Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Munzinger, Carl: Die Japaner. Berlin, 1898.

Bild:
<< vorherige Seite

rikaner auch der Fall ist, in fremder Sprache. Es hat das
seinen guten Grund. Die japanische Sprache ist gegen-
wärtig noch unfähig, den ganzen Inhalt unserer modernen
Kultur zu fassen. Man kann der Wissenschaft nicht eben-
sogut durch die japanische als durch die deutsche Sprache
Ausdruck geben, und in der Theologie, wo es sich um
den scharfen logischen und tiefen mystischen Ausdruck
einer rein geistigen Gedankenwelt handelt, versagt das
Japanische oft geradezu.

Dem japanischen Geistlichen wird die Gemeinde
unterstellt. Er verwaltet sie mit Hilfe eines Pres-
byteriums. Bei allen wichtigen Angelegenheiten aber
wird eine Gemeindeversammlung berufen. Fast alle
japanischen Christengemeinden, auch diejenigen, welche
sich nicht selbst unterhalten, sind in ihrer Verwaltung
selbständig. Der Missionar ist offiziell unbeteiligt,
nachdem die Erfahrung erwiesen hat, daß Leute wie
die Japaner es ungern ertragen, wenn der Fremde
eine maßgebende Macht über sie ausübt. Die ganze
Kunst für den Missionar besteht daher darin, daß er
sich nicht vordrängt, sondern im Hintergrunde stehend
die Fäden in der Hand behält und die Gemeinde so
leitet, daß sie in dem Glauben bleibt, sie leite sich
selbst. Er ist der Berater, nicht der Herr der Gemeinde,
und wenn er sein Amt mit Takt ausübt, so kann er
sehr segensreich wirken. Er darf sich aber unter keinen
Umständen ganz von der noch unmündigen Gemeinde
zurückziehen. Die Kongregationalisten haben mit ihrem
Prinzip der absoluten Selbständigmachung der Gemein-
den schlechte Erfahrungen gemacht, so daß die Pres-
byterianer unter der Reaktion dieser Erfahrungen neuer-
dings beschlossen, keiner Gemeinde irgendwelche Selb-
ständigkeit zu gewähren, so lange sie sich nicht selbst

rikaner auch der Fall iſt, in fremder Sprache. Es hat das
ſeinen guten Grund. Die japaniſche Sprache iſt gegen-
wärtig noch unfähig, den ganzen Inhalt unſerer modernen
Kultur zu faſſen. Man kann der Wiſſenſchaft nicht eben-
ſogut durch die japaniſche als durch die deutſche Sprache
Ausdruck geben, und in der Theologie, wo es ſich um
den ſcharfen logiſchen und tiefen myſtiſchen Ausdruck
einer rein geiſtigen Gedankenwelt handelt, verſagt das
Japaniſche oft geradezu.

Dem japaniſchen Geiſtlichen wird die Gemeinde
unterſtellt. Er verwaltet ſie mit Hilfe eines Pres-
byteriums. Bei allen wichtigen Angelegenheiten aber
wird eine Gemeindeverſammlung berufen. Faſt alle
japaniſchen Chriſtengemeinden, auch diejenigen, welche
ſich nicht ſelbſt unterhalten, ſind in ihrer Verwaltung
ſelbſtändig. Der Miſſionar iſt offiziell unbeteiligt,
nachdem die Erfahrung erwieſen hat, daß Leute wie
die Japaner es ungern ertragen, wenn der Fremde
eine maßgebende Macht über ſie ausübt. Die ganze
Kunſt für den Miſſionar beſteht daher darin, daß er
ſich nicht vordrängt, ſondern im Hintergrunde ſtehend
die Fäden in der Hand behält und die Gemeinde ſo
leitet, daß ſie in dem Glauben bleibt, ſie leite ſich
ſelbſt. Er iſt der Berater, nicht der Herr der Gemeinde,
und wenn er ſein Amt mit Takt ausübt, ſo kann er
ſehr ſegensreich wirken. Er darf ſich aber unter keinen
Umſtänden ganz von der noch unmündigen Gemeinde
zurückziehen. Die Kongregationaliſten haben mit ihrem
Prinzip der abſoluten Selbſtändigmachung der Gemein-
den ſchlechte Erfahrungen gemacht, ſo daß die Pres-
byterianer unter der Reaktion dieſer Erfahrungen neuer-
dings beſchloſſen, keiner Gemeinde irgendwelche Selb-
ſtändigkeit zu gewähren, ſo lange ſie ſich nicht ſelbſt

