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Munzinger, Carl: Die Japaner. Berlin, 1898.

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wände gegen die Zersplitterung der Mission fallen also
bis zu einem hohen Grade weg.

Aber ein anderes ist nicht zu leugnen, nämlich
daß es die japanischen Christen selbst sind, welche ver-
möge ihrer eigentümlichen geistigen Veranlagung zur
Unbeständigkeit und Neuerungssucht die Vielheit der
Missionen sich zum Fallstrick machen. Den Unzufriedenen
und Eigennützigen, den Neugierigen und Unruhigen,
den Halben und Unentschiedenen bieten sich hier treff-
liche Gelegenheiten. In der Regel nimmt man den
Übertritt sehr leicht. Kein Vergleich mit einem kon-
fessionellen Übertritt in unserem Lande! Da ist keine
allmähliche Entwicklung von einer Anschauung zur
anderen, sondern vielmehr ein impulsives plötzliches Hin-
überspringen. Solche Überläufer sind aber selten zu-
verlässig und richten in der Zeit, wo sie in einer Ge-
meinde weilen, oft mehr Schaden als Nutzen an. Hier
bedarf es der größten Vorsicht von seiten des Pastors.
Ob diese stets in genügendem Maße vorhanden ist,
muß bezweifelt werden. In einer Zeit, wo der Zu-
wachs zu einer Gemeinde so gering ist wie in Japan
seit Jahren, ist in der Regel jedes neue Glied will-
kommen. So kommt es zuweilen auf Proselytenmacherei
hinaus, welche in diesem Zusammenhange aus dem
japanischen Christentum der Gegenwart nicht hinweg-
geleugnet werden kann, eine Proselytenmacherei, welche
befördert wird durch den Wunsch der Heimatgemeinde,
Zahlen zu sehen, und durch das Bestreben, hinter
anderen Missionen nicht zurückzubleiben. Es liegt in
der Natur der Sache, daß die kleinen Missionen, welche
ohnedies nur einen geringen ziffermäßigen Besitzstand
aufzuweisen haben, von diesen Gefahren weit mehr
heimgesucht werden als die großen Kirchen, denen es
auf ein paar Mitglieder mehr oder weniger nicht an-

wände gegen die Zerſplitterung der Miſſion fallen alſo
bis zu einem hohen Grade weg.

Aber ein anderes iſt nicht zu leugnen, nämlich
daß es die japaniſchen Chriſten ſelbſt ſind, welche ver-
möge ihrer eigentümlichen geiſtigen Veranlagung zur
Unbeſtändigkeit und Neuerungsſucht die Vielheit der
Miſſionen ſich zum Fallſtrick machen. Den Unzufriedenen
und Eigennützigen, den Neugierigen und Unruhigen,
den Halben und Unentſchiedenen bieten ſich hier treff-
liche Gelegenheiten. In der Regel nimmt man den
Übertritt ſehr leicht. Kein Vergleich mit einem kon-
feſſionellen Übertritt in unſerem Lande! Da iſt keine
allmähliche Entwicklung von einer Anſchauung zur
anderen, ſondern vielmehr ein impulſives plötzliches Hin-
überſpringen. Solche Überläufer ſind aber ſelten zu-
verläſſig und richten in der Zeit, wo ſie in einer Ge-
meinde weilen, oft mehr Schaden als Nutzen an. Hier
bedarf es der größten Vorſicht von ſeiten des Paſtors.
Ob dieſe ſtets in genügendem Maße vorhanden iſt,
muß bezweifelt werden. In einer Zeit, wo der Zu-
wachs zu einer Gemeinde ſo gering iſt wie in Japan
ſeit Jahren, iſt in der Regel jedes neue Glied will-
kommen. So kommt es zuweilen auf Proſelytenmacherei
hinaus, welche in dieſem Zuſammenhange aus dem
japaniſchen Chriſtentum der Gegenwart nicht hinweg-
geleugnet werden kann, eine Proſelytenmacherei, welche
befördert wird durch den Wunſch der Heimatgemeinde,
Zahlen zu ſehen, und durch das Beſtreben, hinter
anderen Miſſionen nicht zurückzubleiben. Es liegt in
der Natur der Sache, daß die kleinen Miſſionen, welche
ohnedies nur einen geringen ziffermäßigen Beſitzſtand
aufzuweiſen haben, von dieſen Gefahren weit mehr
heimgeſucht werden als die großen Kirchen, denen es
auf ein paar Mitglieder mehr oder weniger nicht an-

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[378/0392] wände gegen die Zerſplitterung der Miſſion fallen alſo bis zu einem hohen Grade weg. Aber ein anderes iſt nicht zu leugnen, nämlich daß es die japaniſchen Chriſten ſelbſt ſind, welche ver- möge ihrer eigentümlichen geiſtigen Veranlagung zur Unbeſtändigkeit und Neuerungsſucht die Vielheit der Miſſionen ſich zum Fallſtrick machen. Den Unzufriedenen und Eigennützigen, den Neugierigen und Unruhigen, den Halben und Unentſchiedenen bieten ſich hier treff- liche Gelegenheiten. In der Regel nimmt man den Übertritt ſehr leicht. Kein Vergleich mit einem kon- feſſionellen Übertritt in unſerem Lande! Da iſt keine allmähliche Entwicklung von einer Anſchauung zur anderen, ſondern vielmehr ein impulſives plötzliches Hin- überſpringen. Solche Überläufer ſind aber ſelten zu- verläſſig und richten in der Zeit, wo ſie in einer Ge- meinde weilen, oft mehr Schaden als Nutzen an. Hier bedarf es der größten Vorſicht von ſeiten des Paſtors. Ob dieſe ſtets in genügendem Maße vorhanden iſt, muß bezweifelt werden. In einer Zeit, wo der Zu- wachs zu einer Gemeinde ſo gering iſt wie in Japan ſeit Jahren, iſt in der Regel jedes neue Glied will- kommen. So kommt es zuweilen auf Proſelytenmacherei hinaus, welche in dieſem Zuſammenhange aus dem japaniſchen Chriſtentum der Gegenwart nicht hinweg- geleugnet werden kann, eine Proſelytenmacherei, welche befördert wird durch den Wunſch der Heimatgemeinde, Zahlen zu ſehen, und durch das Beſtreben, hinter anderen Miſſionen nicht zurückzubleiben. Es liegt in der Natur der Sache, daß die kleinen Miſſionen, welche ohnedies nur einen geringen ziffermäßigen Beſitzſtand aufzuweiſen haben, von dieſen Gefahren weit mehr heimgeſucht werden als die großen Kirchen, denen es auf ein paar Mitglieder mehr oder weniger nicht an-

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Zitationshilfe: Munzinger, Carl: Die Japaner. Berlin, 1898, S. 378. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/munzinger_japaner_1898/392>, abgerufen am 22.11.2024.