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Munzinger, Carl: Die Japaner. Berlin, 1898.

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geworden war. Als Letztes erfuhr ich durch seinen
ehemaligen Kameraden, daß er auf Formosa sich auf-
hält; zu welchem Zwecke weiß ich nicht.

Das ist eine tieferschütternde Geschichte, dabei man
den jungen Mann vielmehr bemitleiden als verurteilen
sollte. Aber es giebt auch Fälle, wo die Schlechtigkeit
unverhüllt zu Tage tritt.

Mir ist ein Christ bekannt, welcher, seiner Frau
überdrüssig geworden, dieselbe entließ, um sich mit ihrer
eigenen Schwester zu verheiraten, welche er direkt aus
dem Freudenhaus heraus zu seiner Gattin machte. Bei
einem solchen Sittenbilde ist man versucht, an das zu
denken, was uns der Apostel Paulus aus der jungen
Christengemeinde zu Korinth offenbart (1. Kor. 5, 1).

Eine böse Erfahrung hat unsere eigene Mission mit
einem ihrer Glieder gemacht. Der junge Mann hatte
die deutsche Vereinsschule besucht, war aber mangelnder
Mittel wegen zum Austritt genötigt. Es gelang einem
unserer Missionare, ihn in einem deutschen Hause unter-
zubringen. Aber nach einiger Zeit erschien der deutsche
Herr und machte die peinliche Mitteilung, daß sich bei
Geldern, die er ihm anvertraut hatte, Unregelmäßig-
keiten herausgestellt hätten, die ihn nötigten, ihn zu ent-
lassen. Ein Jahr später fand er in einem deutschen
Geschäft in Yokohama Stellung. Anfangs ging alles
gut, ich hörte nur Lobenswertes über ihn. Bald rückte
er in eine Vertrauensstellung ein. Aber als ich mich
eines Tages wieder nach ihm erkundigte, ward mir der
betrübende Bescheid: "Entlassen wegen Unterschlagung".
Zum zweitenmal war er zum Dieb geworden.

Der raffinierteste Lügner, welchen kennen zu lernen
mir nicht erspart blieb, war ein gewisser J., der richtige
Typus eines vollendeten Heuchlers. Man hatte ihm bei

geworden war. Als Letztes erfuhr ich durch ſeinen
ehemaligen Kameraden, daß er auf Formoſa ſich auf-
hält; zu welchem Zwecke weiß ich nicht.

Das iſt eine tieferſchütternde Geſchichte, dabei man
den jungen Mann vielmehr bemitleiden als verurteilen
ſollte. Aber es giebt auch Fälle, wo die Schlechtigkeit
unverhüllt zu Tage tritt.

Mir iſt ein Chriſt bekannt, welcher, ſeiner Frau
überdrüſſig geworden, dieſelbe entließ, um ſich mit ihrer
eigenen Schweſter zu verheiraten, welche er direkt aus
dem Freudenhaus heraus zu ſeiner Gattin machte. Bei
einem ſolchen Sittenbilde iſt man verſucht, an das zu
denken, was uns der Apoſtel Paulus aus der jungen
Chriſtengemeinde zu Korinth offenbart (1. Kor. 5, 1).

Eine böſe Erfahrung hat unſere eigene Miſſion mit
einem ihrer Glieder gemacht. Der junge Mann hatte
die deutſche Vereinsſchule beſucht, war aber mangelnder
Mittel wegen zum Austritt genötigt. Es gelang einem
unſerer Miſſionare, ihn in einem deutſchen Hauſe unter-
zubringen. Aber nach einiger Zeit erſchien der deutſche
Herr und machte die peinliche Mitteilung, daß ſich bei
Geldern, die er ihm anvertraut hatte, Unregelmäßig-
keiten herausgeſtellt hätten, die ihn nötigten, ihn zu ent-
laſſen. Ein Jahr ſpäter fand er in einem deutſchen
Geſchäft in Yokohama Stellung. Anfangs ging alles
gut, ich hörte nur Lobenswertes über ihn. Bald rückte
er in eine Vertrauensſtellung ein. Aber als ich mich
eines Tages wieder nach ihm erkundigte, ward mir der
betrübende Beſcheid: „Entlaſſen wegen Unterſchlagung“.
Zum zweitenmal war er zum Dieb geworden.

Der raffinierteſte Lügner, welchen kennen zu lernen
mir nicht erſpart blieb, war ein gewiſſer J., der richtige
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[349/0363] geworden war. Als Letztes erfuhr ich durch ſeinen ehemaligen Kameraden, daß er auf Formoſa ſich auf- hält; zu welchem Zwecke weiß ich nicht. Das iſt eine tieferſchütternde Geſchichte, dabei man den jungen Mann vielmehr bemitleiden als verurteilen ſollte. Aber es giebt auch Fälle, wo die Schlechtigkeit unverhüllt zu Tage tritt. Mir iſt ein Chriſt bekannt, welcher, ſeiner Frau überdrüſſig geworden, dieſelbe entließ, um ſich mit ihrer eigenen Schweſter zu verheiraten, welche er direkt aus dem Freudenhaus heraus zu ſeiner Gattin machte. Bei einem ſolchen Sittenbilde iſt man verſucht, an das zu denken, was uns der Apoſtel Paulus aus der jungen Chriſtengemeinde zu Korinth offenbart (1. Kor. 5, 1). Eine böſe Erfahrung hat unſere eigene Miſſion mit einem ihrer Glieder gemacht. Der junge Mann hatte die deutſche Vereinsſchule beſucht, war aber mangelnder Mittel wegen zum Austritt genötigt. Es gelang einem unſerer Miſſionare, ihn in einem deutſchen Hauſe unter- zubringen. Aber nach einiger Zeit erſchien der deutſche Herr und machte die peinliche Mitteilung, daß ſich bei Geldern, die er ihm anvertraut hatte, Unregelmäßig- keiten herausgeſtellt hätten, die ihn nötigten, ihn zu ent- laſſen. Ein Jahr ſpäter fand er in einem deutſchen Geſchäft in Yokohama Stellung. Anfangs ging alles gut, ich hörte nur Lobenswertes über ihn. Bald rückte er in eine Vertrauensſtellung ein. Aber als ich mich eines Tages wieder nach ihm erkundigte, ward mir der betrübende Beſcheid: „Entlaſſen wegen Unterſchlagung“. Zum zweitenmal war er zum Dieb geworden. Der raffinierteſte Lügner, welchen kennen zu lernen mir nicht erſpart blieb, war ein gewiſſer J., der richtige Typus eines vollendeten Heuchlers. Man hatte ihm bei

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Zitationshilfe: Munzinger, Carl: Die Japaner. Berlin, 1898, S. 349. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/munzinger_japaner_1898/363>, abgerufen am 22.11.2024.