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Munzinger, Carl: Die Japaner. Berlin, 1898.

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Zweck des Japanerseins. Es ist keine vollgenügende
Erklärung zu sagen, daß Nishima von einem glühenden
Patriotismus beseelt gewesen sei; vielmehr ist der alte
Samurai nie in ihm erstorben, und in seiner einseitigen
Wertschätzung der Volksgemeinschaft ist er auch als
Christ noch Konfuzianist geblieben. In dieser Befangen-
heit hat er der Doshisha von vornherein den Kurs ge-
wiesen, der sie schließlich zu einem unrühmlichen Ziel
führen sollte. Auch die an sich hocherfreuliche Thatsache,
daß der erste Präsident des Parlaments ein Christ
war, und daß bis zum heutigen Tag durchschnittlich
etwa acht Christen im japanischen Unterhaus sitzen, ist
dem tiefer Schauenden ein Beweis dafür, daß das
Christentum stark politisch durchsäuert ist. In Deutsch-
land ist man geneigt, den Geistlichen die öffent-
liche Teilnahme an der innern Politik zu unter-
sagen. Wie würde ein zufällig an Japans Gestade
verschlagener preußischer Konsistorialrat sich wundern,
wenn er von so mancher Kanzel herab nicht bloß die
Namen der radikalen, freisinnigen und konservativen
Parteien hörte, sondern dazu noch ein buntes Durch-
einander von "China, Amerika, Franz', Doits', Inglish,
Russia etc.".
Er würde nicht mit Unrecht vermuten,
daß diese Predigten stark politisch durchsäuert sind. Es
ist sehr zu begrüßen, daß der Unfug politischer Predigten,
welcher um das Jahr 1890 auf seiner Höhe war, heute
doch immerhin bedeutend abgenommen hat. Man ist
gewohnt, das Vorhandensein japanischer christlicher
Staatsmänner dahin auszulegen, daß das Christentum
eine Macht im Volksleben bildet. Das ist ganz richtig.
Es läßt sich aber mit einem gewissen Recht dagegen
behaupten, daß in Japan das Christentum in manchen
seiner Glieder zu einer Magd, zu einem Appendix der

Zweck des Japanerſeins. Es iſt keine vollgenügende
Erklärung zu ſagen, daß Niſhima von einem glühenden
Patriotismus beſeelt geweſen ſei; vielmehr iſt der alte
Samurai nie in ihm erſtorben, und in ſeiner einſeitigen
Wertſchätzung der Volksgemeinſchaft iſt er auch als
Chriſt noch Konfuzianiſt geblieben. In dieſer Befangen-
heit hat er der Doſhiſha von vornherein den Kurs ge-
wieſen, der ſie ſchließlich zu einem unrühmlichen Ziel
führen ſollte. Auch die an ſich hocherfreuliche Thatſache,
daß der erſte Präſident des Parlaments ein Chriſt
war, und daß bis zum heutigen Tag durchſchnittlich
etwa acht Chriſten im japaniſchen Unterhaus ſitzen, iſt
dem tiefer Schauenden ein Beweis dafür, daß das
Chriſtentum ſtark politiſch durchſäuert iſt. In Deutſch-
land iſt man geneigt, den Geiſtlichen die öffent-
liche Teilnahme an der innern Politik zu unter-
ſagen. Wie würde ein zufällig an Japans Geſtade
verſchlagener preußiſcher Konſiſtorialrat ſich wundern,
wenn er von ſo mancher Kanzel herab nicht bloß die
Namen der radikalen, freiſinnigen und konſervativen
Parteien hörte, ſondern dazu noch ein buntes Durch-
einander von „China, Amerika, Franz’, Doits’, Inglish,
Russia etc.“.
Er würde nicht mit Unrecht vermuten,
daß dieſe Predigten ſtark politiſch durchſäuert ſind. Es
iſt ſehr zu begrüßen, daß der Unfug politiſcher Predigten,
welcher um das Jahr 1890 auf ſeiner Höhe war, heute
doch immerhin bedeutend abgenommen hat. Man iſt
gewohnt, das Vorhandenſein japaniſcher chriſtlicher
Staatsmänner dahin auszulegen, daß das Chriſtentum
eine Macht im Volksleben bildet. Das iſt ganz richtig.
Es läßt ſich aber mit einem gewiſſen Recht dagegen
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[357/0371] Zweck des Japanerſeins. Es iſt keine vollgenügende Erklärung zu ſagen, daß Niſhima von einem glühenden Patriotismus beſeelt geweſen ſei; vielmehr iſt der alte Samurai nie in ihm erſtorben, und in ſeiner einſeitigen Wertſchätzung der Volksgemeinſchaft iſt er auch als Chriſt noch Konfuzianiſt geblieben. In dieſer Befangen- heit hat er der Doſhiſha von vornherein den Kurs ge- wieſen, der ſie ſchließlich zu einem unrühmlichen Ziel führen ſollte. Auch die an ſich hocherfreuliche Thatſache, daß der erſte Präſident des Parlaments ein Chriſt war, und daß bis zum heutigen Tag durchſchnittlich etwa acht Chriſten im japaniſchen Unterhaus ſitzen, iſt dem tiefer Schauenden ein Beweis dafür, daß das Chriſtentum ſtark politiſch durchſäuert iſt. In Deutſch- land iſt man geneigt, den Geiſtlichen die öffent- liche Teilnahme an der innern Politik zu unter- ſagen. Wie würde ein zufällig an Japans Geſtade verſchlagener preußiſcher Konſiſtorialrat ſich wundern, wenn er von ſo mancher Kanzel herab nicht bloß die Namen der radikalen, freiſinnigen und konſervativen Parteien hörte, ſondern dazu noch ein buntes Durch- einander von „China, Amerika, Franz’, Doits’, Inglish, Russia etc.“. Er würde nicht mit Unrecht vermuten, daß dieſe Predigten ſtark politiſch durchſäuert ſind. Es iſt ſehr zu begrüßen, daß der Unfug politiſcher Predigten, welcher um das Jahr 1890 auf ſeiner Höhe war, heute doch immerhin bedeutend abgenommen hat. Man iſt gewohnt, das Vorhandenſein japaniſcher chriſtlicher Staatsmänner dahin auszulegen, daß das Chriſtentum eine Macht im Volksleben bildet. Das iſt ganz richtig. Es läßt ſich aber mit einem gewiſſen Recht dagegen behaupten, daß in Japan das Chriſtentum in manchen ſeiner Glieder zu einer Magd, zu einem Appendix der

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Zitationshilfe: Munzinger, Carl: Die Japaner. Berlin, 1898, S. 357. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/munzinger_japaner_1898/371>, abgerufen am 22.11.2024.