<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <p><pb facs="#f0390" n="376"/>
rikaner auch der Fall i&#x017F;t, in fremder Sprache. Es hat das<lb/>
&#x017F;einen guten Grund. Die japani&#x017F;che Sprache i&#x017F;t gegen-<lb/>
wärtig noch unfähig, den ganzen Inhalt un&#x017F;erer modernen<lb/>
Kultur zu fa&#x017F;&#x017F;en. Man kann der Wi&#x017F;&#x017F;en&#x017F;chaft nicht eben-<lb/>
&#x017F;ogut durch die japani&#x017F;che als durch die deut&#x017F;che Sprache<lb/>
Ausdruck geben, und in der Theologie, wo es &#x017F;ich um<lb/>
den &#x017F;charfen logi&#x017F;chen und tiefen my&#x017F;ti&#x017F;chen Ausdruck<lb/>
einer rein gei&#x017F;tigen Gedankenwelt handelt, ver&#x017F;agt das<lb/>
Japani&#x017F;che oft geradezu.</p><lb/>
        <p>Dem japani&#x017F;chen Gei&#x017F;tlichen wird die Gemeinde<lb/>
unter&#x017F;tellt. Er verwaltet &#x017F;ie mit Hilfe eines Pres-<lb/>
byteriums. Bei allen wichtigen Angelegenheiten aber<lb/>
wird eine Gemeindever&#x017F;ammlung berufen. Fa&#x017F;t alle<lb/>
japani&#x017F;chen Chri&#x017F;tengemeinden, auch diejenigen, welche<lb/>
&#x017F;ich nicht &#x017F;elb&#x017F;t unterhalten, &#x017F;ind in ihrer Verwaltung<lb/>
&#x017F;elb&#x017F;tändig. Der Mi&#x017F;&#x017F;ionar i&#x017F;t offiziell unbeteiligt,<lb/>
nachdem die Erfahrung erwie&#x017F;en hat, daß Leute wie<lb/>
die Japaner es ungern ertragen, wenn der Fremde<lb/>
eine maßgebende Macht über &#x017F;ie ausübt. Die ganze<lb/>
Kun&#x017F;t für den Mi&#x017F;&#x017F;ionar be&#x017F;teht daher darin, daß er<lb/>
&#x017F;ich nicht vordrängt, &#x017F;ondern im Hintergrunde &#x017F;tehend<lb/>
die Fäden in der Hand behält und die Gemeinde &#x017F;o<lb/>
leitet, daß &#x017F;ie in dem Glauben bleibt, &#x017F;ie leite &#x017F;ich<lb/>
&#x017F;elb&#x017F;t. Er i&#x017F;t der Berater, nicht der Herr der Gemeinde,<lb/>
und wenn er &#x017F;ein Amt mit Takt ausübt, &#x017F;o kann er<lb/>
&#x017F;ehr &#x017F;egensreich wirken. Er darf &#x017F;ich aber unter keinen<lb/>
Um&#x017F;tänden ganz von der noch unmündigen Gemeinde<lb/>
zurückziehen. Die Kongregationali&#x017F;ten haben mit ihrem<lb/>
Prinzip der ab&#x017F;oluten Selb&#x017F;tändigmachung der Gemein-<lb/>
den &#x017F;chlechte Erfahrungen gemacht, &#x017F;o daß die Pres-<lb/>
byterianer unter der Reaktion die&#x017F;er Erfahrungen neuer-<lb/>
dings be&#x017F;chlo&#x017F;&#x017F;en, keiner Gemeinde irgendwelche Selb-<lb/>
&#x017F;tändigkeit zu gewähren, &#x017F;o lange &#x017F;ie &#x017F;ich nicht &#x017F;elb&#x017F;t<lb/></p>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[376/0390] rikaner auch der Fall iſt, in fremder Sprache. Es hat das ſeinen guten Grund. Die japaniſche Sprache iſt gegen- wärtig noch unfähig, den ganzen Inhalt unſerer modernen Kultur zu faſſen. Man kann der Wiſſenſchaft nicht eben- ſogut durch die japaniſche als durch die deutſche Sprache Ausdruck geben, und in der Theologie, wo es ſich um den ſcharfen logiſchen und tiefen myſtiſchen Ausdruck einer rein geiſtigen Gedankenwelt handelt, verſagt das Japaniſche oft geradezu. Dem japaniſchen Geiſtlichen wird die Gemeinde unterſtellt. Er verwaltet ſie mit Hilfe eines Pres- byteriums. Bei allen wichtigen Angelegenheiten aber wird eine Gemeindeverſammlung berufen. Faſt alle japaniſchen Chriſtengemeinden, auch diejenigen, welche ſich nicht ſelbſt unterhalten, ſind in ihrer Verwaltung ſelbſtändig. Der Miſſionar iſt offiziell unbeteiligt, nachdem die Erfahrung erwieſen hat, daß Leute wie die Japaner es ungern ertragen, wenn der Fremde eine maßgebende Macht über ſie ausübt. Die ganze Kunſt für den Miſſionar beſteht daher darin, daß er ſich nicht vordrängt, ſondern im Hintergrunde ſtehend die Fäden in der Hand behält und die Gemeinde ſo leitet, daß ſie in dem Glauben bleibt, ſie leite ſich ſelbſt. Er iſt der Berater, nicht der Herr der Gemeinde, und wenn er ſein Amt mit Takt ausübt, ſo kann er ſehr ſegensreich wirken. Er darf ſich aber unter keinen Umſtänden ganz von der noch unmündigen Gemeinde zurückziehen. Die Kongregationaliſten haben mit ihrem Prinzip der abſoluten Selbſtändigmachung der Gemein- den ſchlechte Erfahrungen gemacht, ſo daß die Pres- byterianer unter der Reaktion dieſer Erfahrungen neuer- dings beſchloſſen, keiner Gemeinde irgendwelche Selb- ſtändigkeit zu gewähren, ſo lange ſie ſich nicht ſelbſt

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/munzinger_japaner_1898
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/munzinger_japaner_1898/390
Zitationshilfe: Munzinger, Carl: Die Japaner. Berlin, 1898, S. 376. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/munzinger_japaner_1898/390>, abgerufen am 22.11.2024.