Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Munzinger, Carl: Die Japaner. Berlin, 1898.

Bild:
<< vorherige Seite

tum sehen. Gewiß ist, daß die Gefahr der Religions-
mengerei gar nicht ernst genug genommen werden kann,
und daß nicht zum wenigsten sie es ist, "welche den
Einfluß fremder Missionare noch auf lange hinaus
unentbehrlich macht." Wenn im Brama Somadsch in
Indien von seiten des Heidentums eine Vermengung
mit dem Christentum erstrebt wurde, so war das immer-
hin ein Anlauf vom Schlechteren zum Besseren, und
darum mochte diese Bewegung wohl als eine hoffnungs-
volle Erscheinung betrachtet werden. Hier aber ist es
eine rückläufige Bewegung, welche nur Anlaß zu Be-
fürchtungen geben kann. Schon einmal hat die Reli-
gionsmengerei in Japan eine Rolle gespielt. Das war
damals, als vor tausend Jahren der Buddhismus die
Götter des Shinto in sich aufnahm. Für das Christen-
tum aber wäre eine Volksbekehrung um solchen Preis
zu teuer erkauft; denn das würde nichts anderes be-
deuten als seine völlige Entwertung. Die japanischen
Christen mögen es nicht verschmähen, sich ein Wort zu
merken, welches auch ihnen eine gute Lehre geben kann,
ob es gleich im Original in ganz anderem Zusammen-
hange gesagt war: "Sint, ut sunt, aut non sint!"

Das Christentum ist sich selbst genug, es ist die
Erfüllung alles Unvollkommenen, und niemand soll sich
vermessen, es noch vollkommener machen zu können.
Aber auch verkürzen soll man es nicht, und doch besteht
diese Gefahr in Japan in nicht geringerem Maße. Es
handelt sich besonders um die mystische und die meta-
physische Seite des Christentums. Ihnen stehen in der
realistisch-sinnlichen Veranlagung der Japaner die
schwersten Hindernisse entgegen. Zwar sind Dank der
weisen Fürsorge der fremden Missionare die Gefahren
bis heute ziemlich in Schranken gehalten worden, und

tum ſehen. Gewiß iſt, daß die Gefahr der Religions-
mengerei gar nicht ernſt genug genommen werden kann,
und daß nicht zum wenigſten ſie es iſt, „welche den
Einfluß fremder Miſſionare noch auf lange hinaus
unentbehrlich macht.“ Wenn im Brama Somadſch in
Indien von ſeiten des Heidentums eine Vermengung
mit dem Chriſtentum erſtrebt wurde, ſo war das immer-
hin ein Anlauf vom Schlechteren zum Beſſeren, und
darum mochte dieſe Bewegung wohl als eine hoffnungs-
volle Erſcheinung betrachtet werden. Hier aber iſt es
eine rückläufige Bewegung, welche nur Anlaß zu Be-
fürchtungen geben kann. Schon einmal hat die Reli-
gionsmengerei in Japan eine Rolle geſpielt. Das war
damals, als vor tauſend Jahren der Buddhismus die
Götter des Shinto in ſich aufnahm. Für das Chriſten-
tum aber wäre eine Volksbekehrung um ſolchen Preis
zu teuer erkauft; denn das würde nichts anderes be-
deuten als ſeine völlige Entwertung. Die japaniſchen
Chriſten mögen es nicht verſchmähen, ſich ein Wort zu
merken, welches auch ihnen eine gute Lehre geben kann,
ob es gleich im Original in ganz anderem Zuſammen-
hange geſagt war: „Sint, ut sunt, aut non sint!“

Das Chriſtentum iſt ſich ſelbſt genug, es iſt die
Erfüllung alles Unvollkommenen, und niemand ſoll ſich
vermeſſen, es noch vollkommener machen zu können.
Aber auch verkürzen ſoll man es nicht, und doch beſteht
dieſe Gefahr in Japan in nicht geringerem Maße. Es
handelt ſich beſonders um die myſtiſche und die meta-
phyſiſche Seite des Chriſtentums. Ihnen ſtehen in der
realiſtiſch-ſinnlichen Veranlagung der Japaner die
ſchwerſten Hinderniſſe entgegen. Zwar ſind Dank der
weiſen Fürſorge der fremden Miſſionare die Gefahren
bis heute ziemlich in Schranken gehalten worden, und

