwegen das Vertrauen ge- schaffen. Ohne das Vertrauen wäre alle Arbeit um- sonst. Die Schaffung desselben war nicht immer so umständlich. In den achtziger Jahren noch lag das Vertrauen zu dem Fremden in der Strömung der Zeit. Damals verstand es sich ganz von selbst, daß man zu dem Fremden Vertrauen hatte. Heute aber muß es auf die beschriebene Art und Weise erst mühsam herge- stellt werden. Damit ist aber auch der zweite Teil der Arbeit erledigt.
Und jetzt erst, wenn das Vertrauen von Mensch zu Mensch da ist, kann der dritte Teil der Arbeit beginnen. Jetzt erst ist die Zeit gekommen, den gereinigten und
Chriſtus als das Haupt und die Krone erſcheint. Man drängt ſich den Leuten nicht auf; aber es werden doch hier ſchon die erſten Fühler ausgeſtreckt, und manche religiöſe Anregung wird auch hier ſchon gegeben.
Doch iſt das Chriſtentum hier noch nicht Haupt- zweck. Vor allem wird vielmehr der zweite Teil der Arbeit gethan: Der Acker wird gepflügt, der Boden wird gelockert, Kopf und Herz der Japaner werden von dem Unkraut mannigfacher Vorurteile gegen den Fremden und das Fremde gereinigt. Lehrer und Schüler wachſen mehr und mehr in einander hinein und lernen ſich gegenſeitig beſſer verſtehen. Mancher junge Mann ſieht in dem Miſſionar ſchließlich nicht mehr nur die Lehr- maſchine, ſondern erkennt auch ſeine ſittliche Perſönlich- keit an, und wenn er es auch noch nicht laut ausſpricht, ſo geſteht er es doch vor ſich ſelbſt offen ein: „Sieh da, der Miſſionar iſt ja gar kein ſo übler Mann, wie man es von ihm als Chriſt und Fremden eigentlich meinen ſollte. Zu dem Manne kann man wohl gar Vertrauen haben!“
So wird auf großen Umwegen das Vertrauen ge- ſchaffen. Ohne das Vertrauen wäre alle Arbeit um- ſonſt. Die Schaffung desſelben war nicht immer ſo umſtändlich. In den achtziger Jahren noch lag das Vertrauen zu dem Fremden in der Strömung der Zeit. Damals verſtand es ſich ganz von ſelbſt, daß man zu dem Fremden Vertrauen hatte. Heute aber muß es auf die beſchriebene Art und Weiſe erſt mühſam herge- ſtellt werden. Damit iſt aber auch der zweite Teil der Arbeit erledigt.
Und jetzt erſt, wenn das Vertrauen von Menſch zu Menſch da iſt, kann der dritte Teil der Arbeit beginnen. Jetzt erſt iſt die Zeit gekommen, den gereinigten und
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Chriſtus als das Haupt und die Krone erſcheint. Man
drängt ſich den Leuten nicht auf; aber es werden doch
hier ſchon die erſten Fühler ausgeſtreckt, und manche
religiöſe Anregung wird auch hier ſchon gegeben.
Doch iſt das Chriſtentum hier noch nicht Haupt-
zweck. Vor allem wird vielmehr der zweite Teil der
Arbeit gethan: Der Acker wird gepflügt, der Boden
wird gelockert, Kopf und Herz der Japaner werden von
dem Unkraut mannigfacher Vorurteile gegen den Fremden
und das Fremde gereinigt. Lehrer und Schüler wachſen
mehr und mehr in einander hinein und lernen ſich
gegenſeitig beſſer verſtehen. Mancher junge Mann ſieht
in dem Miſſionar ſchließlich nicht mehr nur die Lehr-
maſchine, ſondern erkennt auch ſeine ſittliche Perſönlich-
keit an, und wenn er es auch noch nicht laut ausſpricht,
ſo geſteht er es doch vor ſich ſelbſt offen ein: „Sieh
da, der Miſſionar iſt ja gar kein ſo übler Mann, wie
man es von ihm als Chriſt und Fremden eigentlich
meinen ſollte. Zu dem Manne kann man wohl gar
Vertrauen haben!“
So wird auf großen Umwegen das Vertrauen ge-
ſchaffen. Ohne das Vertrauen wäre alle Arbeit um-
ſonſt. Die Schaffung desſelben war nicht immer ſo
umſtändlich. In den achtziger Jahren noch lag das
Vertrauen zu dem Fremden in der Strömung der Zeit.
Damals verſtand es ſich ganz von ſelbſt, daß man zu
dem Fremden Vertrauen hatte. Heute aber muß es
auf die beſchriebene Art und Weiſe erſt mühſam herge-
ſtellt werden. Damit iſt aber auch der zweite Teil der
Arbeit erledigt.
Und jetzt erſt, wenn das Vertrauen von Menſch zu
Menſch da iſt, kann der dritte Teil der Arbeit beginnen.
Jetzt erſt iſt die Zeit gekommen, den gereinigten und
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Munzinger, Carl: Die Japaner. Berlin, 1898, S. 320. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/munzinger_japaner_1898/334>, abgerufen am 22.11.2024.
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