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Munzinger, Carl: Die Japaner. Berlin, 1898.

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Politik herabgewürdigt werde. Gewiß ist doch -- mag
es auch in den geschichtlichen Verhältnissen einigermaßen
eine Erklärung finden --, daß die Bekehrung der alten
Welt in anderer Weise vor sich gegangen ist, nämlich
in völliger Indifferenz gegenüber dem Gemeinschafts-
körper der Nation, und daß auch die sonstigen modernen
Missionen mit ihren Hauptfeldern in Indien, China
und Afrika von diesem eigentümlichen Wesen wenig
wissen.

Das Christentum darf nicht einfach an die Stelle
des Konfuzianismus treten, um gleich diesem zum
Träger der alten ethischen Gemeinschaftskörper Japans
zu werden. Die Bekehrten müssen wissen, daß das
Christentum nur mittelbar für das Volksganze, unmittel-
bar aber für die einzelnen bestimmt ist. Sie müssen
lernen, daß nicht nur die Gemeinschaft eine Existenz-
berechtigung hat, sondern daß jede Einzelseele einen
unendlichen Wert in sich selbst besitzt. Das individuell
Erbauliche, worin zu allen Zeiten eine hervorragende
Kraft der Lehre Christi lag, muß gerade in Japan
energisch betont werden. Hier ist der persönlichen Seel-
sorge ein weites Feld geboten. Sie muß das noch
unentwickelte Gemüt vertiefen und das Christentum aus
einem Faktor der Gesellschaftsordnung zu einer Sache
der persönlichen Erfahrung machen. Sehr zu begrüßen
ist die stetig gesteigerte Zahl weiblicher Christen. Dem
Manne ist die Welt das Herz; für das Große und
Ganze, für die Allgemeinheit zu arbeiten ist sein Ziel.
Der Frau aber ist das Herz die Welt; die Frau, die
zu Christus kommt, sucht etwas für Herz und Gemüt.
Schon jetzt ist der veredelnde Einfluß der Frau auf
das japanische Christentum unverkennbar. Der Zug
vom Sozialen zum Individuellen, von der Gemeinschaft

Politik herabgewürdigt werde. Gewiß iſt doch — mag
es auch in den geſchichtlichen Verhältniſſen einigermaßen
eine Erklärung finden —, daß die Bekehrung der alten
Welt in anderer Weiſe vor ſich gegangen iſt, nämlich
in völliger Indifferenz gegenüber dem Gemeinſchafts-
körper der Nation, und daß auch die ſonſtigen modernen
Miſſionen mit ihren Hauptfeldern in Indien, China
und Afrika von dieſem eigentümlichen Weſen wenig
wiſſen.

Das Chriſtentum darf nicht einfach an die Stelle
des Konfuzianismus treten, um gleich dieſem zum
Träger der alten ethiſchen Gemeinſchaftskörper Japans
zu werden. Die Bekehrten müſſen wiſſen, daß das
Chriſtentum nur mittelbar für das Volksganze, unmittel-
bar aber für die einzelnen beſtimmt iſt. Sie müſſen
lernen, daß nicht nur die Gemeinſchaft eine Exiſtenz-
berechtigung hat, ſondern daß jede Einzelſeele einen
unendlichen Wert in ſich ſelbſt beſitzt. Das individuell
Erbauliche, worin zu allen Zeiten eine hervorragende
Kraft der Lehre Chriſti lag, muß gerade in Japan
energiſch betont werden. Hier iſt der perſönlichen Seel-
ſorge ein weites Feld geboten. Sie muß das noch
unentwickelte Gemüt vertiefen und das Chriſtentum aus
einem Faktor der Geſellſchaftsordnung zu einer Sache
der perſönlichen Erfahrung machen. Sehr zu begrüßen
iſt die ſtetig geſteigerte Zahl weiblicher Chriſten. Dem
Manne iſt die Welt das Herz; für das Große und
Ganze, für die Allgemeinheit zu arbeiten iſt ſein Ziel.
Der Frau aber iſt das Herz die Welt; die Frau, die
zu Chriſtus kommt, ſucht etwas für Herz und Gemüt.
Schon jetzt iſt der veredelnde Einfluß der Frau auf
das japaniſche Chriſtentum unverkennbar. Der Zug
vom Sozialen zum Individuellen, von der Gemeinſchaft

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[358/0372] Politik herabgewürdigt werde. Gewiß iſt doch — mag es auch in den geſchichtlichen Verhältniſſen einigermaßen eine Erklärung finden —, daß die Bekehrung der alten Welt in anderer Weiſe vor ſich gegangen iſt, nämlich in völliger Indifferenz gegenüber dem Gemeinſchafts- körper der Nation, und daß auch die ſonſtigen modernen Miſſionen mit ihren Hauptfeldern in Indien, China und Afrika von dieſem eigentümlichen Weſen wenig wiſſen. Das Chriſtentum darf nicht einfach an die Stelle des Konfuzianismus treten, um gleich dieſem zum Träger der alten ethiſchen Gemeinſchaftskörper Japans zu werden. Die Bekehrten müſſen wiſſen, daß das Chriſtentum nur mittelbar für das Volksganze, unmittel- bar aber für die einzelnen beſtimmt iſt. Sie müſſen lernen, daß nicht nur die Gemeinſchaft eine Exiſtenz- berechtigung hat, ſondern daß jede Einzelſeele einen unendlichen Wert in ſich ſelbſt beſitzt. Das individuell Erbauliche, worin zu allen Zeiten eine hervorragende Kraft der Lehre Chriſti lag, muß gerade in Japan energiſch betont werden. Hier iſt der perſönlichen Seel- ſorge ein weites Feld geboten. Sie muß das noch unentwickelte Gemüt vertiefen und das Chriſtentum aus einem Faktor der Geſellſchaftsordnung zu einer Sache der perſönlichen Erfahrung machen. Sehr zu begrüßen iſt die ſtetig geſteigerte Zahl weiblicher Chriſten. Dem Manne iſt die Welt das Herz; für das Große und Ganze, für die Allgemeinheit zu arbeiten iſt ſein Ziel. Der Frau aber iſt das Herz die Welt; die Frau, die zu Chriſtus kommt, ſucht etwas für Herz und Gemüt. Schon jetzt iſt der veredelnde Einfluß der Frau auf das japaniſche Chriſtentum unverkennbar. Der Zug vom Sozialen zum Individuellen, von der Gemeinſchaft

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Zitationshilfe: Munzinger, Carl: Die Japaner. Berlin, 1898, S. 358. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/munzinger_japaner_1898/372>, abgerufen am 22.11.2024.