<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <p><pb facs="#f0404" n="390"/>
tum &#x017F;ehen. Gewiß i&#x017F;t, daß die Gefahr der Religions-<lb/>
mengerei gar nicht ern&#x017F;t genug genommen werden kann,<lb/>
und daß nicht zum wenig&#x017F;ten &#x017F;ie es i&#x017F;t, &#x201E;welche den<lb/>
Einfluß fremder Mi&#x017F;&#x017F;ionare noch auf lange hinaus<lb/>
unentbehrlich macht.&#x201C; Wenn im Brama Somad&#x017F;ch in<lb/>
Indien von &#x017F;eiten des Heidentums eine Vermengung<lb/>
mit dem Chri&#x017F;tentum er&#x017F;trebt wurde, &#x017F;o war das immer-<lb/>
hin ein Anlauf vom Schlechteren zum Be&#x017F;&#x017F;eren, und<lb/>
darum mochte die&#x017F;e Bewegung wohl als eine hoffnungs-<lb/>
volle Er&#x017F;cheinung betrachtet werden. Hier aber i&#x017F;t es<lb/>
eine rückläufige Bewegung, welche nur Anlaß zu Be-<lb/>
fürchtungen geben kann. Schon einmal hat die Reli-<lb/>
gionsmengerei in Japan eine Rolle ge&#x017F;pielt. Das war<lb/>
damals, als vor tau&#x017F;end Jahren der Buddhismus die<lb/>
Götter des Shinto in &#x017F;ich aufnahm. Für das Chri&#x017F;ten-<lb/>
tum aber wäre eine Volksbekehrung um &#x017F;olchen Preis<lb/>
zu teuer erkauft; denn das würde nichts anderes be-<lb/>
deuten als &#x017F;eine völlige Entwertung. Die japani&#x017F;chen<lb/>
Chri&#x017F;ten mögen es nicht ver&#x017F;chmähen, &#x017F;ich ein Wort zu<lb/>
merken, welches auch ihnen eine gute Lehre geben kann,<lb/>
ob es gleich im Original in ganz anderem Zu&#x017F;ammen-<lb/>
hange ge&#x017F;agt war: <hi rendition="#aq">&#x201E;Sint, ut sunt, aut non sint!&#x201C;</hi></p><lb/>
        <p>Das Chri&#x017F;tentum i&#x017F;t &#x017F;ich &#x017F;elb&#x017F;t genug, es i&#x017F;t die<lb/>
Erfüllung alles Unvollkommenen, und niemand &#x017F;oll &#x017F;ich<lb/>
verme&#x017F;&#x017F;en, es noch vollkommener machen zu können.<lb/>
Aber auch verkürzen &#x017F;oll man es nicht, und doch be&#x017F;teht<lb/>
die&#x017F;e Gefahr in Japan in nicht geringerem Maße. Es<lb/>
handelt &#x017F;ich be&#x017F;onders um die my&#x017F;ti&#x017F;che und die meta-<lb/>
phy&#x017F;i&#x017F;che Seite des Chri&#x017F;tentums. Ihnen &#x017F;tehen in der<lb/>
reali&#x017F;ti&#x017F;ch-&#x017F;innlichen Veranlagung der Japaner die<lb/>
&#x017F;chwer&#x017F;ten Hinderni&#x017F;&#x017F;e entgegen. Zwar &#x017F;ind Dank der<lb/>
wei&#x017F;en Für&#x017F;orge der fremden Mi&#x017F;&#x017F;ionare die Gefahren<lb/>
bis heute ziemlich in Schranken gehalten worden, und<lb/></p>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[390/0404] tum ſehen. Gewiß iſt, daß die Gefahr der Religions- mengerei gar nicht ernſt genug genommen werden kann, und daß nicht zum wenigſten ſie es iſt, „welche den Einfluß fremder Miſſionare noch auf lange hinaus unentbehrlich macht.“ Wenn im Brama Somadſch in Indien von ſeiten des Heidentums eine Vermengung mit dem Chriſtentum erſtrebt wurde, ſo war das immer- hin ein Anlauf vom Schlechteren zum Beſſeren, und darum mochte dieſe Bewegung wohl als eine hoffnungs- volle Erſcheinung betrachtet werden. Hier aber iſt es eine rückläufige Bewegung, welche nur Anlaß zu Be- fürchtungen geben kann. Schon einmal hat die Reli- gionsmengerei in Japan eine Rolle geſpielt. Das war damals, als vor tauſend Jahren der Buddhismus die Götter des Shinto in ſich aufnahm. Für das Chriſten- tum aber wäre eine Volksbekehrung um ſolchen Preis zu teuer erkauft; denn das würde nichts anderes be- deuten als ſeine völlige Entwertung. Die japaniſchen Chriſten mögen es nicht verſchmähen, ſich ein Wort zu merken, welches auch ihnen eine gute Lehre geben kann, ob es gleich im Original in ganz anderem Zuſammen- hange geſagt war: „Sint, ut sunt, aut non sint!“ Das Chriſtentum iſt ſich ſelbſt genug, es iſt die Erfüllung alles Unvollkommenen, und niemand ſoll ſich vermeſſen, es noch vollkommener machen zu können. Aber auch verkürzen ſoll man es nicht, und doch beſteht dieſe Gefahr in Japan in nicht geringerem Maße. Es handelt ſich beſonders um die myſtiſche und die meta- phyſiſche Seite des Chriſtentums. Ihnen ſtehen in der realiſtiſch-ſinnlichen Veranlagung der Japaner die ſchwerſten Hinderniſſe entgegen. Zwar ſind Dank der weiſen Fürſorge der fremden Miſſionare die Gefahren bis heute ziemlich in Schranken gehalten worden, und

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/munzinger_japaner_1898
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/munzinger_japaner_1898/404
Zitationshilfe: Munzinger, Carl: Die Japaner. Berlin, 1898, S. 390. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/munzinger_japaner_1898/404>, abgerufen am 24.11.2024.