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Munzinger, Carl: Die Japaner. Berlin, 1898.

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charakterlose Konzession an die chauvinistischen Schrei-
hälse. Dagegen ist es durchaus begreiflich, daß es sich
eine Christengemeinde nicht nachsagen lassen kann, daß
sie Verbrecher und Schurken unter sich duldet. Reu-
mütige Sünder können nach allgemeiner Übung später
wieder aufgenommen werden. Auch wird nicht immer
die schärfste Form der Exkommunikation gewählt. In
einem Ehescheidungsfall eines sonst vortrefflichen Mit-
glieds unserer Gemeinde, welches sich nicht ohne gute
Gründe zu seinem Vorgehen veranlaßt sah, glaubten
wir im Sinne christlicher Ethik zu handeln, wenn wir
ihm den freiwilligen Austritt nahe legten. Die Aus-
stoßung
hat immer etwas Schimpfliches und Entehrendes,
und diesen Charakter muß sie behalten, wenn anders
sie wirksam bleiben soll.

Die Ausstoßung ist ein zweischneidiges Schwert,
welches nicht allein den verwundet, gegen den es ge-
richtet ist, sondern auch den, der es führt. Denn auch
auf den Missionar wirft es kein günstiges Licht, wenn
er zu oft in die Lage kommt, zu diesem Gewaltmittel
zu greifen. Für einen guten Missionar gilt dasselbe
wie für einen guten Arzt: Er muß versuchen, der
Krankheit vorzubeugen und dem Äußersten durch weise
Präventivmaßregeln zuvorzukommen. Er muß also den
Bekehrten von vornherein in eine sorgfältige Behand-
lung nehmen.

Der junge Christ kann ohne dieselbe gar nicht be-
stehen. Denn durch die Taufe ist er doch noch nicht
auf eigene Füße gestellt. Weit entfernt! Die Taufe
ist die Geburt eines neuen Menschen, Neugeborene aber
sind keine selbständigen Männer, wenn auch auf geistigem
Gebiet hier und da eine Ausnahme zuzugeben ist. Im
allgemeinen ist der junge Täufling wie ein kleines,

charakterloſe Konzeſſion an die chauviniſtiſchen Schrei-
hälſe. Dagegen iſt es durchaus begreiflich, daß es ſich
eine Chriſtengemeinde nicht nachſagen laſſen kann, daß
ſie Verbrecher und Schurken unter ſich duldet. Reu-
mütige Sünder können nach allgemeiner Übung ſpäter
wieder aufgenommen werden. Auch wird nicht immer
die ſchärfſte Form der Exkommunikation gewählt. In
einem Eheſcheidungsfall eines ſonſt vortrefflichen Mit-
glieds unſerer Gemeinde, welches ſich nicht ohne gute
Gründe zu ſeinem Vorgehen veranlaßt ſah, glaubten
wir im Sinne chriſtlicher Ethik zu handeln, wenn wir
ihm den freiwilligen Austritt nahe legten. Die Aus-
ſtoßung
hat immer etwas Schimpfliches und Entehrendes,
und dieſen Charakter muß ſie behalten, wenn anders
ſie wirkſam bleiben ſoll.

Die Ausſtoßung iſt ein zweiſchneidiges Schwert,
welches nicht allein den verwundet, gegen den es ge-
richtet iſt, ſondern auch den, der es führt. Denn auch
auf den Miſſionar wirft es kein günſtiges Licht, wenn
er zu oft in die Lage kommt, zu dieſem Gewaltmittel
zu greifen. Für einen guten Miſſionar gilt dasſelbe
wie für einen guten Arzt: Er muß verſuchen, der
Krankheit vorzubeugen und dem Äußerſten durch weiſe
Präventivmaßregeln zuvorzukommen. Er muß alſo den
Bekehrten von vornherein in eine ſorgfältige Behand-
lung nehmen.

Der junge Chriſt kann ohne dieſelbe gar nicht be-
ſtehen. Denn durch die Taufe iſt er doch noch nicht
auf eigene Füße geſtellt. Weit entfernt! Die Taufe
iſt die Geburt eines neuen Menſchen, Neugeborene aber
ſind keine ſelbſtändigen Männer, wenn auch auf geiſtigem
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[361/0375] charakterloſe Konzeſſion an die chauviniſtiſchen Schrei- hälſe. Dagegen iſt es durchaus begreiflich, daß es ſich eine Chriſtengemeinde nicht nachſagen laſſen kann, daß ſie Verbrecher und Schurken unter ſich duldet. Reu- mütige Sünder können nach allgemeiner Übung ſpäter wieder aufgenommen werden. Auch wird nicht immer die ſchärfſte Form der Exkommunikation gewählt. In einem Eheſcheidungsfall eines ſonſt vortrefflichen Mit- glieds unſerer Gemeinde, welches ſich nicht ohne gute Gründe zu ſeinem Vorgehen veranlaßt ſah, glaubten wir im Sinne chriſtlicher Ethik zu handeln, wenn wir ihm den freiwilligen Austritt nahe legten. Die Aus- ſtoßung hat immer etwas Schimpfliches und Entehrendes, und dieſen Charakter muß ſie behalten, wenn anders ſie wirkſam bleiben ſoll. Die Ausſtoßung iſt ein zweiſchneidiges Schwert, welches nicht allein den verwundet, gegen den es ge- richtet iſt, ſondern auch den, der es führt. Denn auch auf den Miſſionar wirft es kein günſtiges Licht, wenn er zu oft in die Lage kommt, zu dieſem Gewaltmittel zu greifen. Für einen guten Miſſionar gilt dasſelbe wie für einen guten Arzt: Er muß verſuchen, der Krankheit vorzubeugen und dem Äußerſten durch weiſe Präventivmaßregeln zuvorzukommen. Er muß alſo den Bekehrten von vornherein in eine ſorgfältige Behand- lung nehmen. Der junge Chriſt kann ohne dieſelbe gar nicht be- ſtehen. Denn durch die Taufe iſt er doch noch nicht auf eigene Füße geſtellt. Weit entfernt! Die Taufe iſt die Geburt eines neuen Menſchen, Neugeborene aber ſind keine ſelbſtändigen Männer, wenn auch auf geiſtigem Gebiet hier und da eine Ausnahme zuzugeben iſt. Im allgemeinen iſt der junge Täufling wie ein kleines,

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Zitationshilfe: Munzinger, Carl: Die Japaner. Berlin, 1898, S. 361. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/munzinger_japaner_1898/375>, abgerufen am 22.11.2024.